Freitag, 31. Dezember 2010

Jahreswechsel

Wie schön der Rauch einer ausgepusteten Kerze ist. In einer feinen Säule steigt er zunächst ganz gerade nach oben, und man möchte meinen, diese saubere, zarte Linie setzt sich unendlich fort. Dann aber gerät er in die bewegteren Luftschichten; winzige Verwirbelungen, das unsichtbare Spiel kalter und warmer Lüfte, unvorhersehbar und doch unausweichlich...

Und die kleine, machtvolle Atmosphäre um die Kerze herum zerreißt den rauchigen Faden, zerpflückt ihn, treibt ihn in wilden Locken, in duckenden, weichenden, strebenden und scheuen Kringeln und Fasern auseinander und schafft die bizarrsten Formen, die abenteuerlichste Wirrnis, ein silbergraues Spiel aus Gestalten und Wegen, das sich in unendlicher Vielfalt fortsetzen könnte, wenn nicht der Docht irgendwann erkaltete und die letzten Schwaden sich tanzend in der Luft verlören.

So ist das Leben nun einmal. Von der gradlinigen Planung, den einfachen Hoffnungen, Erwartungen, Vorstellungen und Träumen bleibt nicht viel übrig, wenn man in den Wirbel der Lebenswirklichkeit gerät. Und andererseits sind die grotesken Formen, die überraschenden Wendungen, die ungeplanten Verläufe und die vielfältigen Gestalten, die daraus entstehen, viel reizvoller, schöner, stimulierender und bereichernder als eine gerade, fade Rauchsäule...

Natürlich stelle ich mir zu Silvester vor, daß ein simpler Datumswechsel, wie er eigentlich jeden Tag erfolgt, einen Neubeginn, eine Lebenswende und viele grandiose Chancen markiert. Und natürlich plane ich traditionellerweise einen schnurgerade zu all meinen Zielen führenden Verlauf des neuen Jahres. Aber ich weiß doch, daß es Unsinn ist. Und heimlich freue ich mich auf die Verwirbelungen, die Überraschungen und die Neuerungen, die ich jetzt noch nicht erahne... Und ich lasse mich darauf ein, ganz und gar, und mit allen Risiken, weil ich sonst nicht weiterkomme. Denn so ist das Leben. Nicht nur am 31. Dezember, sondern jeden Tag. Und das ist gut so.

Prosit 2011!

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Die Weihnachtsnacht

(Mein erstes Weihnachtsgedicht von 1979 (da war ich neun))

In der Dämm'rung dieses Abends
liegt so stille Seligkeit;
jeder Mensch des kleinen Dorfes
weiß genau: Es ist soweit!

Vom Himmel leuchten viele Sterne
auf das schneebedeckte Land,
und in Stuben überglücklich
steh'n die Menschen Hand in Hand.

Draußen auf den weißen Feldern
bis zum tiefen Wald hinan
hört man leise Glocken klingen –
glücklich ist heut' jedermann.

Und wenn man's genau beachtet,
horchend mit gespitztem Ohr,
hört man leise aus dem Himmel
singen einen Engelschor.

Er singt so still und auch so leise
hinab auf unsre Erde,
er singt auf wunderbare Weise,
daß es bald Friede werde!

Sonntag, 19. Dezember 2010

Erkenntnis des Tages

So schmeckt Glück:

...

(Ja, ganz recht. Dieses Glück hat keine Worte.)

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Freiheit

Der süße Geschmack der Freiheit. Die unbeschreibliche Leichtigkeit, die sich einstellt, wenn Beklemmendes und Hemmendes von einer Sekunde auf die andere seine Macht verliert. Fassungslos vor Glück, ja ungläubig gar, ob es wirklich wahr sein kann, wenn das, was unser ganzes Dasein bestimmt und bedrückt hat, von jetzt auf gleich völlig bedeutungslos wird durch nur einen einzigen souveränen Akt unseres eigenen, freien Willens... Es ist so unglaublich toll, das Leben zu leben und sich nicht von ihm leben zu lassen.

Mit einemmal reißen alle Himmel auf; die schwersten Tore öffnen sich und lassen einen frischen Wind mitten hineinfahren in die abgestandene, verbrauchte Luft jahrelanger Gefangenschaft... Der Duft aller Möglichkeiten liegt in diesem Wind, der würzige Geruch der neu gewonnenen, ganz und gar freien Entscheidung.

Nicht das Versprechen einer vollkommenen Zukunft trägt er herein. Aber die echte Chance, sich eine solche zu schaffen. Es braucht keinen Mut. Nur einen weiten Blick und einen ersten Schritt. Ich bin so frei, ihn zu gehen. Wer kommt mit?

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Das Ende der Bescheidenheit

Mein Leben, so stelle ich rückblickend fest, war in den letzten Jahren privat und beruflich geprägt von einem ewigen Fragen und Bitten, Werben und Schmeicheln. Ich habe mich bemüht, gewunden, habe mich zuweilen bis zur Selbstverleugnung der mutmaßlichen Nachfrage angepaßt, nur um ein Stück weiterzukommen oder meine verzweifelte Position wenigstens zu halten.

Der Erfolg war indes mäßig, und wo er sich dennoch einstellte, war sein Beigeschmack höchst unbefriedigend. Selbstmitleidiges Flehen ist erbärmlich und keineswegs geeignet, die Attraktivität zu steigern - auch nicht jene, die man für sich selbst empfinden sollte. Also mache ich es nun anders. Ich zeige Interesse, ich mache eindeutige Angebote. Wer sie nicht annimmt, ist selbst schuld. Wer mich mißverstehen will, möge es tun. Ich werde mich nicht dreimal erklären. Wer mich hassen möchte - nur zu. Man kann nicht allen gefallen.

Ich will die coolen Jobs, die großen Projekte, das Spitzenteam, den aufgeschlossenen Verlag, die wahren Freunde und die Eine, mit der ich bedingungslos mein Leben teile. Und ich will nicht darum bitten. Ich will angenommen werden. Das Angebot liegt auf dem Tisch. Lange genug.

Was habe ich zu verlieren? Was ich jetzt nicht habe, danach greife ich. Wenn es sich meinem Griff entzieht, lasse ich es los, und alles bleibt, wie es sowieso schon ist. Wenn es sich jedoch greifen läßt, haben beide Seiten gewonnen.

Ich will es ganz oder gar nicht, das Leben, den Beruf, die Menschen. Einseitigkeiten, Asymmetrien und höhere Einlagen als Gewinne kommen im neuen Jahr nicht mehr in Frage.

Das wird mein 2011.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Nein.

Nein zu Deiner Nachricht.
Nein zu jedem weiteren Kontakt.
Nein dazu, daß Du mich ißt, fallen läßt, wenn Du satt bist, und nur wiederkommst, wenn Du Hunger hast.
Nein dazu, daß Du aus Deinem Kreis nicht heraustrittst, sondern mein Licht absorbierst, um kurzzeitig Dein Dunkel zu erleuchten, anstatt Dich endlich hinausführen zu lassen.
Nein dazu, bei Dir stehenzubleiben und mich verbrauchen zu lassen, anstatt zu wachsen und meinen Weg zu gehen.
Nein dazu, mich wegstoßen und verletzen zu lassen, während Du anderen ostentativ Deine Nähe gewährst.
Nein zu Deinem Hochmut.
Nein zu Deiner Gemeinheit.
Nein zu Deinem unerträglichen Narzissmus.
Nein zu Deiner Schlechtigkeit, Deiner rücksichtslosen Egozentrik und Deiner Unwilligkeit, Dich in die Gefühle, Bedürfnisse und Verletzlichkeiten anderer einzufühlen.
Nein zu einem Herzen, das nur für sich selbst warm schlägt.
Nein zu Deinem Selbstmitleid.
Nein zu Deinen Lügen, Deinen Tatsachenverdrehungen und Deinen Ausreden.
Nein zu Deinem Welt- und Menschenbild.
Nein zu neuen Chancen nach den dutzenden, die ich Dir gab.
Nein zu einer Liebe, die Du nie verdient hast.
Nein zu all dem.

Nein zu Dir.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Die Geburt der Tragödie

Es wird ja Tag für Tag so einiges geboren - Menschen und Tiere, aber auch Ideen, Entwicklungen... und eben Tragödien, die irgendwo ihren Anfang und also ihre Geburtsstunde haben.

Glaubt man Nietzsche, dann wurde die klassische griechische Tragödie aus dem Geiste der Musik geboren, ein apollinisch geordnetes, für die Menschen erträgliches Traumbild, das aus dem dionysischen, also musikalischen Urgrund allen Seins erwächst. Und da scheint mir etwas dran zu sein.

Denn Musik erhebt, beflügelt, lullt die Sinne ein und rührt an die tiefsten, verstecktesten Urgründe unserer Sehnsüchte, unserer empfindsamsten Instinkte... umso mehr, wenn sie gemeinsam erlebt oder gar gemacht wird... und ehe wir's uns versehen, lassen wir uns hinreißen zu Taten und Unterlassungen, die unbedacht, brodelnd und dunkel, leidenschaftlich und in ihrem Kern bereits tragisch sind... Wir erglühen, verbinden uns, verschmelzen ganz und gar, und im dionysischen Rausch der Musik entspinnt und verselbständigt sich eine Handlung, die ihre ganz eigene Macht gewinnt, unwiderstehlich Besitz von uns ergreift und sich alsbald jeder Kontrolle entzieht, ein tragisches, schicksalhaftes Geschehen, das uns beherrscht, willkürlich steuert und in einen heißen Strudel des lustvollen Untergangs zieht...

Das Ende, wenn wir es erleben, ist ein hartes Aufschlagen auf dem Boden entrauschter Wirklichkeit. Die unvereinbaren, ja untragbaren Handlungsstränge unserer irren, wirren Reise haben sich bis zum Wahnsinn ineinander verschlungen und dann plötzlich in einem gewaltigen Knall aufgelöst. Die Musik ist verklungen, und eine schmerzhafte Benommenheit läßt nur in kleinen Portionen die Erkenntnis zu, daß wir uns vollkommen verirrt und im Netz unserer Lust unrettbar verfangen hatten.

Es wird kalt. Still. Man bleibt allein. Der Boden der Realität ist hart und steinig. Die Tragödie hat ihren Lauf genommen. Den Rausch möchte man nicht missen, aber der Preis war zu hoch. Man gedenkt der Geburtsstunde des tragischen Verlaufes und wünscht sich dahin zurück, um alles besser zu machen und die Tragödie in apollinischen Bahnen zu halten. Klassisch. Geordnet. Erträglich. Aber das geht nicht. Geschehen ist geschehen.

Nächstes Mal dann.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Klimawandel

Wenn mitten im Dezember die Maiglöckchen sprießen,
wenn bei Minusgraden die Vöglein in den Bäumen ihre Liebeslieder zwitschern,
wenn durch den Schnee hindurch die buntesten Blumen blühen,
wenn in der kalten Luft ein warmer Windhauch Dein Gesicht küßt,
wenn vom eisgrauen Himmel eine freundliche Sonne scheint,
wenn also im tiefsten Winter plötzlich Mai ist...

...dann stimmt etwas nicht.

Oder es stimmt alles.

Samstag, 4. Dezember 2010

Barbara-Tag

Heute ist Barbara-Tag, der Gedenktag der Heiligen Barbara von Nikomedien, die im 3. Jahrhundert als Märtyrerin gestorben sein soll. Der Überlieferung nach war sie klug, schön und willensstark. So wie fast alle Frauen dieses Namens, die ich kenne.

Ihr Vater, der ein König, ein reicher Kaufmann oder ein einflußreicher Höfling gewesen sein mag, sperrte sie in einen Turm, um sie von der Außenwelt abzuschirmen. Ihre Hinwendung zum Christentum versuchte er durch Peinigungen zu verhindern, aber Barbaras Glaube festigte sich unter der Folter erstrecht. Sie ließ als Symbol der Dreifaltigkeit ein drittes Fenster in den Gefängnisturm brechen und empfing die Taufe. Dem Beschluß des Vaters, sie zu töten, entging sie zunächst durch eine wundersame Flucht, wurde dann aber doch gefaßt und auf die grausamste Art umgebracht.

So berichtet es die Legende. Mich hat die Geschichte immer fasziniert, nicht nur der unbedingten Glaubensstärke wegen, die Barbara bewiesen hat, sondern auch, weil es mir so grotesk erschien, diesen Beweis ausgerechnet gegen die rücksichtslosen Grausamkeiten des eigenen Vaters führen zu müssen. Zudem ist Barbara die Schutzheilige unserer Familie, und seit Jahrhunderten wird in fast jeder Generation ein Mädchen auf den Namen Barbara getauft, zuletzt meine Großmutter und meine Mutter.

