Freitag, 31. Dezember 2010

Jahreswechsel

Wie schön der Rauch einer ausgepusteten Kerze ist. In einer feinen Säule steigt er zunächst ganz gerade nach oben, und man möchte meinen, diese saubere, zarte Linie setzt sich unendlich fort. Dann aber gerät er in die bewegteren Luftschichten; winzige Verwirbelungen, das unsichtbare Spiel kalter und warmer Lüfte, unvorhersehbar und doch unausweichlich...

Und die kleine, machtvolle Atmosphäre um die Kerze herum zerreißt den rauchigen Faden, zerpflückt ihn, treibt ihn in wilden Locken, in duckenden, weichenden, strebenden und scheuen Kringeln und Fasern auseinander und schafft die bizarrsten Formen, die abenteuerlichste Wirrnis, ein silbergraues Spiel aus Gestalten und Wegen, das sich in unendlicher Vielfalt fortsetzen könnte, wenn nicht der Docht irgendwann erkaltete und die letzten Schwaden sich tanzend in der Luft verlören.

So ist das Leben nun einmal. Von der gradlinigen Planung, den einfachen Hoffnungen, Erwartungen, Vorstellungen und Träumen bleibt nicht viel übrig, wenn man in den Wirbel der Lebenswirklichkeit gerät. Und andererseits sind die grotesken Formen, die überraschenden Wendungen, die ungeplanten Verläufe und die vielfältigen Gestalten, die daraus entstehen, viel reizvoller, schöner, stimulierender und bereichernder als eine gerade, fade Rauchsäule...

Natürlich stelle ich mir zu Silvester vor, daß ein simpler Datumswechsel, wie er eigentlich jeden Tag erfolgt, einen Neubeginn, eine Lebenswende und viele grandiose Chancen markiert. Und natürlich plane ich traditionellerweise einen schnurgerade zu all meinen Zielen führenden Verlauf des neuen Jahres. Aber ich weiß doch, daß es Unsinn ist. Und heimlich freue ich mich auf die Verwirbelungen, die Überraschungen und die Neuerungen, die ich jetzt noch nicht erahne... Und ich lasse mich darauf ein, ganz und gar, und mit allen Risiken, weil ich sonst nicht weiterkomme. Denn so ist das Leben. Nicht nur am 31. Dezember, sondern jeden Tag. Und das ist gut so.

Prosit 2011!

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Die Weihnachtsnacht

(Mein erstes Weihnachtsgedicht von 1979 (da war ich neun))

In der Dämm'rung dieses Abends
liegt so stille Seligkeit;
jeder Mensch des kleinen Dorfes
weiß genau: Es ist soweit!

Vom Himmel leuchten viele Sterne
auf das schneebedeckte Land,
und in Stuben überglücklich
steh'n die Menschen Hand in Hand.

Draußen auf den weißen Feldern
bis zum tiefen Wald hinan
hört man leise Glocken klingen –
glücklich ist heut' jedermann.

Und wenn man's genau beachtet,
horchend mit gespitztem Ohr,
hört man leise aus dem Himmel
singen einen Engelschor.

Er singt so still und auch so leise
hinab auf unsre Erde,
er singt auf wunderbare Weise,
daß es bald Friede werde!

Sonntag, 19. Dezember 2010

Erkenntnis des Tages

So schmeckt Glück:

...

(Ja, ganz recht. Dieses Glück hat keine Worte.)

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Freiheit

Der süße Geschmack der Freiheit. Die unbeschreibliche Leichtigkeit, die sich einstellt, wenn Beklemmendes und Hemmendes von einer Sekunde auf die andere seine Macht verliert. Fassungslos vor Glück, ja ungläubig gar, ob es wirklich wahr sein kann, wenn das, was unser ganzes Dasein bestimmt und bedrückt hat, von jetzt auf gleich völlig bedeutungslos wird durch nur einen einzigen souveränen Akt unseres eigenen, freien Willens... Es ist so unglaublich toll, das Leben zu leben und sich nicht von ihm leben zu lassen.

Mit einemmal reißen alle Himmel auf; die schwersten Tore öffnen sich und lassen einen frischen Wind mitten hineinfahren in die abgestandene, verbrauchte Luft jahrelanger Gefangenschaft... Der Duft aller Möglichkeiten liegt in diesem Wind, der würzige Geruch der neu gewonnenen, ganz und gar freien Entscheidung.

