Samstag, 10. Juni 2017

Ausgeträumt

oder: Die neurechte Sackgasse

Die Neue Rechte ist am Ende. Vorbei der Traum von absoluten Mehrheiten, von der großen Bewegung, dem kollektiven Erwachen und der epidemischen Ausbreitung einer völkischen Gesinnung. Verpufft das Wunschbild von der Woge einer neu gefundenen nationalen Kraft, die in ihrer atavistischen Urgewalt das ganze Volk erfaßt und das verhaßte "System" samt seiner "Altparteien" hinwegspült.

Man mag die sogenannte Dresdner Rede des thüringischen AfD-Männchens als Wendepunkt in der Entwicklung einer Partei sehen, der es mit Provokationen und Relativierungen lange gelungen ist, mediale Aufmerksamkeit zu erregen und Begriffe und Ideen, die ganz zu recht lange als tabu galten, schleichend in den Diskurs einsickern zu lassen, aber das würde der Sache - und der Gesellschaft in Deutschland - nicht gerecht.

Denn die sogenannte Neue Rechte hat sich nicht erst in Dresden verzockt. Sie hatte unterm Strich niemals eine Chance auf relevante, sprich: systemverändernde Mehrheiten. Der Wille zur Freiheit, die Lust an der Vielfalt sind im Deutschland des Jahres 2017 zu tief verwurzelt, ebenso wie die aus Vernunft und Überzeugung gezogenen Lehren einer furchtbaren Vergangenheit, die entschlossen abzulehnen weiß Gott keinerlei Schuldkomplex erfordert.

Pech für die national Bewegten und ihre angebliche schweigende Mehrheit - die tatsächliche, gigantische Mehrheit der Deutschen ist eben anständig und mag unsere Demokratie, Europa und den Pluralismus. Sie hat längst kapiert, daß eine starke Identität keine Ausgrenzung braucht, und ist gern und fröhlich deutsch, ohne haßerfüllt gegen "das Fremde" zu sein. Ganz einfach eigentlich. Alle Machtergreifungsphantasien, die die AfD je gehabt haben mag, waren daher von Anfang an feuchte Träume.

Nun zeichnet sich langsam auch in der Öffentlichkeit ein realistisches Bild ab - das Bild einer rechtsradikalen, ewig gestrigen Partei von völkischen Spinnern und bitteren Demagogen ohne ernstzunehmendes Programm und ohne Antworten auf die drängenden Fragen des 21. Jahrhunderts. Nix Neues - die NPD dümpelt schon seit Jahrzehnten in diesen trüben Nebengewässern, während der Fluß des wahren Lebens an ihr vorbeirauscht.

Und so wird und soll es der AfD von nun an auch ergehen. Als relevante Kraft in der politischen Landschaft ist die Partei tot, und je klarer diese Erkenntnis wird, desto lauter, geifernder, beleidigender und aggressiver werden (wie ich gerade erst wieder selbst erfahren durfte) ihre Vertreter, Apologeten und Sympathisanten. In den Bundestag kommt sie, falls überhaupt, nur, wenn sie die Verblendung ihrer Wählerschaft irgendwie mit Ach und Krach bis September aufrecht zu erhalten vermag. Aber wahrscheinlich ist das nicht. Bis dahin wird wohl niemand mehr seine Stimme derart leichtfertig verschwenden.

Wir können diesen Haufen also getrost abhaken (wenn auch selbstverständlich im Auge behalten) und tun, was echte Patrioten eben tun: die gewaltigen Probleme angehen, offen über Mißstände reden und für unser wundervolles Land eine Zukunft gestalten, die Freiheit und Gerechtigkeit gewährleistet und tragfähige Lösungen bereithält.

Mittwoch, 7. Juni 2017

Abendgedanken zur Heimat

(Soeben zurückgekehrt von einer gefühlt ewig langen, tatsächlich genau drei Tage währenden Reise an den schönen Mittelrhein. Meine Heimat.)