Zugegeben, dieser Text hat keine echte Pointe, aber ich wollte den bedeutendsten Namenstag unserer Familie nicht unerwähnt verstreichen lassen. Für einige Barbaras, die mir im Leben begegnet sind, bin ich zutiefst dankbar. Drei von ihnen gehören zu den wunderbarsten Menschen, die ich je traf. Schön, klug und willensstark sind sie und spornen mich damit täglich dazu an, auch meinerseits ein besserer Mensch zu werden.

Alles Gute zum Namenstag und danke für alles.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Advent

Der Advent ist da, jene wenigen Wochen vor Weihnachten mithin, die ich als Kind schon geliebt habe, und die mir, so quälend langsam sie im Hinblick auf das fiebernd erwartete Fest einerseits zu vergehen schienen, andererseits doch nie lang genug sein konnten. Denn diesen Wochen wohnte ein ganz eigener, unvergleichlicher Zauber inne, den zu spüren vielleicht nur Kindern gegeben ist, oder solchen Menschen, die es im Herzen geblieben sind.

Ganz und gar anders als alle Wochen und Monate des Jahres schien mir diese Zeit. Ein Adventus, eine Ankunft war es, die sich spürbar vorbereitete, die Ankunft des Christkindes, des Gottessohnes und Erlösers und damit der Beginn einer besseren Zeit. Ein Hauch des Wunderbaren, des Göttlich-Bedeutsamen lag in der Luft und durchwirkte alles Sein, erhöhte den Alltag und gab jedem Gefühl, jedem Gedanken und jedem Tun etwas durch und durch Festliches. Es war für mich ganz selbstverständlich, daß, was ich so deutlich spürte, auch allen anderen erkennbar sein mußte, und so schien mir die Welt freudig erregt, zugleich milder gestimmt als sonst und erhoben im Geist des göttlichen Geschehens... Das Leben fühlte sich an, als habe es jemand mit feinem Goldstaub gepudert.

Heute ist dieser Zauber nicht mehr ganz so deutlich spürbar, und das nicht nur, weil die Konsummaschinerie heute lauter, greller und amerikanisierter als in meiner Kindheit alles Ahnungsvolle, leise sich Anbahnende überlärmt. Ich habe mir zwar eine sehr sentimentale Wahrnehmung der Advents- und Weihnachtszeit bewahrt, aber das Leben hat auch mich abgeklärt und gewährt nicht immer den Raum, den das freudige Erwarten wundersamer Veränderungen vielleicht erfordert. Gleichwohl, so denke ich oft, warten wir ständig auf irgendetwas, auf den Durchbruch, den richtigen Partner, die Erkenntnis und auf uns selbst... Wir ersehnen Veränderungen, Entwicklungen und den Beginn neuer Lebensabschnitte. Und während wir darauf warten, daß "das Leben" endlich beginnt, findet es längst statt und zieht vorbei.

Vielleicht war und ist die Adventszeit so beglückend, weil diesem Warten tatsächlich eine Ankunft folgt, weil das, worauf wir warten, wirklich geschieht. Ob man nun an die Geburt Christi glauben mag oder nicht, ob man in Jesus eine Allegorie des Höchsten, Besten und Edelsten sieht, zu dem wir Menschen fähig sind, oder ob einem dergleichen per se als abergläubischer Humbug erscheint - man hat zumindest die Gelegenheit, sich ein wenig zu sammeln, zu besinnen und an Weihnachten vielleicht Dinge zu tun, die man übers Jahr vernachlässigt hat. Das alltägliche Warten auf den Beginn des eigentlichen Lebens hingegen bleibt unbefriedigend, solange wir in Passivität verharren.

Der Gedanke des Advent, der Ankunft in unserem eigenen Leben, läßt sich aber dennoch nutzen, wenn man die Vorphase des Ankommens nicht als Wartezeit, sondern als Entwicklung begreift, die man täglich steuern und vorantreiben kann. Das Warten wird zum Tun, und die Vorfreude verschmilzt mit dem unbedingten Willen zur Veränderung. Immer wieder aus eingefahrenen Kreisen, aus Komfortzonen und dem begrenzten Blick auf sich selbst herauszutreten und neue Sphären des eigenen Seins zu erschließen - darin liegt für mich das, was uns der Advent sagen will.

In erster Linie sind wir unsere eigenen Erlöser. Und vielleicht bestäubt irgendwer von irgendwo unser Bemühen mit feinem Goldpuder.

Dienstag, 16. November 2010

Gebet

Lieber Gott,

Du weißt, ich glaube an Dich, so sehr es aller Erkenntnis und allem Verstand widerspricht. Ich glaube daran, daß Du hier und da Dinge fügst, denn die kindliche Hoffnung auf wundersame Wirkmechanismen, die sich jeder Begründung und Erklärbarkeit entziehen, ist stärker als die ganze Nüchternheit des reifen Geistes.

Und so sehe ich denn Deine Zeichen. Sehe sie, und verstehe sie nicht. Denn was als Hinweis, als göttlicher Wink mit dem heiligen Zaunpfahl ohne weiteres zu erkennen ist, erschließt durch sein bloßes Erscheinen noch lange nicht seinen eigenen Sinn. Mag sein, daß das Gemüt des reifen Mannes sich den Instinkt für Höheres bewahrt, ohne sich jedoch die kindlich-naive Fähigkeit zur Deutung zu erhalten.

Und Du weißt das. Du weißt immer alles. Es steht in Deiner Tätigkeitsbeschreibung als einzig wahrer Gott. Und also stellt sich die Frage – warum sendest Du Zeichen, von denen Dir klar sein muß, daß sie mehr Fragen aufwerfen als sie zu lösen vermögen? Macht es Dir Freude, die Ahnungslosigkeit Deiner Menschlein zur Schau zu stellen, indem Du ihnen unlösbare Rätsel aufgibst? Wenn es so ist – ich nehme es Dir nicht übel. Es ist ganz lustig, irgendwie.

Heute hast Du mir ein Zeichen gesandt. Ein solches freilich, dem Du so unendlich viele Deutungsmöglichkeiten beigegeben hast, daß es mir rein gar nichts nützt; daß es, im Gegenteil, erhebliche Verwirrung stiftet in meinem jüngst so geordneten Dasein.

Wie dem auch sei – Du bist Gott. Du darfst das. Ich nehme Dein Zeichen also an. Aber ich bin so frei, daran keine Handlungsfolgen zu knüpfen. Tatsächlich werde ich es einfach ignorieren, so gut es geht. Sei mir nicht böse. Aber das Spiel spiele ich nicht mit.

Danke gleichwohl. Es ist lieb, daß Du an mich denkst. Und an sie. Und an uns. Danke. Aber wenn ich wirklich etwas tun soll, mußt Du schon ein bißchen deutlicher werden.

Verbunden,
Dein Christopher

Donnerstag, 4. November 2010

Leere

Zuweilen ist da diese Leere, eine Leere, die all das hinterlassen hat, was wir verspielt, verloren oder verschwendet haben, und die durch nichts aufzufüllen ist. Sie schmerzt, wie nur ein Nichts schmerzen kann, wo eigentlich etwas sein sollte. Sie zieht und windet sich, gierig nach Ersatz für das, was fehlt, und franst dabei doch nur ihre wunden Ränder aus.

Nach vorne schauen, positiv denken, an einer Zukunft arbeiten und aus der Vergangenheit lernen. Das sagt man dann so leichthin. Und doch vermag keine Zukunft die Leere zu füllen, die Verlorenes in unsere Seelen reißt. Man mag das Loch der Vergangenheit ummanteln mit dem Jetzt; man mag die Fäden der Zukunft so spinnen, daß sie den Hohlraum vernähen, der in uns gähnt... doch ausgefüllt, bereichert und geheilt wird er dadurch nicht. Manche Verluste sind nie, niemals wieder gutzumachen.

Zuweilen ist sie da, die Leere. Zuweilen ist ihre Kraft so groß, daß sie alles Gegenwärtige und alles Zukünftige, allen Sinn und alle Hoffnung wie ein schwarzes Loch anzieht und verschlingt. Das Leben, das vor einem liegen könnte, verschwindet im unwiderstehlichen im Abgrund des Vergangenen.

Zuweilen ist es eben so. Manche Verluste sind nicht zu ertragen.

Dienstag, 26. Oktober 2010

Wirklichkeit

Jemand, den ich nicht als Freundin, ja kaum als Bekannte bezeichnen kann, da wir uns nur über ein soziales Netzwerk und also nicht „persönlich“ kennen, hat mir eine Karte geschrieben. Eine echte Postkarte aus Papier, beschrieben mit echter Tinte in einer individuellen Handschrift. Ich erhielt sie und mußte schlucken.

Es ist süß, wenn Menschen aneinander denken und einander damit Bedeutung geben... Mich rührt es immer wieder zutiefst, daß unter den Milliarden Menschenwesen auf der Welt sich tatsächlich einzelne etwas bedeuten und sich daran freuen, daß genau der Eine, an den sie gerade denken, lebt und existiert...

Diese ergreifende, liebevolle kleine Dimension des Lebens kann ich nicht immer gut wahrnehmen... Zuweilen fühle ich mich so unendlich überflüssig... so verzichtbar in diesem riesigen Ameisenhaufen, in dem ohne mich ebenso unsystematisch herumgewuselt würde wie mit mir...

Und dann kommt sie, jemand, den ich gar nicht kenne, und sie nimmt sich Zeit, sie setzt sich nieder und schreibt mir eine Karte... mir, einfach so, ob der guten Gespräche, die wir in der virtuellen Welt geführt haben über ganz unvirtuelle Themen. Und ich muß ein bißchen weinen... weil es mich tief berührt, ohne daß ich es verstehe.

Da ist diese Sehnsucht nach dem Kleinen, nach dem Echten, Individuellen... Die Sehnsucht danach, sie zu sehen und fest in den Arm zu nehmen, mitten im unbeeindruckten Gewühl des Ameisenhaufens, einfach nur, um zu spüren, daß es sie, daß es überhaupt jemanden wirklich gibt, und daß ich ihr nah sein kann. Und zugleich wirkt diese Vorstellung unsagbar irreal...

Ich weiß nicht, ob es sie gibt, und wenn, ob es irgendeine Relevanz hat... ebenso wenig wie ich es von mir selbst weiß.

Montag, 25. Oktober 2010

Raumzeitgedanken

Die Jahre gehen ins Land, und das Land kommt in die Jahre...

Ein ewiges Spiel von Raum und Zeit, ein Tanzen und Schweben umeinander, unüberwindliche Abhängigkeit ohne eine andere Erlösung als das Vergehen im Nichts...

Ein gegenseitiges Besuchen, bis beide sich nichts mehr zu sagen haben und alles begreifbare Sein endet.

Sonntag, 24. Oktober 2010

Leseprobe...

(...aus meiner neuesten Novelle, die leider noch keinen Titel hat und auch noch nicht lektoriert ist, aber ich stelle sie dennoch mal hier ein und bin gespannt auf Eure Rückmeldungen!)

Sie schrieben sich jeden Tag, mehrfach sogar, verlegten sich irgendwann auf das noch direktere Chatten und verbrachten auf diese Weise oft Stunden miteinander. Bald begann Karin, auch von ihren relativ zahlreichen Affären und Beziehungsversuchen zu erzählen, die meist ebenso kurz wie schmerzhaft waren, weil sie sich schon beim ersten oder zweiten Treffen auf Intimitäten einließ, lange also bevor sie wirklich etwas über den derart Privilegierten und seine Absichten wußte, und somit die Einschlägigkeit der Interessen immer wieder unterschätzte, die ihr die meisten ihrer Männerbekanntschaften entgegenbrachten. Für Gabelsdorf war das durchaus anregend. Sein eigenes Liebesleben war nach vierzehn Jahren Beziehung mehr als dürftig, und über Erinnerungen, von denen er hätte zehren, über einen Schatz an Erfahrungen, die ihm das saturierende Gefühl hätten geben können, seinen gerechten Anteil an dieser unendlich weiten Erlebniswelt gehabt zu haben, verfügte er so gut wie nicht, da er in seiner Jugend das war, was man einen Spätzünder nennt, und die Beziehung mit seiner späteren Frau sehr jung begonnen hatte. Der Mangel an Erfahrung und Befriedigung auf erotischem Gebiet, den er bislang mehr schlecht als recht sublimiert hatte, stand dabei in einem zunehmend gespannten Verhältnis zu seiner doch recht ausgeprägten Libido, und so boten ihm Karins Erzählungen von spontanen Abenteuern und Wochenendaffären reichlich Stoff für sein gieriges Kopfkino. Gleichwohl übte er sich ihr gegenüber in äußerster Zurückhaltung, ließ sie sogar beiläufig wissen, daß er verheiratet sei, und hörte ihren Geschichten mit freundschaftlichem Interesse zu. Er tröstete sie, wenn sie traurig war, kritisierte ihre impulsive und viel zu unüberlegte Art, sich auf Männer einzulassen, die sie dann verletzten, redete wohlmeinend auf sie ein oder ließ sie einfach ihr Herz ausschütten, je nach dem, was sie gerade brauchte, kurz: Er war ein Musterbeispiel an Ritterlichkeit, jederzeit für sie da und auf behutsam-strenge Weise verständnisvoll.
Und sie nahm es dankbar an.
Zugleich ertappte sich Gabelsdorf immer häufiger dabei, ungeduldig auf Nachricht zu warten, wenn Karin gerade nicht an ihrem Rechner war. Die schriftlichen Dialoge mit ihr wurden zum Hauptgegenstand seiner Aufmerksamkeit, und je mehr er sich auf den Austausch mit Karin Abild einließ, desto schwieriger wurde es, seine Frau nichts davon merken zu lassen, welch großen Raum die ferne Sängerin in seinem Denken und Fühlen mittlerweile einnahm. Nicht, daß er sich verliebt hätte. Aber Karin erschloß ihm Lebensbereiche, von denen er sich hochgradig angezogen fühlte, die jedoch in seinem Alltag so gut wie nicht vorkamen – Kunst und Impulsivität, Sex und Lust, Freiheit, Ungebundenheit, Ausdruck und Leidenschaft... Sie erlebte, erfuhr und erlitt alles, was Gabelsdorfs eigenem gleichförmigen Dasein abging.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Experiment 2 - Die gescheidlichen riter

