Mittwoch, 4. Februar 2015

Von Wahrheiten und Mythen

Rezension des von Liane Bednarz und Christoph Giesa verfassten Buches „Deutschland dreht durch – Die Wahrheit über die AfD“ 

Überall, wo der Anspruch auf „Wahrheit“ erhoben wird, ist Skepsis geboten – nicht nur, weil damit eine Objektivität behauptet wird, die zumeist schon durch die persönlichen Überzeugungen, Interessen und Ziele der Beteiligten Lügen gestraft wird, sondern auch, weil die bloße Vermutung, es gebe eine einzige gültige Wahrheit eine Simplifizierung beinhaltet, die die Welt in schwarz und weiß, gut und schlecht, richtig und falsch aufteilt und damit notwendigerweise unversöhnliche Positionen schafft, über deren Berechtigung nicht mehr der demokratische Diskurs, sondern allenfalls die Lautstärke ihrer Vertreter entscheidet. So können denn also politische Meinungen ihrer Natur nach nicht objektiv sein, und selbst sogenannte Fakten, die man ja allzu rasch als objektiv wahrzunehmen geneigt ist, wirken oft im Zusammenhang mit höchst subjektiven Implikationen, können also durch ihren Kontext oder andere Fakten relativiert werden und verlieren damit ihre ohnedies nur scheinbare Alleingültigkeit. Eine politische Partei, die in einem so hochkomplexen System wie unserer Gesellschaft mit der Behauptung auftritt, sie allein habe den „Mut zur Wahrheit“ – und damit natürlich auch die einzig richtige Kenntnis derselben – muss sich gefallen lassen, dass zumindest die als Fakten dargestellten Postulate ihrer „Wahrheit“ einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. 

Eben dies haben Liane Bednarz und Christoph Giesa in ihrem neuen Buch „Deutschland dreht durch – Die Wahrheit über die AfD“ getan. Fünf in der Selbstdarstellung der „Alternative für Deutschland“ verankerte Behauptungen werden anhand von Zitaten, Verhaltensweisen und Verbindungen zahlreicher Parteimitglieder widerlegt und als Mythen enttarnt. Die Autoren haben hierfür eine umfangreiche Recherche betrieben und ein vielfältiges Potpourri an Belegen dafür gesammelt,dass die „AfD“ in kaum einer Hinsicht dem Bild entspricht, welches sie in der Öffentlichkeit zu erzeugen bemüht ist, und sich stattdessen als eine ordinäre rechtsradikale Partei allzu bekannten Strickmusters erweist.

Das Buch ist klar strukturiert und liest sich leicht und angenehm, nicht zuletzt der Sprache wegen, die den nüchternen (und oft genug ernüchternden) Inhalt in einem flotten, fast plaudernden Ton vermittelt und hier und da sogar etwas salopp wirkt. Die solide Recherche und die wasserdichten Quellenangaben und Belege jedoch rechtfertigen die eine oder andere polemische Spitze, zumal ja die Autoren schon im Vorwort des Buches keinen Hehl aus ihrer sehr kritischen und damit durchaus parteiischen Haltung gegenüber der „AfD“ machen, und so ist der unterhaltende Tonfall dieser journalistisch sauberen Arbeit eher ein Vorteil für den Leser.

Bednarz und Giesa widmen sich zunächst der Selbstbezeichnung der „AfD“ als „Partei neuen Typs“ – eine Darstellung, die sowohl an der gebetsmühlenartigen Verwendung altbekannten Vokabulars der rechten Szene als auch an den nicht eben originellen Themen (wie etwa Ausländer, Homosexuelle und nationale Identität) der Partei scheitert. So bleibt die „AfD“ allen Versuchen des Parteivorsitzenden Lucke, die Nähe der „AfD“ zu Rechtsradikalen zu bestreiten, zum Trotze eben doch eine kaum mehr getarnte Neuauflage alten Ungeistes.