Heimat. Ein oft, gern, innig und widersprüchlich erörterter Begriff. Heimat - in meinem Leben fraglos etwas sehr Wichtiges. Und schon sind wir mittendrin in diesem ominösen "Für mich", in der Grundsatzfrage also: Kann allgemeingültig werden, was Heimat für mich ausmacht? Oder leite ich meine Empfindung von Heimat aus etwas Allgemeingültigem her? Heimat - für mich oder für uns?

Das Problem scheint mir in vielen diesbezüglichen Diskussionen immer wieder zu sein, daß einige der Beteiligten mehr oder minder krampfhaft versuchen, Heimat zuerst einmal kollektiv zu definieren, als objektives, identitätsstiftendes Moment für eine ganze, stillschweigend als homogen vorausgesetzte Gesellschaft, als integrative Klammer also, die über alles Persönliche hinweg ein Wir-Gefühl erzeugt und zugleich verkörpert. Ein solches Wir-Gefühl ist an sich ja nichts Verkehrtes; mir scheint nur die Stoßrichtung die falsche zu sein.

Für mich (da ham wa's!) ist Heimat zunächst etwas höchst Individuelles, ein Begriff, den ich mit meinen ganz eigenen Erinnerungen an mein Aufwachsen, meine Jugend, an Menschen und Orte, an Erlebnisse und Erfahrungen und an Familie, Wurzeln und Prägungen fülle. Meine Heimat definiert sich allein über meine Biographie. Daß es dabei verbindende Elemente mit anderen Menschen gibt, ein Zungenschlag, eine gemeinsame Schulzeit, dieselbe Luft und dasselbe Land usw., versteht sich, und ja, daraus erwächst auch ein Wir-Gefühl. Aber eben erst, wenn ich Heimat für mich ganz individuell ge- und erfunden habe und dadurch überhaupt erst in der Lage bin, den Abgleich mit ähnlichen Prägungen anderer Menschen vorzunehmen.

Zudem fällt mir eine verbindliche Deutung des Heimatbegriffs auch deshalb schwer, weil Heimat, abgesehen davon, daß sie sich nicht nur geographisch, sondern auch temporal fassen läßt (aber dazu später), immer größer wird, je weiter ich mich von ihr entferne: In meiner Heimatstadt Koblenz ist es die südliche Vorstadt, in Bayern oder an der Nordsee ist es das Mittelrheintal, in Wien ist es Deutschland und in den USA Europa. Und reiste ich zu den Klingonen, wäre eben die Erde meine Heimat.

Nur - wenn ich schon nicht eindeutig sagen kann, was ich unter welchen Umständen inwieweit als Heimat empfinde, wie soll ein solches Unterfangen dann, wie aus gewissen Ecken so vehement gefordert, für ganz Deutschland, für eine Gesellschaft also von 82 Millionen Menschen gelingen?

Überhaupt Deutschland. Meine Heimat, fraglos, und doch von jeher eine schwierige solche, ein schwer zu greifendes Vaterland in einer schier ewigen Identitätskrise. Was ist deutsch? Ich bleibe diesbezüglich bei meinem Satz, der sich in meinem Text "Was ist so schwer am Deutschsein" (siehe meinezweipfennige.de) findet: Deutsch ist, wer deutsch sein will. (Und ja, ich will.)

Heimat, diesen höchst individuellen Begriff, mag indes ein jeder für sich selbst definieren. Allgemein verbindlich ist das eh nicht zu schaffen.