(Auszug aus einem mittelhochdeutschen Versepos, verfaßt von mir im Jahre 2000)

Do kam ein riter nach der stat
der sunder ruom und ritertat
die schuolaere wolde leren
an in iren sin ze keren
und Fridericus vliehen -
so dahte er sich ze ziehen.
Sin lip was groz und grobelich
sin lere und kunde tobelich
sin kleit was groezer dann sin muot
an sinem ruom was lützel guot
wan er truoc in sich alsolhen wan
daz er im wane wande han
durch truge und ruor der werlde pris
und niht durch guottat unde vliz.
Do Friderici stolzecheit
was dises riters staetes leit
und er den ruom vergunde
begunde er bi der stunde
ze harren uf diu rehte zit
do er kunde stillen sinen nit
und rechen sine smaehe groz
als erz in sinem sin besloz.
Beide Fridericus unde er
die stouweten ire vientschaft mer
unz an ein maz do ez wart vol
sus daz ez einest überquol.
Ez qual daz mer der vientschaft
do niht durch rehte riterschaft
der strit wart geschieden under beiden
dar muosten beide under leiden.
Wan swer der tjoste niht enmac
der blibet gellic manegen tac.

Montag, 18. Oktober 2010

Ein vollkommenes Bild

Inmitten des Trubels aus eiligen Menschen, die dem U-Bahnschacht entquellen und den unter heiserem Klingeln grob heranpolternden Straßenbahnen zustreben, steht sie und liest in einer Zeitung, völlig entrückt der Welt, die sie umgibt, und ganz und gar ihrer Innerlichkeit zugekehrt, die von außen zu berühren sie in diesem Moment keinem anderen Reiz als dem Artikel gestattet, den sie liest.

Auf ihren Lippen liegt ein versonnenes Lächeln. Ihr schwarzes Haar fällt in großen weichen Locken um ihr leicht nach vorn geneigtes Gesicht, und ihre schönen Hände halten das Blatt auf die denkbar anmutigste Weise.

Sie ist hübsch, auffallend hübsch sogar, eine fast vollkommene Erscheinung. Ihre lesenden Augen sind groß und dunkel, glänzen interessiert in die Zeitung hinein und wandern lebhaft darin herum. Das kurze schwarze Mäntelchen, eng gegürtet und weit ausgestellt, flüstert subtil von den Verlockungen ihres schlanken, feinen Körpers, der doch unerreichbar bleibt... Ihre Füße hat sie mädchenhaft über Kreuz gestellt, und obwohl diese Haltung äußerst instabil wirkt, steht sie ganz ruhig und fest da, unerschütterlich und durch nichts von sich selbst abzulenken.

Es ist faszinierend - ohne den geringsten Anteil an der Außenwelt zu nehmen, beeinflußt sie sie dennoch, erregt in ihrem Umfeld eine Aufmerksamkeit, ein Hinschauen und Kontaktsuchen, das ins Leere gehen muß, weil es in der Gedankenverlorenheit, der Abgeschiedenheit dieses ganz in sich ruhenden, beseelten Seins nicht wahrgenommen wird und an dieser Ignoranz leise und belanglos zerstäubt...

Wie unsagbar schön dieses zeitungslesende Mädchen ist, das ich nur für ein paar Sekunden sehe... Wie zauberhaft, berauschend ihr wunderbarer Stilbruch des hektischen Lebens. Ein vollkommenes Bild, das ich dankbar und still beglückt durch den Rest des Tages trage.

Donnerstag, 14. Oktober 2010

The Importance of Not Being A Lemon

It will always remain a mystery to me why some women come close just to back off the very next second and treat you like you have tried to violate them. They cross your way, they trust you immediately... they pour their heart out and come very close, mentally, and, in some cases, even physically...

A relationship like that is bound to become very emotional - and therein lies the trap. Because everything is fine as long as you do not show any emotions except deep sympathy and sweet understanding. But go and use one wrong word, make one comment that is not one hundred per cent affirmative, and you will raise hell. Neither a wholehearted apology nor a thousand good deeds will make up for one little, inconsiderate mistake.

All the affection they might have felt before turns into disdain. Suddenly they dispise what they were about to love, and every attempt to talk it over and calm down some of the emotion involved in order to keep the whole thing in perspective is rejected with an attitude so cool it might freeze your soul. I never really got that, because I stronlgy believe that a single bad moment is not worth letting pass by what might have been a great chance for both parties.

The only explanation I can think of is that the moment you show the slightest sign of a critical perception they feel deceived and lose their faith and immediately start to feel embarrassed about all the weak spots they revealed to you and the secrets they let you in on. So, in a belated (and as much irrational as incomprehensable) attempt to arm and to protect themselves by hindsight, they start acting cool, like nothing you learned about their delicate, vulnerable souls had ever been true... and they love to leave you with the impression that you were the worst thing that ever happened to them.

Well, poor things. Being in pain, or suffering from some bad experiences in the past does not humiliate anyone. It is absolutely natural, and after all it is what makes us human. And lovable. Nobody has to be ashamed of their wounds and weaknesses... But denyal will not ease the pain, and to push away people who have seen "too much" of one's soul will not make you stronger. The answer is talking it over, and I am good and ready to do so.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Wiener Wahlwunderlichkeiten

Nun ist er ausgekämpft, der "Kampf um Wien", wie es auf einem der unzähligen (und zum Teil unerträglich geistlosen) Plakate hieß, mit denen die Stadt seit Monaten gespickt ist. Die Wahl ist vorbei, und so wenig überraschend das Ergebnis ist, so bitter bleibt der Nachgeschmack.

27% des Wiener Wahlvolkes haben ihre Stimme einem Mann gegeben, der außer bösen Parolen nichts anzubieten hat. Keine Lösungen, keine Konzepte, keine Ideen. Das unsägliche Wahlmotto der FPÖ "Mehr Mut für unser Wiener Blut - zu viel Fremdes tut niemandem gut" ist, von seiner literarischen Letztklassigkeit abgesehen, auch inhaltlich bodenlos und übertrifft an ungehemmter Dreistigkeit sogar die biologistischen Entgleisungen Thilo Sarrazins um Längen. Schamlos und ohne rhetorischen Filter wird hier der Wert von Menschen für das Gemeinwesen an die blutsmäßige Zugehörigkeit gekoppelt, während die bestehenden Probleme pauschal den Ausländern angelastet werden.

Natürlich läßt sich der Wahlausgang erklären, und natürlich ist der Gesamtsituation zu entnehmen, daß nicht jeder FPÖ-Wähler automatisch ein überzeugter Ausländerfeind und Strache-Fan ist. Es galt, die absolute Mehrheit der SPÖ zu brechen, und dafür wäre ein Kreuzchen bei der ÖVP nur bedingt geeignet gewesen, weil diese ja schon vor der Wahl beiderseits erklärtermaßen der Lieblingskoalitionspartner einer in die Minderheit geratenen SPÖ war. Also läuft der enttäuschte Protestwähler zu den Blauen über, wohl wissend und hoffend, daß sich mit Herrn Strache ohnehin niemand ins Bett legen und die FPÖ also auch mit ihrem Zugewinn keinen echten politischen Einfluß bekommen wird. Alles erklärbar.

Aber dieses Spiel mit dem Feuer bleibt gefährlich, und ein aus welchen Gründen auch immer erstarkter rechter Rand hat, wenn schon keinen politischen, so doch einen atmosphärischen Einfluß auf das Leben in dieser Stadt. Stimme ist Stimme - der demokratische Prozeß differenziert nun einmal nicht zwischen Überzeugungstätern und Protestwählern, und die FPÖ wird, auch wenn das niemand wirklich will, ein Stückchen hoffähiger.

Wehret den Anfängen. Um der SPÖ einen Denkzettel zu verpassen, hätte man auch grün wählen können. Wer sein Mitbestimmungsrecht als Bürger nutzt, um seine Stimme einem Mann zu geben, der sich mit unsäglicher Hetze gegen "das Fremde" profiliert, macht sich am sukzessiven Einsickern solchen Denkens in die Gesellschaft mitschuldig, gleich, welche strategischen Erwägungen ihn dazu gebracht haben, sein Kreuz bei der FPÖ zu machen.

Als Deutscher gehöre ich gewiß nicht zu der Art Ausländer, die nun verstärkt Diffamierungen zu befürchten hat. Gleichwohl fühle ich mich in meinem geliebten Wien seit Sonntag ein kleines bißchen unwohler.

Samstag, 9. Oktober 2010

Streitkultur

Haben Sie mal versucht, mit einem Menschen zu diskutieren, der auf jede Aussage ausschließlich emotional und ohne einen Hauch rationaler Überlegung reagiert, in jedem Wort nicht ansatzweise den Kern dessen, was gemeint ist, sondern nur die Kränkung seiner Person sucht und in jeder noch so sanften Kritik, ja in jeder abweichenden Meinung nichts als eine Beleidigung sieht, die ihn sofort berechtigt, alles Gesagte abzuwehren und als unzulässig zu denunzieren?

Mir sind in meinem Leben drei Menschen begegnet, die auf diese Weise gesprächsunfähig waren und mit denen ich gleichwohl eine Verständigung gesucht habe - zuerst mein Vater, dann ein Borderline-Syndrom in Menschengestalt, an das ich drei Jahre meines Lebens (und meiner Liebe) verschwendet habe, und schließlich jemand, mit dem ich gestern in eine solche Situation geraten bin.

Es ist schon recht anstrengend, wenn jemand so überemotionalisiert ist, daß man keinen Satz zu Ende sprechen, keinen Gedankengang vollenden und kein Argument platzieren kann, weil der Gesprächs"partner" immer wieder unterbricht, sich empört auf einzelne Wörter stürzt, die ihm nicht passen, anstatt erst mal einen Gesamtzusammenhang entstehen zu lassen, sich gar selbst im Gespräch versichert, völlig in Ordnung zu sein und damit über alle (Selbst)Kritik erhebt, zugleich aber unfähig ist, zuzuhören, Gesagtes auf sich wirken zu lassen und sich wenigstens ansatzweise mit den Gefühlen, Bedürfnissen, Gedanken und Verletzlichkeiten seines Gegenübers auseinanderzusetzen, kurz: wenn jemand sich sofort und mit allem nur angegriffen und abgewertet fühlt, anstatt zu begreifen, daß mit dem Diskurs nur ein spezifisches Phänomen, ein Einzelfall, nicht aber er als Mensch problematisiert wird.

Grundsätzlich versuche ich mir abzugewöhnen, mit derart überemotionalisierten, kritikunfähigen, irrationalen und labilen Menschen überhaupt einen sinnvollen Diskurs zu suchen, da er schlechterdings nicht zu finden ist. Mit meinem Vater zum Beispiel werde ich gewiß nicht mehr reden, und auch die Borderline-Frau ist mir keinerlei Bemühen mehr wert. Wenn ich es aber trotzdem tue, weil mir an dem Menschen liegt, kommt es vor, daß ich bei aller Anstrengung auf das Fehlen jeder Logik und ein ausschließlich emotionales und oft sehr heftiges Verhalten nicht unbegrenzt ruhig und überlegt reagieren kann. Recht lange zwar, aber irgendwann bringt es mich doch auf die Palme, und dann, in ganz seltenen Fällen, schlage ich auf die gleiche Weise zurück - leider bin ich ziemlich gut darin, und wenn ich das scharfe Schwert des Wortes erst mal emotional zu führen beginne, ist der Schaden oft fürchterlich.

Das tut mir dann leid, und ich suche nach einer Abkühlungsphase die Klärung und Versöhnung. Zuweilen funktioniert das. Finde ich diese Bereitschaft aber bei meinem Gegenüber nicht mehr, ist es freilich ganz und gar vorbei. Dergleichen muß man einsehen und akzeptieren.

