Wo wir aber Weimarer Verhältnisse haben, ist in der Staatsform einer demokratisch verfaßten Republik. Dieser erste Versuch auf deutschem Boden hat sich nach dem unrühmlichen Untergang des Kaiserreichs 1918 ganz bewußt auf das schwarz-rot-goldene Banner als Nationalflagge besonnen, die Farben des Hambacher Festes und der Paulskirche, die für alles standen, wonach man so sehnsüchtig strebte: Demokratie, Freiheit, Völkerverständigung.
Weimarer Verhältnisse haben wir auch, was den Vorbehalt gegenüber diesen Farben angeht. Nur, daß der damals von ganz rechts kam und heute von links. Damals rissen die Nazis, die die Republik und die Demokratie haßten (klingt vertraut?) schwarz-rot-goldene Flaggen herunter, schleiften sie durch den Straßendreck und verfolgten, verletzten und töteten die, die diese Farben trugen und verteidigten. Heute haben paradoxerweise die Rechtsextremen die Flagge okkupiert, während das mittlere und linke Spektrum sie beschämt bis empört meidet.
Was für eine unsinnige Verdrehung! Vor dem Haus der Weimarer Republik direkt gegenüber dem Nationaltheater in Weimar, auf dessen Vorplatz Goethe und Schiller gemeinsam den Lorbeerkranz deutscher Dichtung halten, trage ich mit Überzeugung meine Nadel des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold.
Auf dem Platz findet derweil ein Fest für ein buntes und weltoffenes Weimar statt, und alles, was man sieht, sind Regenbogenfahnen. Dabei würde Schwarz-Rot-Gold genau hier hingehören! Diese Farben symbolisieren all die Werte, die hier gefeiert werden, ganz egal, ob irgendwo auch eine AfD ignorant damit herumrennt. Schwarz-Rot-Gold ist sozusagen die Regenbogenflagge des 19. Jahrhunderts, und das Antifa-Symbol des frühen 20.
Wieso holen wir unsere Flagge also nur zur WM heraus und überlassen sie und ihre Deutung ansonsten denen, die sie vor 100 Jahren in den Schmutz getreten haben?
Wieso haben wir eine solche Scheu vor dem besten Symbol unserer Geschichte, nur weil ein paar uninformierte Extremisten sie vereinnahmt haben?
Das frage ich mich in Weimar vor dem Haus der Weimarer Republik, mit meiner Reichsbanner-Nadel am Revers.