Nicht das Versprechen einer vollkommenen Zukunft trägt er herein. Aber die echte Chance, sich eine solche zu schaffen. Es braucht keinen Mut. Nur einen weiten Blick und einen ersten Schritt. Ich bin so frei, ihn zu gehen. Wer kommt mit?

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Das Ende der Bescheidenheit

Mein Leben, so stelle ich rückblickend fest, war in den letzten Jahren privat und beruflich geprägt von einem ewigen Fragen und Bitten, Werben und Schmeicheln. Ich habe mich bemüht, gewunden, habe mich zuweilen bis zur Selbstverleugnung der mutmaßlichen Nachfrage angepaßt, nur um ein Stück weiterzukommen oder meine verzweifelte Position wenigstens zu halten.

Der Erfolg war indes mäßig, und wo er sich dennoch einstellte, war sein Beigeschmack höchst unbefriedigend. Selbstmitleidiges Flehen ist erbärmlich und keineswegs geeignet, die Attraktivität zu steigern - auch nicht jene, die man für sich selbst empfinden sollte. Also mache ich es nun anders. Ich zeige Interesse, ich mache eindeutige Angebote. Wer sie nicht annimmt, ist selbst schuld. Wer mich mißverstehen will, möge es tun. Ich werde mich nicht dreimal erklären. Wer mich hassen möchte - nur zu. Man kann nicht allen gefallen.

Ich will die coolen Jobs, die großen Projekte, das Spitzenteam, den aufgeschlossenen Verlag, die wahren Freunde und die Eine, mit der ich bedingungslos mein Leben teile. Und ich will nicht darum bitten. Ich will angenommen werden. Das Angebot liegt auf dem Tisch. Lange genug.

Was habe ich zu verlieren? Was ich jetzt nicht habe, danach greife ich. Wenn es sich meinem Griff entzieht, lasse ich es los, und alles bleibt, wie es sowieso schon ist. Wenn es sich jedoch greifen läßt, haben beide Seiten gewonnen.

Ich will es ganz oder gar nicht, das Leben, den Beruf, die Menschen. Einseitigkeiten, Asymmetrien und höhere Einlagen als Gewinne kommen im neuen Jahr nicht mehr in Frage.

Das wird mein 2011.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Nein.

Nein zu Deiner Nachricht.
Nein zu jedem weiteren Kontakt.
Nein dazu, daß Du mich ißt, fallen läßt, wenn Du satt bist, und nur wiederkommst, wenn Du Hunger hast.
Nein dazu, daß Du aus Deinem Kreis nicht heraustrittst, sondern mein Licht absorbierst, um kurzzeitig Dein Dunkel zu erleuchten, anstatt Dich endlich hinausführen zu lassen.
Nein dazu, bei Dir stehenzubleiben und mich verbrauchen zu lassen, anstatt zu wachsen und meinen Weg zu gehen.
Nein dazu, mich wegstoßen und verletzen zu lassen, während Du anderen ostentativ Deine Nähe gewährst.
Nein zu Deinem Hochmut.
Nein zu Deiner Gemeinheit.
Nein zu Deinem unerträglichen Narzissmus.
Nein zu Deiner Schlechtigkeit, Deiner rücksichtslosen Egozentrik und Deiner Unwilligkeit, Dich in die Gefühle, Bedürfnisse und Verletzlichkeiten anderer einzufühlen.
Nein zu einem Herzen, das nur für sich selbst warm schlägt.
Nein zu Deinem Selbstmitleid.
Nein zu Deinen Lügen, Deinen Tatsachenverdrehungen und Deinen Ausreden.
Nein zu Deinem Welt- und Menschenbild.
Nein zu neuen Chancen nach den dutzenden, die ich Dir gab.
Nein zu einer Liebe, die Du nie verdient hast.
Nein zu all dem.

Nein zu Dir.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Die Geburt der Tragödie

Es wird ja Tag für Tag so einiges geboren - Menschen und Tiere, aber auch Ideen, Entwicklungen... und eben Tragödien, die irgendwo ihren Anfang und also ihre Geburtsstunde haben.

Glaubt man Nietzsche, dann wurde die klassische griechische Tragödie aus dem Geiste der Musik geboren, ein apollinisch geordnetes, für die Menschen erträgliches Traumbild, das aus dem dionysischen, also musikalischen Urgrund allen Seins erwächst. Und da scheint mir etwas dran zu sein.