Mittwoch, 29. September 2010

Nachtgedanken

Vor 38 Jahren ging meine Sonne auf. Vor 18 Jahren erreichten mich erstmals ihre Strahlen. Ich buck einen Marmorkuchen, um sie zu begrüßen. Seither beschien sie mein Leben... wunderbar warm und hell...

So hell irgendwann, daß es mich blendete. So warm, daß ich mich nicht mehr regen konnte. Gleißend und heiß brannte sie auf mich herab, hoch, unerreichbar, ihre ganze Kraft darauf verwendend, ja sich ausbrennend geradezu dafür, daß ich es gut haben möge. Und ich hatte ihr nichts entgegenzuhalten. Kein kleiner Glanz, den ich erwarb, vermochte, in ihrem Licht zu bestehen.

Also floh ich in die Nacht, die mich kühl und lockend umfing, mich verführte zu verschwiegenen, verantwortungslosen Wonnen im wohligen Schutz entfremdender Dunkelheit... und ich fiel darein, immer tiefer, wurde aufgesogen von einer Sphäre, in der nichts sichtbar war und also auch nicht erklärt werden mußte. Nur Nacht, Stille, Kühle...

Nun ist mir kalt. Meine Augen sehnen sich nach Licht. Ich renne dem Horizont zu, sehnsuchtsvoll hoffend zu finden, aufs neue zu gewinnen, was ich einst floh. Doch meine Sonne scheint nicht mehr. Um mich bleibt nur die Nacht.




Donnerstag, 23. September 2010

Bewegung

Suchende, irrende und scheiternde Menschen faszinieren mich. Es zieht mich an, wenn jemand mit sich selbst im Unreinen ist, dies jedoch erkennt und strebend sich bemüht, ganz zum eigenen Selbst und damit zu seinem Platz in dieser Welt zu finden. Die Entwicklung, die Vorwärtsbewegung, die Selbstzweifel der leidenden Seele und ihre unbedingte Bereitschaft, sich um der Selbsterkenntnis willen auch unangenehmen Einsichten auszusetzen - all das fasziniert mich an einem Menschen.

Viele derart veranlagte Menschen neigen zum künstlerischen Ausdruck. Im gestaltenden Schöpfungsakt konkretisiert sich der Wille zur Ausformung eines Gefühls, einer Erkenntnis, einer Meinung und letztlich vielleicht einer Identität.

Dieses Bedürfnis nach Ausdruck kann jedoch zur Falle werden. Das aus Intelligenz, Talent und mangelndem Selbstwertgefühl geborene Werk wird oft zum Selbstzweck, übertönt das Wesen des Schaffenden, anstatt seiner Auffindung zu dienen, und wird euphemistisch "Selbstverwirklichung" genannt, um den Umstand zu verschleiern, daß das tatsächliche Selbst ja eigentlich schon immer wirklich war, nur leider nicht entdeckt werden konnte und also durch ein neues, im Werk erfundenes Selbst ersetzt wurde.

Natürlich schafft dergleichen keine echte Befriedigung. Ein kurzer, aus der Anerkennung der Mitmenschen gespeister Rausch mag den Schmerz lindern, aber im tiefsten Grunde weiß die Seele doch, daß sie ihr Glück in einer allgemein beklatschten Fassade allein nicht finden kann. In der Hoffnung, irgendwann doch zur völligen Übereinstimmung von Tun und Sein zu gelangen, wird also weitergeschaffen, und die im Werk manifestierte Ersatzidentität wächst und gewinnt immer mehr Macht. Jedem Gefühl, jeder Laune, jeder kurzzeitigen Idee wird Ausdruck gegeben in der Hoffnung, irgendwann füge sich daraus ein die Seele spiegelndes und also erkennbar machendes Gesamtbild.

Dem ist aber nicht so. Stattdessen beginnt sich derjenige, der in der Kunst sein Heil sucht, um sich selbst zu drehen und jede Regung seines Herzens oder seines Kopfes nur noch werkzentriert zu verstehen. Er entfernt sich von den Menschen, obwohl er vielleicht immer mehr Bewunderung erfährt, verliert sich selbst und sieht sein Leiden nicht mehr als Motivation seiner Suche, sondern nur noch als Rechtfertigung seiner rücksichtslosen Egozentrik.

Sich um sich selbst zu drehen, ist keine Vorwärtsbewegung, und rastlos in den eigenen Launen herumzuwühlen und seine Mitwelt damit zu penetrieren, schafft keinen echten Außenbezug. Selbstfindung kann nur glücken, wenn man sich selbst und anderen als Mensch unmittelbar erkennbar bleibt. Niemand wird in seinem Werk, sondern bestenfalls um seines Werkes willen geliebt. Dies jedoch bleibt unbefriedigend, weil es an menschlicher Nähe fehlt.

P.S.: Der gleiche Mechanismus gilt natürlich für bürgerliche Berufe, die zur Identitätsstiftung herangezogen werden, sowie für alle anderen Ersatzbefriedigungen. Die Kunst war hier nur das wohl intensivste Beispiel.

Donnerstag, 16. September 2010

Routinebruch

Professionell, cool, glatt und makellos, im Londoner Maßanzug, der ebenso perfekt sitzt wie die Maske des Geschäftsmanns, die ich zu solchen Gelegenheiten trage. 500 Menschen, die trinken, reden, essen, Erfolge feiern. Ich mittendrin, das Weinglas lässig in der siegelberingten Hand, gewandt plaudernd, charmant und witzig. Das Übliche eben - netzwerken, Karten verteilen. Geschickte Selbstdarstellung, während man überzeugend so tut als interessiere man sich noch viel mehr für die Selbstdarstellung des Gegenübers. Ein Routinetermin.

Das war der Plan.

Aber da bist Du. Und ich kann meinen Blick nicht von Dir wenden. Ich kann mich mit niemandem unterhalten, nichts mehr interessiert mich. Mein Herz rast, meine Zunge ist trocken, mein ganzer Leib gelähmt in stummer Anbetung. Du plauderst, mit wem eigentlich?, leuchtest, lächelst, bist schön... und ich möchte vergehen vor Wonne. Ich klebe an Dir, starre Dich an voller Ungläubigkeit, daß es so etwas Wundervolles geben kann...

...und trinke zuviel Wein.

Ich versuche, mich möglichst normal zu geben und falle dadurch erstrecht auf, rede Unsinn, stammele vor mich hin, ernte fragende Blicke... bis ich es nicht mehr aushalte und fliehe, fliehe auf die Bühne, wo irritierte Musiker mich gewähren lassen, als ich das Mikro nehme und ein Lied singe, ja ernsthaft, vor allen Leuten, aber nur für Dich...

Du hast den Teil, der einst mein Herz war. Warum nimmst Du mich nicht ganz?

Montag, 13. September 2010

Herbst

Wer dachte, der Frühling bliebe für immer? Er zog heran, ganz leise, zart und neu, die wundervollsten Verheißungen eingestickt in sein buntes Flatterband... Er wuchs, gedieh... schwoll an, ergriff mein liebend' Herz und sprach uns warm von Ewigkeit.

Voll erblüht entlud er sich in sommerlicher Pracht. Sonnenglut, Windrausch. Leben. Ein Augenblick schönen Scheins.

Und dann schwand seine Kraft. Das Leben wich. Es wurde ruhig. Nun ist er fort, verweht in totem Laub. Der Herbst ist da, und in ihm kein Warten mehr, kein Hoffen.

Kein Frühling bleibt für immer. Kein Augenblick währt ewig. Ich ziehe mich zurück, ich richte mich ein auf ein Dasein ohne Blütenträume. Ich gedenke der schönen Stunden...

...und lasse die Liebe sterben.

Donnerstag, 9. September 2010

Gedanken zur Integration

"In the first place, we should insist that the immigrant who comes here in good faith becomes an American (…). There can be no divided allegiance here. Any man that says he is an American, but something else also, isn't an American at all. We have but room for one flag, and that is the American flag. We have but room for one language here, and that is English. And we have but room for one sole loyalty, and that is loyalty to the American people. For a citizen to vote as a German-American, an Irish-American, or an English-American is to be a traitor to American institutions (…)."

Immigration und Integration sind derzeit in aller Munde, und so sehr ich mich auch bemühe, diesen Elfenbeinblog von politischen Fragstellungen freizuhalten, so wenig kann ich mich der Allgegenwart des Themas entziehen. Und wie ich mich also recherchierend und lesend mit der Sache beschäftige, stolpere ich über das obige Zitat von Theodore Roosevelt, seines Zeichens ein glühender Verfechter der Immigration, und ja, es regt mich zum Nachdenken an.

Daß sich Roosevelts Aussage in dieser Härte und Absolutheit nicht halten läßt, ist unbestritten. Die Wortwahl ist martialisch, der Inhalt undifferenziert. Aber ist der Grundgedanke, daß eine Gesellschaft eine gemeinsame Identität, eine gemeinsame Vision und eine gemeinsame Sprache braucht, nicht vollkommen berechtigt? Darf eine Gesellschaft, die massenweise neue Mitglieder aufnimmt, von diesen nicht durchaus Loyalität und das redliche Bemühen um Integration und Mitarbeit verlangen, so wie es jeder Schrebergartenverein tut? Und ist das Erlernen der Sprache und das Bekenntnis zu den Werten und Zielen unseres Landes nicht eine unbedingte Voraussetzung dafür, daß unsere pluralistische Gesellschaft dauerhaft funktioniert? Warum wird in Deutschland etwas, das völlig normal sein sollte, um einer verlogenen „politischen Korrektheit“ willen als „Zwangsgermanisierung“ denunziert? Warum erregt jeder Verweis auf eine deutsche Identität den Verdacht reaktionärer, faschistoider Realitätsverweigerung, obwohl „deutsch“ ja mittlerweile längst kein ethnisch-völkischer Begriff mehr sein sollte? Wenn wir selbst uns schon nicht mit unserem Land identifizieren, wie könnten wir es dann von Einwanderern verlangen?

Diese Fragen kommen mir in den Sinn. Ich selbst sehe keinen Widerspruch im Verhältnis von gemeinsamer Identität und pluralistischer Vielfalt. Es geht ja nicht darum, die Menschen verschiedener kultureller Herkunft systematisch zu vereinheitlichen – Gott bewahre, das wäre ja unerträglich fad! Nein, es geht darum, dem bunten Haufen von Menschen einen Integrationspunkt zu geben, einen gemeinsamen Nenner, zu dem alle sich bekennen können, weil er jedem entgegenkommt, jedem gerecht wird und niemanden ausgrenzt, und auf dem Vielfalt, Toleranz und Gleichberechtigung erst gedeihen können.

Wie das gehen soll? Ich habe nur ein paar Fragen gestellt. Meine Meinung zu dem Thema ist längst nicht ausgereift, und ich bin offen für eine Diskussion.

Mittwoch, 8. September 2010

Sprachgedanken

Kürzlich fiel einer aufmerksamen Leserin auf, daß ich mich hartnäckig der alten Rechtschreibung bediene, und ich erklärte ihr, diese Entscheidung beruhe auf linguistischen, ästhetischen und politischen Gründen. "Wieso auf politischen Gründen?", wurde ich gefragt, und ich finde, diese Frage verdient ein paar Gedanken, sei es nur als Diskussionsgrundlage, denn umfassend und eingedenk aller möglichen Argumente läßt sich ein so komplexes Thema in ein paar Blog-Zeilen natürlich nicht behandeln.

In aller Kürze (und ich bin mir der Ironie wohl bewußt, die darin liegt, ausgerechnet dieses Thema zu "vereinfachen"...) wäre also dies meine Antwort: Politische Gründe deshalb, weil die Simplifizierung der Sprache und die Auslöschung und Unkenntlichmachung ihrer historischen und ethymologischen Wurzeln die Breite ihrer Wissens- und Bildungsinhalte ebenso wie die Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten beschneidet und damit letztlich auch ein tiefgreifendes, kritisches Denken beschränkt. Denn Sprache ist nun mal der wichtigste Bewußtseinsträger und das unverzichtbarste Mittel zur Entwicklung und Formulierung von Ideen und Gedanken. Nicht umsonst hat Big Brother in Orwells "1984" als erstes die Sprache radikal vereinfacht, alle Synonyme abgeschafft und die Fähigkeit seines Volkes zum pluralistischen Ausdruck auch linguistisch beschnitten. Wer den Menschen eine komplexe, differenzierungsfähige Sprache nimmt, vereinfacht auf lange Sicht ihr Denken und macht sie manipulierbarer, weil sie sukzessive einfachen Antworten zugänglich werden.

