Sonntag, 23. Oktober 2011

Jahr. Eins.

Zufall. Begegnung.
Verständnis. Nähe. Gefühl.
Zärtlichkeit. Zweifel.
Anzüglichkeit. Sehnsucht.
Hindernisse. Meteorit.
Distanz. Verletzung.
Traumata. Kompensation.
Pause.
Annäherung. Zweifel.
Blaues Licht.
Verschmelzung.
Innigkeit. Liebe.
Zeit. Raum. Bürden.
Lügen. Ehrlichkeit.
Abbruch 1.
Abbruch 2.
Abbruch 3.
Zweifel. Nähe. Zweifel.
Chancen. Los.
Liebe. Last. Lust.
Wollen. Können. Zweifel.
Spiralen. Kreise.
Jahrestage.

Dienstag, 18. Oktober 2011

Netzgezappel 2.0

Am 24. August 1995, seinem 25. Geburtstag, setzte sich ein Trierer Jurastudent hin und schrieb all jene Gedanken nieder, die er glaubte, sich zu seinem silbernen Jubiläum auf Gottes schöner Erde machen zu müssen. Soeben finde ich dieses umfangreiche, handschriftliche Elaborat zufällig beim Aufräumen wieder, und also nehme ich mir ein paar Minuten Zeit und lese, was mein fünfundzwanzigjähriges Ich mir und der Welt mitzuteilen hat.

Ich muß schon sagen – was für ein zorniger junger Mann mir da seine Weisheiten entgegenschleudert! Es scheint ihm durchaus an Lebensmut und Zuversicht zu mangeln, und so läßt er sich denn seitenweise darüber aus, wie schlecht die Welt, wie labil ihre Systeme und wie ungerecht ihre Verteilung sei, wie viel gerechter gar die Zeit nach dem Krieg war, da es immerhin allen gleichermaßen schlecht gegangen sei. Den größten Ehrgeiz entwickelt er indes dabei, auf eine für die breite Bevölkerung recht neuartige Sache namens Internet zu schimpfen. Den Untergang jeder persönlichen Kommunikationskultur, aller sozialen Kompetenzen und des zwischenmenschlichen Empfindens an sich beschwört er in donnernden Worten, die Abstumpfung und Manipulierbarkeit der Massen, die bald, so eine der unterhaltsamsten Formulierungen, als Endverbraucher wie wehrlose Fische im weltweiten Netz zappeln würden, jeden Abstandes, jeder Kritik und jeder Individualität enthoben und auf ein gleichsam kollektives, elitären Interessen dienendes Bewußtsein reduziert.

Ich lasse das Manuskript sinken und sehe mich in meiner Wiener Wohnung um. Auf dem Sofa liegt ein iPad, ein iPhone lädt am Netzteil, ein anderes habe ich in der Hosentasche. Im nächsten Zimmer steht das MacBookPro, 24 Stunden am Tag online und meistens mit geöffneter Facebook-Seite. Nicht mein einziges soziales Netzwerk; ich habe auch Nutzerkonten bei Xing, LinkedIn, InterNations, MySpace, MeinVZ, twitter, foursquare und vermutlich noch ein paar, die ich schon vergessen habe.

Hm. Zappele ich? Habe ich meine Individualität, meine Sozialkompetenz, meine freie Meinungsbildung und meine Kritikfähigkeit verloren? Bin ich zum willenlosen, marketingtechnisch gerasterten Objekt wirtschaftlicher oder gar politischer Manipulation geworden?

Also, ganz ehrlich – ich glaube nicht, daß es so ist! Meine persönliche Entwicklung erfuhr ihre bedeutendsten Einflüsse, ihre gewaltigsten Umwälzungen ganz und gar im physisch-realen Leben. Meine engsten Freundschaften würden problemlos auch ohne soziale Medien funktionieren und werden durch die technischen Kommunikationsmöglichkeiten allenfalls bereichert. Vermutlich ist die Skepsis, die der weltweiten Vernetzung in ihrer Frühphase entgegen gebracht wurde, den soziokulturellen Bedenken nicht unähnlich, mit denen man seinerzeit der Einführung des Telefons begegnete, und mitnichten hat Alexander Graham Bells Neuerung das Briefeschreiben oder gar die persönliche Begegnung verdrängt.

