Freitag, 5. März 2010

Sonderwünsche

Ich gebe es zu. Ich liebe Sonderbehandlung! Ich bin ganz verrückt danach, Dinge zu bekommen, die niemand anders bekommt, Regeln zu umgehen, die für alle anderen unverbrüchlich gelten, und Rechte zu haben, die nur mir zustehen! Ich mag es, hofiert und an Warteschlangen vorbeigelotst zu werden, den Parkplatz vor der Tür und ein zweites kostenloses Begrüßungsgetränk zu bekommen.

Leider kommt all das nicht allzu häufig vor. Mein Ruhm und mein Reichtum genügen nicht dafür, gewohnheitsmäßig eine derartige Behandlung zu erfahren. Vermutlich deshalb, weil sie schlechterdings nicht vorhanden sind.

Einen Ort gibt es jedoch auf der Welt, wo man mir ganz genau so begegnet, wie ich es mag - mein Kaffeehaus, das berühmte Café Central im 1. Wiener Gemeindebezirk.

Gewiß, es ist eine Touristenfalle, in der schmerbäuchige Piefke in kurzen Hosen ihre Torte mampfen und glauben, nun kennten sie das alte Wien. Die traditionelle Wiener Kaffeehauskultur liegt hier bestenfalls als vage Erinnerung in der Luft. Aber ich liebe es, seit ich mich in einer sehr schweren Phase meines Lebens tieftraurig in die warm erleuchtete Säulenhalle verirrt habe und mich das erste Mal an jenem Tisch niederließ, den man mir bis heute täglich freihält.

Nach und nach haben sich ein paar Sonderrechte eingeschlichen. So erhalte ich zum Beispiel - wie einst Peter Altenberg - meine Post ins Kaffeehaus. Außerdem hat man mir, nachdem ich herumgenörgelt habe, ich könne mit meinem Rechner immer höchstens drei Stunden arbeiten, an meinem Platz eine Steckdose installiert, und das, obwohl es einem auf Durchlauftourismus ausgerichteten Kaffeehaus wirtschaftlich gesehen natürlich nicht unbedingt recht sein kann, daß einer der besten Tische stundenlang blockiert ist.

Das wunderbarste Privileg jedoch wurde mir gestern zuteil, und hatte ich auch in den letzten Monaten nicht mehr ganz so viel Zeit, im Kaffeehaus zu sitzen wie zuvor, so bin ich seit gestern wild entschlossen, diesem grandiosen Ort wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Und zwar ist es so: Bis vor ein paar Wochen gab es im Café Central ein großartiges Club Sandwich, vermutlich das beste der Stadt. Dieses Sandwich war eine tragende Säule meines Ernährungskonzeptes, ein unverzichtbares Grundnahrungsmittel und zudem ein Genuß, ohne den auskommen zu müssen meine Lebensqualität in beklagenswertem Maße gesenkt hätte. Vor ein paar Wochen wurde ein neuer Küchenchef eingestellt, der - sei es aus Traditionsbewußtsein, sei es aus Geltungssucht - die Karte völlig umstellte und mein geliebtes Club Sandwich gleich ganz davon strich.

Ein Schock.

Sinnloses Umherirren auf der Suche nach einem vergleichbaren Club Sandwich folgte, aber nichts, nichts vermochte mich auch nur ansatzweise zu befriedigen. Also klagte ich Herrn Flammer, dem Geschäftsführer des Café Central, dessen aufopferndes Bemühen um seine Gäste nicht hoch genug gelobt werden kann, mein bitteres Leid und fragte in der mir eigenen Demut und Bescheidenheit an, ob es nicht zuweilen möglich sei, mir mein Sandwich zuzubereiten, auch wenn die Karte es nicht mehr als allgemein erhältlich ausweise. Er versprach, mit dem Küchenchef zu sprechen und ließ erkennen, daß es kein großes Problem sein dürfte.

Gestern probierte ich dieses neue Privileg erstmals aus. Zwar schüttelte Andreas, ein Ober, den ich ob seines zwischen gebotener Höflichkeit und beißendem Spott perfekt ausgewogenen Auftretens ganz besonders schätze, zunächst den Kopf, als ich nach meinem Sandwich fragte; auf mein kindisches Beharren hin, Herr Flammer habe es aber versprochen!, ging er jedoch in die Küche und regelte alles. Es kam sogar der Oberkellner zu mir und bestätigte nochmals, daß es selbstverständlich kein Problem sei und das Sandwich gleich komme, und so war es denn auch.

Was soll ich sagen? Ich habe seit Wochen nichts Köstlicheres gegessen. Nicht nur, weil Eier, Schinken, Salat, Tomaten und Toast frisch, geschmackvoll und perfekt angerichtet waren, sondern insbesondere, weil der würzig-süße Geschmack der Bevorzugung, des Sonderrechts und der einzigartigen Behandlung das Sandwich durchzog und über alle für jedermann erhältlichen Speisen erhob.

Ich habe mich den ganzen restlichen Tag lang heiter und wohl gefühlt, und das, obwohl ein gewaltiger Berg Arbeit mit strengen Terminvorgaben auf meinem Tisch wartete und ich zudem ein wenig kränkelte.

Danke, mein Kaffeehaus.