Natürlich geht es bei all diesen Befürchtungen nicht darum, ob man Delphin mit f oder ph schreibt - diese Veränderung allein öffnet keiner Gedankenkontrolle Tür und Tor, das ist mir auch klar. Und natürlich hat sich Sprache, gerade die deutsche, immer entwickelt. Aber hier geht es nicht um den organischen Wandel einer lebendigen Sprache, sondern um eine staatlich verordnete Nivellierung. Es geht um eine in vielen Lebensbereichen unserer Gesellschaft erkennbare Tendenz, den Horizont der Dümmsten zum Maßstab des Zumutbaren macht, und dagegen wehre ich mich eben schon in den Anfängen.

Dienstag, 7. September 2010

Rückblende

Es ist unglaublich, wie sich manche Daten, Erlebnisse und Stimmungen bestimmter Lebensabschnitte im Kopf, im Herzen festsetzen und angelegentlich unmerklicher Schlüsselreize aus tiefster, jahrzehntelanger Versenkung wieder auftauchen. Heute zum Beispiel mußte ich unwillkürlich an meine allererste Freundin denken, Stefanie, ein zauberhaft hübsches 16-jähriges Mädchen mit blonden Locken und blauen Augen. Von ihr bekam ich den ersten richtigen Kuß meines Lebens.

Und so umhüllte mich den ganzen Tag genau jene Stimmung, jene Atmosphäre, in der ich damals, 1988, lebte. Alles schien so zu riechen, zu klingen und auszusehen wie damals, unzählige Erinnerungen an Menschen, Ereignisse und Gefühle jener Zeit durchzuckten mich wie ein Film, der blitzartig abläuft, und vorhin ertappte ich mich sogar dabei, die Kassette zu hören, zu der wir damals oft geschmust haben - eine recht bunte Mischung aus Grönemeyers "Ö", George Michaels Debüt-Album (ja, sein Debüt!), BAP, Falco, ein paar zeitlosen Klassikern von Dean Martin und Glenn Miller, die ich immer schon mochte, und schließlich Dooley Wilsons "As Time Goes By", das sozusagen "unser Lied" war.

Na gut, es ist längst keine Kassette mehr - ich habe vor ein paar Jahren alle Lieder, die ich damals wild aus dem Radio aufgenommen hatte, als mp3 heruntergeladen und in der originalen Reihenfolge in einem eigenen iTunes-Ordner abgelegt. Die Kassette hatte ich 1988 mit "Steffi-Kassette" beschriftet, und genau so heißt bis heute der Ordner.

Und eben fiel mir ein, warum diese schöne, jugendliche Erinnerung heute so außerordentlich präsent war - es ist ihr Geburtstag! Die süße 16-Jährige wird heute 38. As time goes by... Alles Liebe und Gute, Steffi!

Montag, 6. September 2010

Baut es.

Robin Gibb, der ehemalige Sänger der Bee Gees, bekommt endlich, was er wollte - ein Ehrenmal für die Bomberpiloten der Royal Air Force, die im Zweiten Weltkrieg deutsche Städte bombardierten und zuletzt Dresden in Schutt und Asche legten. Mitten im Londoner Green Park wird ihr Einsatz nun gewürdigt.

Warum ausgerechnet Gibb sich so sehr dafür eingesetzt hat, die britische Luftwaffe zu ehren, mag dahinstehen. Viel offensichtlicher drängt sich die Frage auf, ob nicht die Ehrung von Männern, die in einer Nacht 25.000 Zivilisten und eine der schönsten Städte Deutschlands auslöschten, als - gelinde gesagt - Geschmacklosigkeit gesehen werden muß.

Wollte man sich auf eine Diskussion deutscher und britischer Standpunkte einlassen, so kämen von beiden Seiten gut vertretbare Argumente. Gibb selbst bringt zum Beispiel vor, die Piloten seien Helden gewesen, die Deutschland letztlich Frieden und Freiheit gebracht hätten. Dagegen ließe sich einwenden, daß die Vernichtung Dresdens im Februar 1945 mitnichten kriegsentscheidend gewesen ist. Dennoch, so könnte die britische Argumentation weitergehen, war es doch wohl Deutschland, das den Krieg begonnen und ihn später sogar "total" geführt habe. Wer sich so verhalte, müsse damit rechnen, daß die angegriffenen Völker ihre Freiheit mit denselben Mitteln verteidigten. Auch richtig. Gleichwohl widerspricht die planmäßige Tötung von Zivilisten der Genfer Konvention und wird bis heute auch im Fall Dresden von vielen Experten als Kriegsverbrechen gewertet.

Und so könnte man ewig fortfahren. Der kleinste gemeinsame Nenner ist, daß Krieg an sich blöd ist, aber er hat nun einmal stattgefunden. Alle weiteren Konflikte entspringen dem allzu menschlichen Phänomen der unterschiedlichen, historischer Perspektive und Prägung geschuldeten subjektiven Wahrnehmung und sind daher nicht vollständig auflösbar.

Ja Himmel, dann baut halt Euer dämliches Ehrenmal, wenn Ihr Euch dann besser fühlt! Alle britischen Waffengattungen außer der RAF haben eins, sogar die Spürhunde, die in den Londoner Trümmern eingesetzt wurden, und das Königreich braucht Helden, denn der Komplex, daß eine abtrünnige Kolonie dem einst mächtigen Empire auf gut Amerikanisch gesagt "den Arsch retten" mußte, wiegt ebenso schwer wie die Erkenntnis, daß Deutschland seither in vielerlei Hinsicht sehr viel besser dasteht als Großbritannien. "Who won the war, anyway?" Tja...

Natürlich erscheint es einem aufgeklärten, zeitgemäß denkenden Menschen befremdlich bis lachhaft, in bronzenem Kitsch verstaubtes Heldentum zu zelebrieren. Indes - belassen wir es doch dabei. Mag im Green Park nun ein Bomberdenkmal stehen oder nicht - meinen vielen Freundschaften im Vereinigten Königreich und meiner glühenden Liebe zu London wird das nicht den geringsten Schaden zufügen. Heute ist heut'.

P.S.: Das vom britischen Volk gestiftete und vom Sohn eines Bomberpiloten gefertigte Turmkreuz auf der wiederaufgebauten Dresdener Frauenkirche spricht eine andere Sprache als die dumpfe Heldenverehrung. Solche Gesten gibt es heutzutage gottlob auch.

Donnerstag, 2. September 2010

Ode an den Biber

Was für ein wunderbares Tier der Biber ist! Fleißig nagt er Tag für Tag Bäume nieder, um daraus Dämme zu bauen, Bäche aufzustauen und somit einen sicheren und lebensgünstigen Wasserstand zu schaffen. Er lebt in Einehe und beherbergt seinen Nachwuchs, bis dieser alt genug ist, die elterliche Burg zu verlassen und selbst für den Bestand der Art zu sorgen. An sein Leben im Wasser ist er mit seiner Kelle (dem paddelartigen Schwanz), den Schwimmhäuten an den Hinterfüßen und seinen 23.000 Haaren pro Quadratzentimeter Fells bestens angepaßt; er existiert in vollkommener Harmonie mit seiner Umgebung, seiner Familie und seiner täglichen Beschäftigung.

Harmonie und Sicherheit... das zeichnet so ein Biberleben aus. Eine monogame Beziehung, liebende Brutpflege, tägliches Werken am sicheren Damm und das zufriedene Dasein in einer artgerechten Umgebung. Ein ebenso bescheidener wie berechtigter Anspruch ans Leben; eine freiwillige Selbstbeschränkung, in der für diese Tiere das ganze Glück der Welt liegt.

Beneidenswert, irgendwie. Ein Lebensentwurf, der von Beständigkeit, von verläßlichen Größen und festen Werten definiert wird. Keine Ablenkungen, keine Zweifel, keine hochfliegenden Ideen, Phantasien und Ambitionen, die den eigenen Horizont und letztlich auch die eigene Lebensfähigkeit weit überspannen und am Ende zum Scheitern verurteilt sind... Ein realistisches, in den dieser Spezies gegebenen Möglichkeiten und Normen verwurzeltes Dasein. Wunderbar.

Hasen hingegen, um ein konträres Beispiel zu geben, hoppeln nur blöd herum, boxen sich ebenso wichtigtuerisch wie albern mit Rivalen, rammeln, was nicht bei drei weiß Gott wohin geflüchtet ist, und leben in der ständigen, ohrenspitzen Panik, etwas zu übersehen oder zu verpassen. Sie bauen noch nicht einmal unbedingt ein dauerhaftes Nest, sondern suchen in zufälligen Bodenvertiefungen ihren kurzfristigen Schutz. Recht erbärmlich, wenn man es mit der soliden Lebensweise der Biber vergleicht. Aber eben Hasennatur. Wer wollte darüber urteilen?

Zu vermuten ist jedoch, daß mancher Hase, der weiter als seine durchschnittlich begabten Artgenossen zu blicken und tiefer als jene zu empfinden imstande ist, sich heimlich und gegen seine offenkundige Natur nach einem Biberleben sehnt. Nicht nach dem Wasser vielleicht, auch wenn Hasen sehr gute Schwimmer sind und letztlich wohl sogar mit dem nassen Element zurecht kämen. Aber doch nach der dauerhaften Gültigkeit der Verhältnisse, nach der Verbindlichkeit des Lebensmodells, das den Verlust an launenhaften, unbegrenzten Selbstverwirklichungsmöglichkeiten tausendfach mit Halt und Verläßlichkeit entgilt.

Vielleicht hat der Biber das Zuhause, das der Hase sich wünscht. Ob sie aber jemals zusammenleben könnten, steht dahin.

Mittwoch, 1. September 2010

Postmortale Wünsche

Immer wieder erstaunt mich, welch genaue Vorstellungen viele Menschen davon haben, was nach dem Ableben mit ihrem Körper geschehen soll. Mancher wünscht sich, unter einer Trauerweide begraben zu werden, ein anderer möchte einen Rosenstock auf dem Grab haben. Wieder andere wollen verbrannt werden und ihre Asche an einer bestimmten Stelle - in ihrem Garten, an der Klippe ihrer Lieblingsküste oder auf dem Meer - verstreut wissen.

Irgendwie rührt mich das zutiefst... und bleibt mir doch fremd. Ich empfinde solche Vorstellungen als sehr "lebend" gedacht, sehr im Diesseits verhaftet, und eigentlich belastet man damit das eigene Dasein bis zum Tode mit der überflüssigen Ungewißheit, ob denn wenigstens diese letzten Wünsche erfüllt werden - einer für meinen Geschmack allzu weltlichen Frage.

Mir ist es offen gestanden völlig gleichgültig, was mit meinem Kadaver geschieht. Meinetwegen kann man meine Überreste auf dem nächsten Acker unterpflügen, kompostieren oder zu Fischfutter verarbeiten. Es ist nur ein toter Körper, der zu nichts da war als mich durch das Erdendasein zu tragen, solange dieses eben währte. Wenn ich mir bange Gedanken darum machte, was nach meinem Dahinscheiden damit geschieht, würde ich den ganzen Reiz, der im Tode liegt, doch von vornherein ad absurdum führen.

Denn das wirklich Nette am Totsein ist doch, daß man mit einemmal völlig frei wird von aller Körperlichkeit, leicht und weit erhaben über aller Mühsal der physischen Existenz schwebt und mithin die Sorgen, Wünsche, Nöte, Hoffnungen und Ziele des irdischen Lebens so wunderbar belanglos werden, daß man lächeln könnte ob der Kleinheit des lebendigen Denkens und Empfindens, wenn man denn noch einen Mund dafür hätte... Man sieht plötzlich das große Ganze, jede einzelne Faser des universellen Gewebes, das alles trägt und alles prägt was kreucht, fleucht, lebt, liebt, irrt, sündigt und strebt. Man sieht es, man versteht es, und man ist ganz und gar versöhnt mit allem, weil man an einem höheren, einem universellen Bewußtsein teilhat, dem es gleich ist, wie und wo sich der Leib denn diesmal zu Erde zersetzt, weil jedes Molekül des Körpers schon unzählige Male in unzähligen Wesen gelebt hat und gestorben ist.

So stelle ich es mir jedenfalls vor. Oder aber - auch das ist denkbar - es kommt nichts, absolut gar nichts nach dem Tode. Dann ist es erstrecht egal, wo man verrottet.

(Den Aspekt, daß es den Hinterbliebenen Trost geben mag, einen Verstorbenen an einer bestimmten Grabstelle physisch-real "besuchen" zu können, habe ich hier zugegebenermaßen außer acht gelassen... Na gut, dann pflügt mich halt doch nicht unter.)

Dienstag, 31. August 2010

Das Meer

Jedesmal berührt, erfaßt, durchspült es mich - das Meer. So vielfältig ist es beschrieben und besungen worden, daß ich mich fast scheue, ihm einen eigenen Text zu widmen - als Ursprung des Lebens und als Verführung zum Tode, als Sinnbild der Leidenschaft und zugleich der ewig sich wiederholenden Gleichförmigkeit des Seins.