Donnerstag, 1. Juni 2017

Das Kind der Dankbarkeit

Meiner Mutter zum 70. Geburtstage

Das Leben ist ein Geschenk,
sagst Du mir oft, und so ist es wohl. Deine Eltern machten es Dir aus Dankbarkeit, Dankbarkeit einem gnädigen Gotte gegenüber dafür, überhaupt noch Leben zu haben, das weitergeschenkt werden konnte nach dem mörderischen Todesrausch, der es gerade erst millionenfach vernichtet hatte. Und so gaben sie Dir, was sie noch besaßen: das Leben, aus einer Dankbarkeit heraus, die Dich bis auf den heutigen Tag trägt und ewig mit dem Urgrund verbindet, aus dem Dein Geschenk Dir zuteil wurde - dem Leben Deiner Eltern.

Das Leben ist ein Geschenk,
und Du machtest es mir. Überraschend und zu plötzlich, um es abzulehnen, außerdem zu rührend, zu schwelgerisch emporgeschöpft aus der Fülle des von Dir selbst erst kürzlich Empfangenen und in so froher Kindlichkeit mir weitergeschenkt - wie hätte ich mich ihm verweigern können? Und vielleicht lag darin bereits ein Merkmal meines eigenen Seins vorgebildet, jenes Übermaß an kindlichem Gemüte nämlich, das das Geschenk meines Lebens bis heute durchwirkt.

Das Leben ist ein Geschenk,
und da hatte ich es nun. Hell und kalt in seinen ersten Sekunden und sogleich beladen mit dem, was Eltern gern "Hoffnungen" nennen, Kinder indes meist als "Erwartungen" empfinden. Vielleicht hätte ich es nach kurzer Bedenkzeit zurückgegeben, wäre nicht von Anfang an jene Mitgift dabei gewesen, die das Geschenk überhaupt erst annehmbar machte: Du. Und mit Dir eine erwartungsfreie Garantie, ein Versprechen der Liebe und des Schutzes - ein Versprechen, in dem ich mich lange davor versteckte, mich allzu weit hinauszuwagen in die helle, kalte Welt.

Das Leben ist ein Geschenk,
und meines verbarg sich lange in Deinem. Ich war von Herzen einverstanden damit, aus Deiner Liebe, in der die Dankbarkeit Deiner Eltern nachglänzte, herausgeschöpft worden zu sein, vereinzelt in meiner Gestalt und Seele nur als Teil und Spielart des ewigen Ganges von Mehrung und Weitergabe, von Herkommen und Hingehen, so verbunden und verwandt der Grundsätzlichkeit des Lebens, daß die Richtung und die Zeit, in der ich mich, falls überhaupt, bewegte, mir fast gleichgültig wurden.

Das Leben ist ein Geschenk,
und meines sei ganz besonders. Etwas dem Allgemeinen zwar eng zugehöriges, aus diesem heraus jedoch zum Besonderen sich steigerndes sei ich, so raunte es aus der Tiefe meiner Herkunft, ja, sogar auserwählt! Und nicht obwohl, sondern gerade weil mir nie recht klar wurde, wozu eigentlich, fühlte ich mich von der für viele wurzellose, abgenabelte Leben so zentralen Aufgabe befreit, etwas zu TUN, weil ich ja schon etwas WAR, und erhielt damit eine ganz familiäre Selbstlegitimation ohne jeden Bewährungszwang, einfach der urgründigen, ewigen Quelle der Dankbarkeit und Liebe wegen, aus der Du mich in Beleihung Deines eigenen Geschenks hast erstehen lassen.

Das Leben ist ein Geschenk,
und ich bin dankbar dafür. Nicht nur für mein eigenes, das geliebt sein darf, ohne dafür etwas tun zu müssen. Sondern ganz besonders für Deines, das heute 70 Jahre währt und die Dankbarkeit, aus der es entstand, verteilt, verbreitet und vermehrt hat und nun glanzvoll und verdient zurückbekommt. Ohne Liebe wäre das Leben - zumindest meines - nicht vorstellbar, und ohne Dankbarkeit wüßte ich nicht, wie ich Dich beschreiben sollte am heutigen, Deinem 70. Geburtstage.

Das Leben ist ein Geschenk.
Und heute bin ich, wie einst Du, ein Kind der Dankbarkeit.