Denn Musik erhebt, beflügelt, lullt die Sinne ein und rührt an die tiefsten, verstecktesten Urgründe unserer Sehnsüchte, unserer empfindsamsten Instinkte... umso mehr, wenn sie gemeinsam erlebt oder gar gemacht wird... und ehe wir's uns versehen, lassen wir uns hinreißen zu Taten und Unterlassungen, die unbedacht, brodelnd und dunkel, leidenschaftlich und in ihrem Kern bereits tragisch sind... Wir erglühen, verbinden uns, verschmelzen ganz und gar, und im dionysischen Rausch der Musik entspinnt und verselbständigt sich eine Handlung, die ihre ganz eigene Macht gewinnt, unwiderstehlich Besitz von uns ergreift und sich alsbald jeder Kontrolle entzieht, ein tragisches, schicksalhaftes Geschehen, das uns beherrscht, willkürlich steuert und in einen heißen Strudel des lustvollen Untergangs zieht...

Das Ende, wenn wir es erleben, ist ein hartes Aufschlagen auf dem Boden entrauschter Wirklichkeit. Die unvereinbaren, ja untragbaren Handlungsstränge unserer irren, wirren Reise haben sich bis zum Wahnsinn ineinander verschlungen und dann plötzlich in einem gewaltigen Knall aufgelöst. Die Musik ist verklungen, und eine schmerzhafte Benommenheit läßt nur in kleinen Portionen die Erkenntnis zu, daß wir uns vollkommen verirrt und im Netz unserer Lust unrettbar verfangen hatten.

Es wird kalt. Still. Man bleibt allein. Der Boden der Realität ist hart und steinig. Die Tragödie hat ihren Lauf genommen. Den Rausch möchte man nicht missen, aber der Preis war zu hoch. Man gedenkt der Geburtsstunde des tragischen Verlaufes und wünscht sich dahin zurück, um alles besser zu machen und die Tragödie in apollinischen Bahnen zu halten. Klassisch. Geordnet. Erträglich. Aber das geht nicht. Geschehen ist geschehen.

Nächstes Mal dann.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Klimawandel

Wenn mitten im Dezember die Maiglöckchen sprießen,
wenn bei Minusgraden die Vöglein in den Bäumen ihre Liebeslieder zwitschern,
wenn durch den Schnee hindurch die buntesten Blumen blühen,
wenn in der kalten Luft ein warmer Windhauch Dein Gesicht küßt,
wenn vom eisgrauen Himmel eine freundliche Sonne scheint,
wenn also im tiefsten Winter plötzlich Mai ist...

...dann stimmt etwas nicht.

Oder es stimmt alles.

Samstag, 4. Dezember 2010

Barbara-Tag

Heute ist Barbara-Tag, der Gedenktag der Heiligen Barbara von Nikomedien, die im 3. Jahrhundert als Märtyrerin gestorben sein soll. Der Überlieferung nach war sie klug, schön und willensstark. So wie fast alle Frauen dieses Namens, die ich kenne.

Ihr Vater, der ein König, ein reicher Kaufmann oder ein einflußreicher Höfling gewesen sein mag, sperrte sie in einen Turm, um sie von der Außenwelt abzuschirmen. Ihre Hinwendung zum Christentum versuchte er durch Peinigungen zu verhindern, aber Barbaras Glaube festigte sich unter der Folter erstrecht. Sie ließ als Symbol der Dreifaltigkeit ein drittes Fenster in den Gefängnisturm brechen und empfing die Taufe. Dem Beschluß des Vaters, sie zu töten, entging sie zunächst durch eine wundersame Flucht, wurde dann aber doch gefaßt und auf die grausamste Art umgebracht.

So berichtet es die Legende. Mich hat die Geschichte immer fasziniert, nicht nur der unbedingten Glaubensstärke wegen, die Barbara bewiesen hat, sondern auch, weil es mir so grotesk erschien, diesen Beweis ausgerechnet gegen die rücksichtslosen Grausamkeiten des eigenen Vaters führen zu müssen. Zudem ist Barbara die Schutzheilige unserer Familie, und seit Jahrhunderten wird in fast jeder Generation ein Mädchen auf den Namen Barbara getauft, zuletzt meine Großmutter und meine Mutter.