Mir ist das Meer ein alter Freund. Seine unendliche Weite, sein ewiges Rauschen, seine Launen, seine Tiefe und Unergründlichkeit... all das sind Eigenschaften, die ich als anziehend und verwandt empfinde, und die mir Ruhe und Kraft geben.

Vielleicht, weil die Seele genau die gleichen Eigenschaften besitzt. Wie das Meer rauscht sie tief und unergründlich in uns, ist mal sanft und perlend, mal zerstörerisch tobend, nährt das vielfältigste Leben unserer Innerlichkeit und vernichtet es im nächsten Moment, und so gern sie Menschen an sich heranläßt, ja in sich aufnimmt, auf daß sie sich erfrischen und erfreuen, so einsam bleibt sie im Grunde immerdar.

Es mag Zufall sein, daß das Wort "Seele" mit "See" beginnt. Aber es kommt mir gerade sehr sinnig vor.


Dienstag, 17. August 2010

Ein Lied in allen Dingen

Momentweise habe ich sie noch, jene intensive Weltwahrnehmung, die mir als Kind ganz alltäglich war. Alles schien mir damals beseelt, das Wesen eines jeden Gegenstandes, jeden Ortes und jeden Geschehens spürbar.

Sachen, die von Menschen gemacht wurden, enthielten für mich ohnehin stets ein Stückchen des schöpferischen Geistes und der handwerklichen Hingabe, die jemand darauf verwendet hatte, aber auch natürliche Dinge wie heruntergefallene Äste oder Steine am Wegesrand erschienen mir von einem universellen, göttlichen Geist durchdrungen, der alles zusammenhielt und allem Sinn gab. Das Welken eines braunen Blattes etwa, das im Herbst zu Boden gefallen war, erschien mir edel, weil es damit erstens einem höheren lebenszyklischen Sinn diente, und sich zweitens obendrein bemühte, zu jener wundervollen Herbststimmung beizutragen, die ich so liebte. Ich konnte all das spüren, und still dankte ich dem Blatt für sein rührend-schönes Opfer.

Wenn ich auf einem Spaziergang einen Stock aufsammelte, um eine Weile damit zu gehen oder zu spielen, war ich schon nach Minuten nicht mehr imstande, ihn wieder wegzuwerfen, nicht etwa, weil ich ihn unbedingt hätte haben wollen - meistens wurde er mir sogar recht bald lästig - sondern weil ich eine weltgeistige Beziehung zu ihm entwickelt hatte und vermutete, daß dies irgendwie, und sei es auf einer höheren Ebene, auch umgekehrt der Fall sei, daß also der Stock, nachdem er mit mir in Berührung gekommen war und mich ein Stück Weges begleitet hatte, nicht mehr nur ein beliebiges Stück Holz war, das sich beim Wegwerfen sogleich wieder in den Waldboden einfügen würde, sondern mich vielmehr "vermissen" und sich verstoßen fühlen werde.

Heute ist meine Weltwahrnehmung natürlich ein wenig abgestumpft, und die kindliche Vorstellung davon, daß alles lebt und fühlt und denkt, ja daß man nur ein Zauberwort zu treffen habe, um die Welt zum singen zu bringen, ist einer etwas pragmatischeren Sicht der Dinge gewichen. Und dennoch ertappe ich mich dabei, mich von vielen Dingen nicht trennen zu wollen, weil sie mir "leid tun", oder mich bei einem Hotelzimmer zu verabschieden und für die Beherbergung zu bedanken, wenn ich es mit gepackten Koffern verlasse...

Ich lächele dann meist über mich selbst, über das Kind in mir. Es ist schon ein wenig exzentrisch. Aber ganz verlieren möchte ich den Glauben an die Beseeltheit der Welt denn doch nicht.


Samstag, 14. August 2010

Experiment 1 - Drei Bilder

1.
Ein Haar bricht ab.
Heraus tropft Blut.
Ist das normal?

2.
Licht fällt auf die Hand.
Das ist ihr peinlich.
Dem Licht nicht.

3.
Regen spritzt aus dem Boden
und flieht in die Wolken.
Die Blumen schütteln den Kopf.
Wasser ist doch dumm.

Freitag, 13. August 2010

Von Altem und Neuem

Das Leben, so wenig originell diese Feststellung ist, besteht aus vielen Veränderungen, und so erscheint es durchaus sinnvoll, einzelne Lebensphasen danach zu unterscheiden, was sie prägt, was während ihrer Dauer richtig und wichtig erscheint und was irgendwann im Reich der Erinnerungen versinken muß, sei es, weil es seinen Zweck erfüllt hat, sei es, weil es uns nicht mehr gut tut, sei es auch, weil sich etwas Neues, etwas Besseres entwickelt hat.

Oft jedoch, wenn eine Gegebenheit wichtig und prägend war, fällt es nicht leicht, sie abzuschließen und zu überwinden. Unserer rationalen Erkenntnis ist längst bewußt, daß wir loslassen und einen Schritt weiter gehen sollten, aber bis diese Einsicht endlich auf die Handlungsebene durchsickert, vergeht Zeit.

Viele Menschen argumentieren in solchen Phasen, sie seien für Neues nicht offen, da sie schließlich das Alte noch zu überwinden im Zuge seien. Neue Möglichkeiten, so sagen sie, kämen in diesen Phasen einfach zur falschen Zeit. Eine Weile lang ist das auch absolut verständlich, aber irgendwann läuft man Gefahr, dieses Argument zur Ausrede für die eigene Unbeweglichkeit zu machen.

Denn etwas Altes überwinden zu wollen, indem man sich gegen das Neue sperrt, und damit ein inneres Vakuum zu schaffen, in dem der Trennungsschmerz auf nicht absehbare Zeit weitergären kann, erscheint widersinnig, und ein Mensch in dieser Situation sollte zumindest den Gedanken zulassen, daß das ausgerechnet im Umbruch sich darbietende Neue nicht nur nicht zur falschen, sondern sogar genau zur richtigen Zeit ins Leben gekommen sein könnte, ja, ob nicht, etwas pathetisch ausgedrückt, neue Möglichkeiten ein Angebot des Schicksals an uns sind, genau das zu bekommen und anzunehmen, was wir gerade brauchen, ohne daß wir uns dessen bereits völlig bewußt sind.

Die Frage also, die wir uns in jeder Umbruchphase unseres Lebens stellen sollten, ist, ob wir allen sich unerwartet ergebenden Möglichkeiten zum Trotz auf der prinzipiellen Entscheidung beharren, gerade nicht offen zu sein, oder ob wir uns zumindest insoweit auf das Neue einlassen als wir den Gedanken an seine mögliche Richtigkeit zum Teil unseres Entwicklungsprozesses machen und vielleicht gerade dadurch endlich vom Alten loskommen.

Donnerstag, 12. August 2010

Nacht der Sternschnuppen

Nacht der Sternschnuppen, Nacht der Wünsche... Nacht vielleicht auch der Enttäuschungen, denn oft genug verglühen unsere hochfliegenden Wünsche in der Atmosphäre des Lebens wie eben jene Meteoritentrümmer, die so gar nichts von einem Stern haben und uns in der Schönheit ihrer Erscheinung doch nur Zeugen ihres Vergehens werden lassen - welch wunderbar faustisches Opfer!

Doch die wunscherfüllende Wirkung der Sternschnuppen bleibt ein Aberglaube, und so rührend dergleichen ist, so lebensfern ist es auch. Gewiß mag es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde geben, als sich unsere Schulweisheit träumen läßt - ohne diese Überzeugung wäre mir das Leben unendlich fad. Aber um sich etwas zu wünschen, braucht man keine Sternschnuppe. Das darf man immer. Und wenn man dem Wunsch das Bemühen um Erfüllung beigesellt, das leidenschaftliche Streben und Werben darum, daß das Gewünschte wahr wird, dann lebt man ganz bei sich und wird verschmerzen können, wenn man hier und da vergebens sich bemüht. Nur unversucht darf man es nicht lassen.

Über Wien sind übrigens keine Sternschnuppen zu sehen. Die Stadt ist zu hell, zu stumpf vielleicht gegen die Feinheit kosmischer Erscheinungen. Aber das macht nichts. Ich wünsche mir trotzdem etwas. Und ich werde mich nach Kräften darum bemühen.

Montag, 9. August 2010

Sinn und Seligkeit

Neulich wollte jemand, der gerade mit einer bestimmten Lebenslage haderte, von mir wissen, ob man nicht einen Teil seines Herzens zu Eis mache, wenn man sich angewöhne, nicht immer alles verstehen zu müssen.

Nun - schon die Frage ist irreführend. Denn man gewöhnt sich das Nichtverstehenmüssen ja gar nicht an. Vielmehr akzeptiert man lediglich die Tatsache, daß man ohnehin nicht alles verstehen kann. Das Leben ist hochkomplex, und die Menschen sind nun mal verschieden. Kaum ein Verhalten folgt einer Logik, und wenn doch, dann einer sehr individuellen, die von ganz persönlichen Erfahrungen geprägt und damit für andere nicht nachvollziehbar ist.

Dabei ist der Drang, alles verstehen zu wollen, durchaus nachvollziehbar. Man möchte das Leben verstehen, um es zu ertragen. Denn an sich ist es ja eine Zumutung! Man wird ungefragt auf die Welt geworfen, und je älter man wird, desto mehr Aufgaben und Probleme stellen sich. Wir rackern uns ab, suchen nach dem Sinn und wünschen uns ein Stückchen Glück. Den Sinn glauben wir nur zu finden, wenn wir alles, was geschieht, irgendwie begründen können. Das Leben aber verläuft nicht anhand starrer Muster, sondern wabert herum und nimmt oft unberechenbare Wendungen, die uns enttäuschen oder verletzen, weil sie unserer Denk- und Erwartungslogik nicht entsprechen. Und genau so verhalten sich die Menschen. Damit kann man hadern – oder man kann es akzeptieren und in jedem Rückschlag eine Chance auf positive Veränderung sehen. Und schon ist man dem Sinn des Lebens und dem Glück ein Stückchen näher.

Wenn wir also akzeptieren, daß Menschen immer wieder auf eine uns absolut nicht erklärbare Weise handeln, dann vereisen wir nicht unser Herz, sondern wir erwärmen es sogar mit einer großmütigen, verständigen Toleranz gegenüber dem unsagbar menschlichen Faktum, daß nun mal einjeder anders tickt und nicht zwingend unseren Erwartungen entsprechen muß. Nicht alles verstehen zu müssen wird somit zu einer höheren Stufe der Menschlichkeit.

Donnerstag, 5. August 2010

Ein neuer Tag

Ein neuer Tag, ein neues Leben. Alles strahlt, als habe jemand den Himmel frisch gestrichen, ihm kunstvoll kleine Wölkchen aufgetupft und nebenbei noch schnell die Sonne poliert. Die Luft ist klar, die Bäume duften.

Ich bin allein. Meine Seele hat sich gehäutet und schnuppert zart, verletzlich, behutsam und doch neugierig ins Leben hinaus...

Kein Zwang, etwas zu tun. Kein Druck, etwas zu erreichen. Leidenschaft muß sich nicht zwingen. Begeisterung braucht keinen Druck. Das Leben geschieht. Es wabert verspielt umher wie eine Qualle, der man gelegentlich einen kleinen Schubs gibt, um die Grundrichtung zu wahren. Packt man sie und stößt sie grob voran, wird sie niemals ihre elegante Leichtigkeit und jene unbeschreibliche Schönheit entfalten können, zu der sie in der schwerelosen Freiheit ihres Elementes veranlagt ist.

Alles findet sich. Heute ist ein neuer Tag.

Mittwoch, 4. August 2010

Leben

Leben:
Liegen, lernen, laufen, lachen.
Löchern, loben, lästern, laben.
Lodern, lieben, leiden, lassen.
Locken, lagern, lecken, lutschen.
Lügen, lösen.
Legen.
Lüften.

Dienstag, 3. August 2010

Groß sein

Groß sein ist toll! Man ist erwachsen (oder wird zumindest allenthalben so wahrgenommen) und darf deshalb alles tun, was man als Kind nicht durfte. Zum Beispiel kann mir heute niemand verbieten, um 2 Uhr nachts einen Liter Vanilleeis zu essen, wenn mir spontan danach ist. Oder lange aufzubleiben. Oder Kaffee oder Alkohol zu trinken.

Und dennoch, so seltsam das ist, muß ich auch heute immer erst den Reflex überwinden, das ja eigentlich nicht zu dürfen.

Dabei bin ich nicht allzu streng oder gar autoritär erzogen worden. Aber es gab doch klare Grenzen und Regeln, und manches war aus durchaus vernünftigen Gründen eben nicht gestattet. In Unmengen und zu Unzeiten Eis zu essen zum Beispiel, wirft ja nun unbestritten sowohl medizinische als auch moralische Probleme auf, und so wurde mir dergleichen eben mit liebevoller Strenge untersagt.

