Dienstag, 16. November 2010

Gebet

Lieber Gott,

Du weißt, ich glaube an Dich, so sehr es aller Erkenntnis und allem Verstand widerspricht. Ich glaube daran, daß Du hier und da Dinge fügst, denn die kindliche Hoffnung auf wundersame Wirkmechanismen, die sich jeder Begründung und Erklärbarkeit entziehen, ist stärker als die ganze Nüchternheit des reifen Geistes.

Und so sehe ich denn Deine Zeichen. Sehe sie, und verstehe sie nicht. Denn was als Hinweis, als göttlicher Wink mit dem heiligen Zaunpfahl ohne weiteres zu erkennen ist, erschließt durch sein bloßes Erscheinen noch lange nicht seinen eigenen Sinn. Mag sein, daß das Gemüt des reifen Mannes sich den Instinkt für Höheres bewahrt, ohne sich jedoch die kindlich-naive Fähigkeit zur Deutung zu erhalten.

Und Du weißt das. Du weißt immer alles. Es steht in Deiner Tätigkeitsbeschreibung als einzig wahrer Gott. Und also stellt sich die Frage – warum sendest Du Zeichen, von denen Dir klar sein muß, daß sie mehr Fragen aufwerfen als sie zu lösen vermögen? Macht es Dir Freude, die Ahnungslosigkeit Deiner Menschlein zur Schau zu stellen, indem Du ihnen unlösbare Rätsel aufgibst? Wenn es so ist – ich nehme es Dir nicht übel. Es ist ganz lustig, irgendwie.

Heute hast Du mir ein Zeichen gesandt. Ein solches freilich, dem Du so unendlich viele Deutungsmöglichkeiten beigegeben hast, daß es mir rein gar nichts nützt; daß es, im Gegenteil, erhebliche Verwirrung stiftet in meinem jüngst so geordneten Dasein.

Wie dem auch sei – Du bist Gott. Du darfst das. Ich nehme Dein Zeichen also an. Aber ich bin so frei, daran keine Handlungsfolgen zu knüpfen. Tatsächlich werde ich es einfach ignorieren, so gut es geht. Sei mir nicht böse. Aber das Spiel spiele ich nicht mit.

Danke gleichwohl. Es ist lieb, daß Du an mich denkst. Und an sie. Und an uns. Danke. Aber wenn ich wirklich etwas tun soll, mußt Du schon ein bißchen deutlicher werden.

Verbunden,
Dein Christopher

Donnerstag, 4. November 2010

Leere

Zuweilen ist da diese Leere, eine Leere, die all das hinterlassen hat, was wir verspielt, verloren oder verschwendet haben, und die durch nichts aufzufüllen ist. Sie schmerzt, wie nur ein Nichts schmerzen kann, wo eigentlich etwas sein sollte. Sie zieht und windet sich, gierig nach Ersatz für das, was fehlt, und franst dabei doch nur ihre wunden Ränder aus.

Nach vorne schauen, positiv denken, an einer Zukunft arbeiten und aus der Vergangenheit lernen. Das sagt man dann so leichthin. Und doch vermag keine Zukunft die Leere zu füllen, die Verlorenes in unsere Seelen reißt. Man mag das Loch der Vergangenheit ummanteln mit dem Jetzt; man mag die Fäden der Zukunft so spinnen, daß sie den Hohlraum vernähen, der in uns gähnt... doch ausgefüllt, bereichert und geheilt wird er dadurch nicht. Manche Verluste sind nie, niemals wieder gutzumachen.

Zuweilen ist sie da, die Leere. Zuweilen ist ihre Kraft so groß, daß sie alles Gegenwärtige und alles Zukünftige, allen Sinn und alle Hoffnung wie ein schwarzes Loch anzieht und verschlingt. Das Leben, das vor einem liegen könnte, verschwindet im unwiderstehlichen im Abgrund des Vergangenen.

Zuweilen ist es eben so. Manche Verluste sind nicht zu ertragen.