Desweiteren wird die Behauptung untersucht, bei den rechtsradikalen Entgleisungen von Parteimitgliedern und Sympathisanten handele es sich um „Einzelfälle“. Auch hier decken Bednarz und Giesa anhand zahlreicher Beispiele – vom fahnenschwenkenden Viktor Kasper bis zum antisemitische Karikaturen postenden Jan-Ulrich Weiß – ein Grundmuster auf, das sich zu breit, zu häufig, zu allgemein zeigt, um nicht als repräsentativ für die Denkungsart des Parteivolks angesehen zu werden.

Der dritte Mythos, den die Autoren entkräften, ist der von der „Bürgerlichkeit“ der Partei. Von den euphorischen Sympathiebekundungen Hans-Olaf Henkels für Sarrazins Elaborat „Deutschland schafft sich ab“ über zahlreiche höchst unbürgerliche, weil radikale Äußerungen aus Parteikreisen bis hin zu nachgewiesenen Berührungspunkten der „AfD“ mit linken und rechten Ideologien wird das Bild der bürgerlichen Partei Stück für Stück demontiert.

Das Gleiche gilt für die von Bernd Lucke gern wiederholte Behauptung, man sei eine (wenn auch kleine) „Volkspartei“. Ganz abgesehen davon, dass die Partei schon ihren beschränkten Wahlergebnissen nach keine Volkspartei sein kann, wird die Nähe zum Volk auch durch die abgehobenen Äußerungen vieler Parteimitglieder in Frage gestellt – vom Naserümpfen des Multimillionärs Henkel bis zur adelsdünkelhaften Umnachtung des „Germanenpriesters“ Geza von Nemanyi.

Schließlich räumen Giesa und Bednarz noch mit dem Bild von der „Professorenpartei“ auf, als die die „AfD“ gern gesehen werden will. Sorgfältig wird nachgewiesen, dass in der Partei und ihrem Vorstand weder eine überdurchschnittliche Zahl von tatsächlichen Lehrstuhlinhabern fungiert, noch signifikante Fachkenntnis zu Wirtschafts- und Währungsfragen vorhanden ist, noch herausragende wissenschaftliche Meriten für die akademische Kompetenz der Parteigranden Zeugnis ablegen. 

Kritisch darf angemerkt werden, dass die gelegentliche Selbstzitation der Autoren ein wenig eitel wirkt. Die nur um einer Pointe willen erwähnte Maßeinheit „ein Luck“ etwa, die Giesa in seiner Kolumne im „European“ erfunden hat, ist zu wenig etabliert, um einen Wiedererkennungseffekt zu bewirken, und trägt zur Information des Lesers nicht wesentlich bei. Auch scheint der Titel nicht vollends glücklich gewählt – so sehr man natürlich die Spitze gegen Sarrazin versteht, so wenig möchte man den paar offensichtlich durchdrehenden „AfD“-Wählern oder der Handvoll Pegida-Spazierer die allgemeine Bezeichnung „Deutschland“ überlassen. „Deutschland“ zeigt vielmehr in eindrucksvollen Gegendemonstrationen, dass es in seiner überwältigenden Mehrheit durchaus noch bei Sinnen ist.

Es ist indes das große Verdienst des Buches von Liane Bednarz und Christoph Giesa, in einer ebenso kompakten wie umfassenden Zusammenstellung gut belegter Zitate, Vorkommnisse und Verknüpfungen alle Mythen, in die sich die „Alternative für Deutschland“ gern hüllt, zu enttarnen und damit eine Wahrheit zu schaffen, die der von der Partei so „mutig“ verbreiteten unausweichliche Argumente entgegenhält. Wer bislang auf die Selbstdarstellung der „AfD“ hereingefallen ist, hat bei den täglichen Nachrichten wohl einfach nicht richtig aufgepasst. Wer ihr nach Erscheinen des Buches von Bednarz und Giesa immer noch glaubt, kann zumindest nicht mehr auf die allzu beliebte Ausrede zurückgreifen, er habe das alles ja nicht gewusst.

Das Buch „Deutschland dreht durch. Die Wahrheit über die AfD“ ist bei Hanser Literaturverlage als eBook erschienen.