Heute hingegen entscheide ich über diese Dinge selbst, und wenn die kindliche Lust im entscheidenden Moment alle gesundheitlichen und ethischen Bedenken überwältigt, dann esse ich eben Eis! Das Schöne daran ist, daß sich das Kind in mir die Hemmschwelle jener heimlichen Einsicht, dergleichen nicht tun zu sollen, bewahrt hat und umso lustvoller und bewußter den Bannkreis kindlicher Reglementiertheit durchbrechen und ungehindert in die freie Sphäre erwachsener Autonomie eindringen kann...

Die Freude darüber durchrieselt mich jedesmal aufs Intensivste. Sie ist nur dem Gefühl vergleichbar, das man als Kind hatte, wenn etwas an sich Verbotenes ganz unerwartet und ausnahmsweise doch gestattet wurde.

In Gegenwart meiner Mutter machen derartige Grenzüberschreitungen übrigens noch mehr Spaß! Sie versucht natürlich (wie alle Mütter auf der Welt) immer noch, mir nahezubringen, was gut und was schlecht für mich ist, und ich finde das süß und liebe sie sehr dafür. Und ich bin ihr dankbar für die Regeln und Grenzen, die sie mir als Kind auferlegte, denn sie befähigen mich heute dazu, die Freude an den Dingen, die ich mir gönne und gewähre, viel intensiver und bewußter zu empfinden, als wenn alles schon immer selbstverständlich gewesen wäre.

Danke, Mülein. Groß sein, wenn man sich ein wenig klein zu halten weiß, ist wirklich toll.

Montag, 2. August 2010

Möglichkeiten

Mit dem Zählen der Sandkörner in der Wüste bin ich fertig. Es sind weniger als ich dachte. Nun sitze ich auf dem Rand des Universums und lasse die Beine ein wenig im Nichts baumeln. Das kribbelt immer so schön.

Vielleicht pflücke ich mir einen Stern vom Himmelszelt - einen, der noch strahlt, und nicht einen längst ausgebrannten, der uns mit jahrtausendealtem Licht belügt - und erhelle mir damit den Weg zum Ende des Regenbogens. Ich könnte mir ein Einhorn fangen und hinreiten; das habe ich lange nicht mehr gemacht.

Heute traue ich mir alles zu, und nichts scheint unmöglich. Wie kommt das nur?


Freitag, 30. Juli 2010

Seelenmeer

Mein Herz wird an Dir brechen
wie eine Welle an der Klippe.
Ich weiß es wohl,
und brande doch heran
mit aller Kraft.
Vielleicht, daß ein Tropfen bleibt,
der Deinen Stein einst höhlt.

Mittwoch, 28. Juli 2010

Die Kraft in der Ruhe (Teil 2)

Zuweilen wundere ich mich über mich selbst. Über all die Entwicklungen, die ich durchgemacht habe, und die mich - meiner unerschütterlichen Überzeugung zum Trotze, ich würde mir auf ewig das innere (ein bißchen jähzornige) Kind bewahren - haben reifen und über viele ursprüngliche Anlagen meines Wesens hinauswachsen lassen.

Ich bin ruhig geworden, so ruhig, daß kaum mehr etwas mich aus dieser Ruhe zu bringen vermag. Die Verbissenheit, mit der ich Menschen zu beeinflussen versuchte, und die Ungeduld, wenn etwas nicht sofort so lief, wie ich es mir vorstellte - all das ist mir zutiefst fremd geworden. Dinge, die mich bis vor kurzem maßlos aufregten, verärgerten, zu zorniger Verzweiflung trieben und ein meiner gediegenen Erscheinung zugegebenermaßen kaum anzumerkendes Temperament anstachelten, Menschen, die mich in ihrer Sturheit und Engstirnigkeit einfach nur wütend machten, Enttäuschungen, die bange Hoffnungen ebenso grausam wie gründlich zerstörten - all das vermag ich zu meinem eigenen Erstaunen heute mit heiterer Gelassenheit zu betrachten, wie ein Vogel, der aus der Luft auf das große Ganze eines Labyrinthes und all die Gestalten, die darin herumirren, hinabblickt.

Damit man mich nicht mißversteht: Weder beschreibe ich einen Zustand der Teilnahmslosigkeit, noch einen solchen der Überheblichkeit! Ich bin einfach nur gelassener geworden. Die letzten Jahre, die mich in einen Strudel des heil- und haltlosen Chaos' gezogen und mein Leben von innen nach außen gekehrt haben, die mich immer wieder zu den höchsten, vermessensten Trugbildern emporrissen, um mich hernach in tiefste Täler hinabzuschleudern, haben mich nun auf einer höheren Bewußtseinsstufe wieder ausgespuckt und mir damit eine Perspektive eröffnet, die mich weit mehr als früher (wenngleich nicht alles) verstehen und verzeihen läßt.

Natürlich ist mir nicht alles egal, und natürlich bleibe ich verletzlich, wenn mich etwas enttäuscht. Aber ich kann es besser einordnen und die vielen, vielen anderen, guten, schönen und richtigen Dinge im Leben erkennen und dagegenhalten.

Ja, meine Kraft liegt in der Ruhe. Sie befähigt mich, seit Jahren erstmals wieder zu schreiben, für andere da zu sein, zu streben, zu lieben und zu hoffen, ohne daß es mich zerstört, wenn dabei nicht alle Blütenträume reifen...

Die Kraft in der Ruhe (Teil 1)

Wien ist keine beruhigende Stadt. So gemächlich die Wiener erscheinen, so langsam das Leben vonstatten geht, und so sehr die imperiale Pracht der Bauwerke Kontinuität vorzutäuschen versucht - so dunkel und stark ist doch die Beunruhigung, die einem unsichtbaren, tödlichen Nebel gleich aus dem Boden aufzusteigen und unbemerkt bis in die Seelen der Menschen zu sickern scheint, jener Menschen zumindest, die Wien ganz zu spüren vermögen...

Wien hat etwas Bedrohliches, etwas Mystisches, und das vielzitierte "Morbide" der Stadt, das in allen Gassen hängt, beunruhigt allein dadurch, daß es uns die Vergänglichkeit allen Seins und damit auch irgendwie die verzweifelte Sinnlosigkeit unseres Strebens auf so subtile und doch deutliche Weise spüren läßt. Denn so sehr wir uns an den alten Bauten erfreuen, und so prächtig und mächtig die Anlagen, Plätze und Palais uns erscheinen, so sehr kann sich etwas in uns nicht gegen die Erkenntnis wehren, daß all dies eine tote Zeit repräsentiert, eine hochfliegende, selbstherrliche Epoche, deren Ewigkeitsanspruch in einem düsteren Blutfest ruhmlos unterging...

Genau dieser tiefen Abgründigkeit wegen, die Wien hinter seinem fröhlich-modernen Stadtleben verbirgt wie ein peinliches Gespenst in einem Schloßhotel, ist seine Wirkung nachgerade mephistophelisch. Es vermag einen Menschen genial zu machen, aber es fordert dafür seine Seele.

Ziemlich trübe, hm? Wie läßt es sich leben in einer solchen Stadt?, mag mancher fragen. Nun, gar nicht schlecht. Fordern kann Mephisto ja, was er will. Meine Seele bekommt er nicht, und das Gespenst läßt sich bestens ignorieren, wenn es einem gut geht und man - der beunruhigenden Wirkung Wiens zum Trotz - gerade ganz ruhig und ausgeglichen ist. Dann werde ich eben nicht genial, sondern bescheide mich mit der Hausgebrauchsbegabung, die mir auch ohne das kurzsichtige Eingehen teuflischer Pakte mitgegeben wurde.

Denn in der Ruhe liegt tatsächlich alle Kraft, ganz besonders in jener Ruhe, die sich inmitten der latenten Ruhelosigkeit zu behaupten vermag. Und ruhig bin ich zurzeit.

Doch dazu mehr im zweiten Teil! (Das wollte ich immer schon mal sagen!)

Dienstag, 27. Juli 2010

Fragment

Ist ein abgeschloss’nes Glück
Nicht viel leichter zu ertragen
Als ein ruheloses Jagen
Zu der einen Chance zurück?

Montag, 26. Juli 2010

Tag vor dem Abend

Normalerweise habe ich irgendetwas im Kopf, bevor ich zu schreiben beginne - eine Idee, ein Thema, ein Leitmotiv, wenigstens einen Wortwitz. Heute jedoch ist da nichts, und ich schreibe einfach drauf los.

Es war ein blöder Tag für mich. Wien ist grau, kühl und windig, und mir wollte seit dem Aufstehen nichts gelingen, nichts einfallen. Menschen, von denen ich mir seit Tagen ein kleines Signal ersehne, blieben stumm, und andere, auf deren Wortspenden ich gut hätte verzichten können, belatscherten mich mit Nichtigkeiten.

Den ganzen Tag umgab mich meine eigene Mißstimmung wie eine bleigraue, giftige Wolke. Ich war traurig, reizbar, egozentrisch und kleinlich. Was ich mir vorgenommen hatte, tat ich nicht. Stattdessen verbrachte ich den Tag unproduktiv und selbstmitleidig in meiner Wohnung. Ich las nichts, schrieb nichts, sprach mit niemandem und gammelte nur herum. Nur einmal ging ich kurz hinaus, kaufte um 30 Euro Eis und Süßigkeiten und versuchte, mithilfe eines gründlichen Zuckerschocks meine Stimmung zu heben.

Bis mir meine beste Freundin schrieb. Ob wir am Abend telefonieren wollten, fragte sie. Eigentlich war ich verabredet, und zänkisch, wie ich war, warf ich ihr in knappen Worten hin, daß ich keine Zeit haben würde. Aber was sind Verabredungen, wenn man ein so schlechter Gesellschafter ist wie ich es heute bin. Und wenn die beste Freundin, dieses ferne, kaum je erreichbare Wesen, in einem plötzlichen Liebesanfall telefonieren will.

Und dann tat sie etwas Seltsames. Sie schrieb mir einen Brief in einem eigens angelegten Blog. Und es beglückte und befremdete mich gleichermaßen... Und wir telefonierten... und klärten... und verstanden... und beschlossen, den Blog zur Literatur zu machen und ihn eine eigene, von unserem tatsächlichen Verhältnis ganz unabhängige Entwicklung nehmen zu lassen.

Nun gibt es ihn. Ein neues Projekt. Neugeboren, zart, voller Möglichkeiten. Und es gibt uns. Sie und mich. Erprobt, feuergetauft und einander in freundschaftlicher Liebe zugetan.

Und plötzlich ist mein Tag gar nicht mehr so schlecht.

Sonntag, 25. Juli 2010

Eine Affäre

Es ruht in meinem Herzen, und mein Herz in ihm, meinem Geheimnis, das nur wir beide kennen. Es durchwebt mein Denken, mein Tun, mein Leben, geheim, geborgen, ganz bei mir. Ständig lausche ich seiner Stille. Es schweigt so laut, daß ich fürchte, jeder müsse es hören. Es hält mich so fest, daß ich mich endlich frei fühle.

Meine Zuflucht, meine heimliche Heimat, mein geheimstes Geheimnis. In dieser Sondersphäre meines Seins, die der alltäglichen Wirklichkeit enthoben scheint, bin ich, wie ich sein will. Im Verborgenen offenbart sich das Leben. Im Dunklen erst sehe ich absolut klar.

Weil ich Dich finde, ohne zu suchen.

Freitag, 23. Juli 2010

Eben

Wolkenschweben,
Herzensbeben.
Worte weben,
weitergeben.
Niemals kleben,
sich erheben,
höher streben.
Leben leben.

Donnerstag, 22. Juli 2010

Ewige Jugend

Oft wird sie beschworen, die ewige Jugend, und für viele Menschen scheint sie allen Ernstes erstrebenswert zu sein. Mit Cremes und Fitnessprogrammen, ja sogar mit Operationen wird dem Altern ein Kampf geliefert, der insoweit besonders tragisch wirkt als man ihn letztlich doch nur verlieren kann.

Dabei gibt es durchaus Bereiche, in denen die ewige Jugend kein Traum, sondern unbedingte Realität ist, und ich muß bekennen, daß mich das eher irritiert als erfreut. In der Liebe zum Beispiel. Mal ehrlich - sind wir nicht alle ewig 17, wenn wir uns verlieben? Werden wir nicht genauso unsicher und verlegen wie damals, wenn wir mit klopfendem Herzen und grummelndem Magen an die Eine denken? Und obschon wir diese Liebesnarretei an uns selbst altersweise belächeln, stellen wir uns doch dieselben Fragen: Soll ich es ihr sagen? Und wenn, dann wie? Und was mache ich nur, wenn sie nicht interessiert ist?