Meiner Erfahrung nach hat das Internet und nunmehr auch das Web 2.0 ganz im Gegenteil menschliche Begegnungen ermöglicht, die zuvor, wenn nicht ausgeschlossen, so doch erheblich schwerer gewesen wären. Einige "Schrauber" zum Beispiel, die mir auf Grundlage eines gemeinsamen Interesses bei meinen Oldtimern mit Rat und Tat zur Seite standen, hätte ich ohne die einschlägigen Internetforen sicher nicht kennengelernt, und gerade die Möglichkeit der virtuellen Vernetzung erregt bei den meisten Menschen irgendwann den Wunsch nach der persönlichen Begegnung. Wir sind eben doch soziale Wesen.

Und so zappele ich heute gern im weltweiten Netz, als lebendiges, höchst individuelles Fischlein, und freue mich, wann immer ich möchte am Gezappel der anderen Fische teilhaben zu können. Die Hemmschwelle der Mitteilsamkeit sinkt fraglos, und Privatsphäre muß wohl neu definiert werden. Aber man ist ja nicht ohne Einfluß darauf, was die Mitwelt oder die Betreiber der einschlägigen Netzwerke über einen erfahren. Hin und wieder ein paar ausgewählte Freunde per foursquare wissen zu lassen, wo man gerade ist, scheint mir kaum geeignet, die abendländische Sozialkultur zu erschüttern.

Fröhliches Zappeln allerseits also, und willkommen in der Gegenwart!

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Kur perëndon dielli


"'Tis better to have loved and lost than never to have loved at all." (Alfred Lord Tennyson)

Wenn die Sonne untergeht und Dunkelheit sich auf das Leben niedersenkt, werden die Menschen traurig, und die Klagen beginnen. Von verwaisten Stränden hört man sie, aus tiefen Tälern, leeren Parks und vereinsamten Betten. Das Licht sei fort, die Wärme verschwunden, so jammern die Menschen, die den Tag erlebt haben.

Ich wandele durch die Düsternis, höre die Rufe und staune. Sonne?, frage ich leise, Ihr habt die Sonne gesehen? So ganz hoch und rund am Himmel? Ihr habt sie für Euch aufgehen sehen, steigen und wachsen, rot glühend zunächst und dann immer gleißender? Bis sie Euch ganz durchwärmt und erleuchtet hat? Ihr kennt den Tag, sein Erwachen, seinen Lauf bis zum Höhepunkt und das langsame, früh erkennbare und doch erst spät eingestandene Sinken? Ihr kennt die glückliche Erfüllung Eurer Hoffnung, es möge eine Sonne kommen, die Erregung, die man erlebt, wenn sie sich dann tatsächlich am Horizont zeigt und Lust, endlich ganz in ihr zu leben, zu lieben und zu schwelgen? Die paradiesische Freude, einen heißen Mittag lang sorgloseste Wonnen zu erleben im sicheren Glauben, sie werden nie enden?

Beneidenswert. Wie berauschend, wie über alle Maßen zum Jubeln muß der Tag sein! Wie wunderbar zu erleben, daß alles wahr wird, was man sich erträumt, und sei es auch nur für eine kurze, glückvolle Weile... Wie unvorstellbar schön ist wohl der erste Kuß des Morgenrots, das Schwellen des Lichts und die glühende Verschmelzung von Tag und Leben im Zenith... 

Ich weiß davon nichts. Um mich ist ewige Nacht. Gewiß, ganz selten erhellt sich auch meine Welt in zartem Morgenrot. Die Sonne schiebt ihren scharfen Rand ein paar Millimeter über den Horizont, aber kaum hat der erste glühende Strahl mein Herz mit Hoffnung erfüllt, zieht sie sich rasch wieder zurück, gerade so als habe man sie bei etwas Undenkbarem ertappt. Und so bleibt es dunkel um mich. Das Sonnenglück - es bleibt mir fremd. Wie gern nähme ich das Sinken in Kauf, dürfte ich nur einmal die wonnevollen Höhen erleben. Aber man gewöhnt sich dran.

Seid also dankbar. Ihr kennt den Tag, und jeder Nacht folgt für Euch ein neuer Sonnenaufgang, ein neues Glück. Ich, in meiner Dunkelheit, glaube an ewiges Licht. Ihr habt eine echte Chance.