Zugegeben, dieser Text hat keine echte Pointe, aber ich wollte den bedeutendsten Namenstag unserer Familie nicht unerwähnt verstreichen lassen. Für einige Barbaras, die mir im Leben begegnet sind, bin ich zutiefst dankbar. Drei von ihnen gehören zu den wunderbarsten Menschen, die ich je traf. Schön, klug und willensstark sind sie und spornen mich damit täglich dazu an, auch meinerseits ein besserer Mensch zu werden.

Alles Gute zum Namenstag und danke für alles.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Advent

Der Advent ist da, jene wenigen Wochen vor Weihnachten mithin, die ich als Kind schon geliebt habe, und die mir, so quälend langsam sie im Hinblick auf das fiebernd erwartete Fest einerseits zu vergehen schienen, andererseits doch nie lang genug sein konnten. Denn diesen Wochen wohnte ein ganz eigener, unvergleichlicher Zauber inne, den zu spüren vielleicht nur Kindern gegeben ist, oder solchen Menschen, die es im Herzen geblieben sind.

Ganz und gar anders als alle Wochen und Monate des Jahres schien mir diese Zeit. Ein Adventus, eine Ankunft war es, die sich spürbar vorbereitete, die Ankunft des Christkindes, des Gottessohnes und Erlösers und damit der Beginn einer besseren Zeit. Ein Hauch des Wunderbaren, des Göttlich-Bedeutsamen lag in der Luft und durchwirkte alles Sein, erhöhte den Alltag und gab jedem Gefühl, jedem Gedanken und jedem Tun etwas durch und durch Festliches. Es war für mich ganz selbstverständlich, daß, was ich so deutlich spürte, auch allen anderen erkennbar sein mußte, und so schien mir die Welt freudig erregt, zugleich milder gestimmt als sonst und erhoben im Geist des göttlichen Geschehens... Das Leben fühlte sich an, als habe es jemand mit feinem Goldstaub gepudert.

Heute ist dieser Zauber nicht mehr ganz so deutlich spürbar, und das nicht nur, weil die Konsummaschinerie heute lauter, greller und amerikanisierter als in meiner Kindheit alles Ahnungsvolle, leise sich Anbahnende überlärmt. Ich habe mir zwar eine sehr sentimentale Wahrnehmung der Advents- und Weihnachtszeit bewahrt, aber das Leben hat auch mich abgeklärt und gewährt nicht immer den Raum, den das freudige Erwarten wundersamer Veränderungen vielleicht erfordert. Gleichwohl, so denke ich oft, warten wir ständig auf irgendetwas, auf den Durchbruch, den richtigen Partner, die Erkenntnis und auf uns selbst... Wir ersehnen Veränderungen, Entwicklungen und den Beginn neuer Lebensabschnitte. Und während wir darauf warten, daß "das Leben" endlich beginnt, findet es längst statt und zieht vorbei.

Vielleicht war und ist die Adventszeit so beglückend, weil diesem Warten tatsächlich eine Ankunft folgt, weil das, worauf wir warten, wirklich geschieht. Ob man nun an die Geburt Christi glauben mag oder nicht, ob man in Jesus eine Allegorie des Höchsten, Besten und Edelsten sieht, zu dem wir Menschen fähig sind, oder ob einem dergleichen per se als abergläubischer Humbug erscheint - man hat zumindest die Gelegenheit, sich ein wenig zu sammeln, zu besinnen und an Weihnachten vielleicht Dinge zu tun, die man übers Jahr vernachlässigt hat. Das alltägliche Warten auf den Beginn des eigentlichen Lebens hingegen bleibt unbefriedigend, solange wir in Passivität verharren.

Der Gedanke des Advent, der Ankunft in unserem eigenen Leben, läßt sich aber dennoch nutzen, wenn man die Vorphase des Ankommens nicht als Wartezeit, sondern als Entwicklung begreift, die man täglich steuern und vorantreiben kann. Das Warten wird zum Tun, und die Vorfreude verschmilzt mit dem unbedingten Willen zur Veränderung. Immer wieder aus eingefahrenen Kreisen, aus Komfortzonen und dem begrenzten Blick auf sich selbst herauszutreten und neue Sphären des eigenen Seins zu erschließen - darin liegt für mich das, was uns der Advent sagen will.

In erster Linie sind wir unsere eigenen Erlöser. Und vielleicht bestäubt irgendwer von irgendwo unser Bemühen mit feinem Goldpuder.