Und so drücken wir uns eine gute Weile um eine deutliche Erklärung unserer ewig jugendlichen Gefühle herum, um ja nichts falsch zu machen, das geliebte Wesen nicht zu verschrecken und die schöne Illusion, es könne alles gut enden, nicht durch die grausame Gewißheit zu verdrängen, daß man vergebens geliebt und sich bemüht hat und niemals erwidert bekommen wird, was man so glühend empfindet... Also schicken wir kleine Geschenke und senden liebe Grüße... und umgekehrt keine Signale zu erhalten (was man vernünftigerweise zu deuten wissen müßte), ist uns - eine Zeitlang - lieber als die eine endgültige Absage, die unseren Traum wie eine Seifenblase zerplatzen läßt... denn der Traum ist schön, beglückend und erhebend, solange er eben dauert...

Ewige Jugend, und kein Zeichen von Reife und Weisheit, wenn der Flammenpfeil das Herz durchbohrt. Irgendwie rührend. Liebe braucht keine Cremes. (Eine Herzbruchsalbe wäre freilich fein.)


(Anmerkung: Liebe Leser, hört auf, mich zu fragen, ob ich verliebt sei! :-) Dies ist ein Blog, kein Tagebuch! Es sind Gedanken, Literatur, Essays... und keine Eins-zu-eins-Beschreibung meines aktuellen Lebens. Natürlich bin ich NICHT verliebt! Welche Anzeichen könnte es dafür schon geben? Und wer bitt' schön (jetzt wird's Wienerisch) sollt' "die Ane" leicht sein...?)

Freitag, 16. Juli 2010

Neues aus der Forschung

Habe ich eigentlich schon meine hochwissenschaftliche Studie erwähnt, die ich seit etwa drei Jahren in Wien und Umgebung durchführe? Nein? Dann wird es höchste Zeit, denn eine Forschungsarbeit von so außerordentlicher gesellschaftlicher Bedeutung kann und darf der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden!

Kurz gesagt geht es um die Ermittlung des sogenannten Schnitzelbissenpreises (SBP), des Wertes also, den unter Berücksichtigung des in der Speisekarte ausgewiesenen Preises ein einzelner Bissen eines Wiener Schnitzels hat. Man errechnet ihn ganz logisch, in dem man die Bissen zählt, die sich von einem Schnitzel herunterschneiden lassen, und den Preis in der Speisekarte dann durch diese Anzahl teilt. Kostet ein Schnitzel beispielsweise 10 Euro und läßt sich in 25 Bissen verspeisen, so erhält man einen SBP von 0,40 Euro.

Nun mag mancher einwenden, die Bissen seien kein objektiver Wert, da sie ja nicht alle gleich groß seien. Dem ist entgegenzuhalten, daß sich im Laufe einer solchen Langzeitstudie eine Abschneidroutine einstellt, die aufs Ganze gesehen durchaus so etwas wie einen "Durchschnittsbissen" generiert. Man merkt das daran, daß man im selben Lokal immer wieder auf ungefähr die gleiche Bissenanzahl kommt.

Weiters werde ich oft danach gefragt, welche Rolle Qualität, Geschmack oder Beilagen für die Studie spielen. Die Antwort ist einfach: Keine! Es geht ausschließlich um die Frage, wo ich wieviel reines Schnitzel um welchen Preis erhalte. Ich könnte mich vielleicht noch zu einer Unterscheidung von Kalbs- und Schweineschnitzel hinreißen lassen, denn das sind immerhin zwei unterschiedliche Preiskategorien, und ein direkter Vergleich des SBP wäre nicht ganz fair. Andererseits geht es ja bei der Studie nur darum, wo in Wien ich mich auf billigste Weise mit Schnitzel vollstopfen kann, und da hat das Kalb dann eben Pech, daß es so teuer ist.

Wenn ich also ausschließlich vom Preis pro Bissen ausgehe, ganz gleich, was es dazu gibt, wie es schmeckt oder um welches Fleisch es sich handelt, dann reicht die Spanne des SBP in Wien zurzeit von 9 Cent (sagenhafte 94 Bissen Schweineschnitzel in meinem Lieblingsbeisl im 7. Bezirk um 8,50 Euro) bis 71 Cent (26 Bissen Kalbsschnitzel in meinem Kaffeehaus im 1. Bezirk um 18,50 Euro). Dazwischen gibt es natürlich viele andere Lokale. Der durchschnittliche SBP in Wien liegt derzeit bei etwa 36 Cent.

Noch ein Wort zur Qualität: Nur weil diese in der Studie nicht berücksichtigt wird, heißt das ja nicht, daß man sich jeden Fraß reinziehen muß. Wenn es einem nicht schmeckt, nützt auch der günstige Preis nichts. Und wer bildungsbürgerlicherweise durchaus nur Kalbsschnitzel essen will ("woil jo nur dos KOLBSschnützel dos ÖCHTE Wüner Schnützel üst!"), der zahlt eben per se mehr.

Ich habe Glück - das günstigste Schnitzel in der Stadt ist zugleich auch wirklich, wirklich gut, und so suche ich mein Lieblingsbeisl auf der Burggasse immer wieder gern auf, sitze im Schatten der alten Kastanie im Hof und mümmele genußvoll meine 94 Bissen in mich hinein.

Danach bin ich dann aber auch wirklich satt, und die Studie wird für mindestens zwei Wochen ausgesetzt.

Donnerstag, 15. Juli 2010

Ein Augenblick

(Meiner besten Freundin)

Du sitzt mir gegenüber. Während sich die Dämmerung auf den Garten niedersenkt und der heiße Sommertag langsam einer kühlen Stille weicht, schaust Du mit konzentriertem Blick auf den Bildschirm Deines Rechners und arbeitest. Ab und zu nimmst Du mit steifen Fingern einen Zug von Deiner Zigarette und ziehst dabei leicht die Augenbrauen zusammen, ohne den Blick abzuwenden. Ich sehe Dich an, und Du bist schön.

Wenn man Dich in Zeitschriften oder im Fernsehen sieht, bist Du stets makellos, perfekt zurechtgemacht, sexy, jugendlich und unangreifbar. Eine Ikone, eine Kunstfigur mit massenhafter Anziehungskraft. Aber erst jetzt, in der scheinbaren Unvollkommenheit dieses Augenblicks, da Du ohne Schminke und ein bißchen übermüdet vor mir sitzt, offenbart sich mir die unendliche Schönheit Deiner Seele.

Ich möchte Dir ganz nah sein und Dich zum Teil meines Lebens machen.
Ich möchte alles wissen, was Du weißt, alles fühlen, was Du fühlst.
Ich möchte Dich halten, so fest es geht, bis wir miteinander verwachsen für alle Zeit.

Du bist schön. Das bleiche Licht des Bildschirms macht Deine Züge hart und verrät das Schwinden der Jugend... Und doch warst Du mir nie schöner als in diesem Moment, da wir einander so nah sind im Schöpfergeiste, daß sich unsere Seelen küssen...

Mittwoch, 14. Juli 2010

Kleine Weisheit

Nichts erwarten.
Nicht besitzen.
Nicht den Wunsch zum Maß erheben.
Nur erleben.
Einfach lassen.
Was geschehen soll, geschieht.

Dienstag, 13. Juli 2010

liebesleben.app

Mit dem Liebesleben ist es wie mit dem iPad. Alle scheinen darüber zu reden, viele haben es, und wenn ich hier und da mal eines sehe, greift spontan der "Haben wollen"-Reflex - um sogleich von der kühlen Überlegung abgelöst zu werden, ob ich dergleichen im Moment wirklich brauchen kann, und ob der praktische Nutzen eines solchen Besitzes tatsächlich den phantastischen Vorstellungen entspricht, die man sich davon macht, solange man es nicht hat.

So ein Liebesleben hat ja durchaus seine Vorteile. Man kann es mit zahlreichen Applikationen versehen, trägt es immer bei sich und empfindet das Leben fürderhin als einfacher. Es gibt einem Halt und Orientierung, läßt sich leicht und spielerisch ebenso verwenden wie mit jenem tiefen Ernst, den man großen Aufgaben widmet, je nach Tagesstimmung halt, und wenn man den Drang verspürt, dem einen und einzigen Menschen eine liebe kleine Botschaft zu schicken, dann kann man das ohne weiteres tun.

Andererseits besteht die Gefahr, daß man sich allzu sehr auf das Liebesleben fixiert, daß man es, wenn nicht zum einzigen, so doch zumindest zum zentralen Gegenstand seines Lebens macht, hohe Erwartungen daran richtet, immer und überall, gleich was man gerade tut, darauf schielt und seine ganze Aufmerksamkeit darauf verwendet, kleinste Bewegungen, Veränderungen oder sonstige Signale zu registrieren. Über das Frustrationspotenzial, daß im Ausbleiben solcher Signale liegt, sei hier vorsichtshalber geschwiegen.

So hat denn das Liebesleben durchaus seine zwei Seiten. Wenn man denn unbedingt eines haben will, sollte man darauf achten, daß es sich um die neueste und stabilste Version handelt. Und wenn die nicht verfügbar ist, dann wartet man eben - und wird zuweilen staunen, wie gut es sich auch ohne leben läßt.

Wie dem auch sei - ich will ein iPad.

Donnerstag, 8. Juli 2010

Selbstabschaffung

Wenn jemand beschließt, sich selbst abzuschaffen, ist das immer tragisch. Sein Leben zu beenden, weil man darin keine Hoffnung, keinen Sinn und keine Freude mehr findet, ist ein unsagbar trauriger Schritt, nicht nur des eigenen Verlustes an Perspektiven und Möglichkeiten, sondern auch des unendlichen Leides wegen, dem man seine Hinterbliebenen aussetzt.

Auf der Fahrt von München nach Wien wurde ich gestern Zeuge einer solchen Entscheidung. Als der Zug kurz vor Amstetten plötzlich bremste, war mir intuitiv klar, was passiert war, und die vielen Polizisten, Notärzte und Feuerwehrleute, die kurz darauf erschienen und später einen schlichten braunen Sarg an der Seite des Zuges entlang trugen, machten die längst kursierende Vermutung zur grausigen Gewißheit.

In den vier Stunden, die unser Zug auf offener Strecke stand, habe ich mir viele Gedanken über das Phänomen der Selbstabschaffung gemacht. Es ging mir seltsam nah, in einem Zug zu sitzen, der gerade zum Werkzeug eines Freitodes gemacht wurde. Aber was auch immer diesen Menschen getrieben haben mag - irgendwie erschien er mir bewundernswert konsequent.

Denn noch tragischer als ein vollständiger Freitod kommt mir zuweilen jene Art der Selbstabschaffung vor, bei der jemand nur seine Seele, nicht aber seinen Leib tötet. Wenn jemand beschließt, sein zartes, verletzliches Herz in einen Panzer aus Kälte, Härte und einem ebenso dummen wie häßlichen Hochmut einzusperren, dann ist das unendlich schade. Wenn jemand sich hinter einer lächerlichen und unglaubwürdigen Fassade aus kühler Gleichgültigkeit, ja aus Herablassung und Unhöflichkeit zu verbergen sucht, weil er nicht möchte, daß seine Angst vor und seine Sehnsucht nach echter Liebe offenbar werden (obwohl sie es längst sind), dann hat er sich verloren. Und wer gar meint, seine ganze Lebensführung auf der Oberflächlichkeit schneller und unverbindlicher Vergnügungen aufbauen zu müssen, um Situationen zu vermeiden, in denen ein bißchen Mut zum Bekenntnis, zur Entscheidung und zum Vertrauen gefragt wäre, der wird sein Glück niemals finden.

Ich kannte mal eine zarte, wundervolle Seele, sprühend vor Phantasie und Neugier, und in ihrer scheuen Vorsicht unglaublich anziehend. Wenige Augenblicke hatte ich das unsagbare Glück, ihr ganz nah zu sein, sie ganz echt und unverschanzt zu erleben. Sie war glücklich wie nie zuvor (und nie danach), einem anderen Menschen gegenüber ganz und gar sie selbst sein zu dürfen, und ich liebte sie für ihre Zartheit und hätte sie bis ans Ende meiner Tage beschützt. Fast hätte sie begonnen, in ihrer verletzlichen Zartheit keine Schwäche mehr, sondern einen ganz besonderen Wert zu sehen. Dann aber bekam sie Angst und verschloß sich... nicht vor mir, sondern vor der Größe und Echtheit dessen, was zwischen uns entstand. Und Stück für Stück schaffte sie alles ab, was an ihr liebenswert und besonders gewesen war, gab sich auf, vergrub ihre Sehnsucht nach Liebe tief in ihrem starren Herzen und bekräftigte damit letztlich den Sieg all derer, die ihr jemals wehgetan haben.

Nicht in der Selbstabschaffung liegt der Ausweg aus dem Leiden, sondern in der Wertschätzung dessen, was man hat und was man ist. Nicht in der Härte findet man sein Glück, sondern in der Erfahrung, seine Verletzlichkeit einem Menschen anvertrauen zu können, der sie annimmt, liebt und schützt für alle Zeit.