Freitag, 31. Dezember 2010

Jahreswechsel

Wie schön der Rauch einer ausgepusteten Kerze ist. In einer feinen Säule steigt er zunächst ganz gerade nach oben, und man möchte meinen, diese saubere, zarte Linie setzt sich unendlich fort. Dann aber gerät er in die bewegteren Luftschichten; winzige Verwirbelungen, das unsichtbare Spiel kalter und warmer Lüfte, unvorhersehbar und doch unausweichlich...

Und die kleine, machtvolle Atmosphäre um die Kerze herum zerreißt den rauchigen Faden, zerpflückt ihn, treibt ihn in wilden Locken, in duckenden, weichenden, strebenden und scheuen Kringeln und Fasern auseinander und schafft die bizarrsten Formen, die abenteuerlichste Wirrnis, ein silbergraues Spiel aus Gestalten und Wegen, das sich in unendlicher Vielfalt fortsetzen könnte, wenn nicht der Docht irgendwann erkaltete und die letzten Schwaden sich tanzend in der Luft verlören.

So ist das Leben nun einmal. Von der gradlinigen Planung, den einfachen Hoffnungen, Erwartungen, Vorstellungen und Träumen bleibt nicht viel übrig, wenn man in den Wirbel der Lebenswirklichkeit gerät. Und andererseits sind die grotesken Formen, die überraschenden Wendungen, die ungeplanten Verläufe und die vielfältigen Gestalten, die daraus entstehen, viel reizvoller, schöner, stimulierender und bereichernder als eine gerade, fade Rauchsäule...

Natürlich stelle ich mir zu Silvester vor, daß ein simpler Datumswechsel, wie er eigentlich jeden Tag erfolgt, einen Neubeginn, eine Lebenswende und viele grandiose Chancen markiert. Und natürlich plane ich traditionellerweise einen schnurgerade zu all meinen Zielen führenden Verlauf des neuen Jahres. Aber ich weiß doch, daß es Unsinn ist. Und heimlich freue ich mich auf die Verwirbelungen, die Überraschungen und die Neuerungen, die ich jetzt noch nicht erahne... Und ich lasse mich darauf ein, ganz und gar, und mit allen Risiken, weil ich sonst nicht weiterkomme. Denn so ist das Leben. Nicht nur am 31. Dezember, sondern jeden Tag. Und das ist gut so.

Prosit 2011!