Dienstag, 8. März 2011

Blendwerk

Ein „Top Event“ mal wieder. Irgendwas mit „Elite“ und „hochkarätig“ hatte auf der Einladung gestanden. Unter Aufzählung diverser Vorstandsposten und Ehrenämter wird mir ein Mann als „Herr Mag. Dr. Soundso“ vorgestellt, den ich kurz zuvor dabei beobachtet habe, unsagbar feindselig mit seiner Frau umgegangen zu sein, und ich denke mir nur: Was für ein erbärmliches Arschloch.

Und abermals stelle ich fest, daß mich Titel, Ämter und Karrieren per se nicht beeindrucken. Vermutlich, weil mich immer nur der Mensch als solcher interessiert, dessen Persönlichkeit und Charakter durch Weihen und Würden allein keinerlei Aufwertung erfahren. Gewiß, akademische Grade und Titel indizieren einen spezifischen Bildungsweg und damit eine funktionale Qualifikation für bestimmte Positionen innerhalb des sozialen Systems, und daß diese Art Qualifikation für viele Aufgaben vonnöten ist, bleibt unbestritten.

Aber uns ist offenbar der Sinn dafür abhanden gekommen, die funktionale Pyramide, zu der sich eine Gesellschaft gemäß den Qualifikationen und Aufgaben ihrer Mitglieder zwangsläufig formt, von der menschlichen zu unterscheiden, die sich völlig unabhängig von der sozialen Stellung (und damit nach außen hin sehr viel schwerer erkennbar) aus charakterlicher Integrität und ethischen Werten, sprich: daraus ergibt, ob jemand einfach ein guter Mensch ist. Wer seine menschliche Insuffizienz mit sozialem Status übermalt, verdient kaum Bewunderung.

Der Mann genießt sein Ansehen und die Fragen der Speichellecker um ihn herum. Seine Frau steht steinern lächelnd neben ihm. Er hat einiges beizutragen zum Thema des Tages. Schließlich ist er in der Position dazu. Ich halte ihn immer noch für ein Arschloch.


P.S.: Damit man mich nicht falsch versteht: Ohne Zweifel gibt es auch Menschen, die ihren hervorragenden Charakter und ihre außerordentliche Persönlichkeit bemerkenswerten Karrieren nutzbar machen und innerhalb der funktionalen Pyramide weit aufsteigen, ohne in der menschlichen abzusinken. Ihnen gilt meine ganze Bewunderung. Aber bei ihnen ist das Erlangen von Titeln und Ämtern dann eben keine persönlichkeitsbildende (oder gar
-ersetzende) Maßnahme, sondern allenfalls Folge und Beiwerk ihres Lebensweges und hat somit mehr ästhetische als moralische Bedeutung.