Mittwoch, 24. April 2024

Pluralistisches Gewusel

Da stehe ich nun oben auf dem Haus des Meeres und blicke auf diese Stadt, die so sehr meine geworden ist, seit ich im März 2007 verwirrt und auf der Suche nach Antworten hier gestrandet bin. Und ich freue mich über dieses bunte, vielfältige und kreative Gebilde da unten, in dem ich so vollständig und gern aufgegangen bin. 

So will ich leben. So wünsche ich mir die Gesellschaft - als ein pluralistisches Gewusel, in dem man sich um die lokale Tradition, die Geschichte und die Kultur schart wie um ein wärmendes, erleuchtendes Feuer, in das jeder seinen Scheit hineinwerfen kann, von wo auch immer er oder sie ihn angeschleppt hat, damit noch mehr Licht, noch mehr Wärme entsteht und das Feuer weiterlodert. 

Ja, der Pluralismus zeitigt seine Probleme. Integration gelingt nicht überall, und ein paar mißbrauchen die Vergünstigungen, ohne die Werte mitzutragen. Aber das scheint mir, wie ich so auf mein Wien schaue, lösbar - hier und in meiner deutschen Heimat. Es braucht nur guten Willen und vor allem Perspektiven. 

Schaffen wir sie! Überlassen wir die Bedarfslücken an Identität, Werten, Integrationspunkten, Arbeit und Aufstieg, Kultur und Symbolen nicht den bösen, hohlen Heilsversprechen der Extremisten jeglicher Couleur, sondern schaffen wir eine Gemeinschaft mit klaren Regeln und echten Chancen! 

Wer ist dabei?

Montag, 8. April 2024

Vorbild Russland?

Gerhard Schröder wird 80, und die AfD feiert. Denn die von Anstandsreflexen unbeleckte Treue, mit der der Altkanzler an seiner Männerfreundschaft zu dem russischen Diktator, Kriegsverbrecher, Lügner und Serienmörder Putin festhält, beeindruckt den rechten Pöbel. Und so wird auch dort von strategischen Partnerschaften und Friedensverhandlungen phantasiert, die doch nichts anderes bedeuten können als die Auslieferung der Ukraine an ein Monster. 

Warum aber gerade Russland? Was fasziniert die neuen Nazis so sehr an jenem Land, das bis heute den Sieg über die alten Nazis feiert? Vielleicht, daß dort das Recht des Stärkeren gelebt wird, das rücksichtslose Gesetz der Gewalt, der Traum von der rauhen Natur, den besonders jene träumen, die sich zu Kultur und Zivilisation nicht in der Lage sehen. Stattdessen stilisieren sie den viehischen Kampf* vermeintlicher Rassen, in dem nur der Beste überlebt, zu einem heroischen Akt der Selbstbehauptung und faseln wirres Zeug von Männlichkeit - was wohl ein Euphemismus für archaische Brutalität ist. Lustig, daß gerade das Männlein in Thüringen mit seinem bartlosen Oma-Gesicht und seiner Pennälerstimme so lauthals die Maskulinität beschwört, die es wiederzuentdecken gelte – herrje, wieviel Autosuggestion mag in derlei Forderungen stecken? 

Es ist fast mitleiderregend, wie schwach jene Gestalten in ihrem beflissenen Streben nach Stärke wirken, wie klein der Traum von Größe macht. Wie viel Angst müssen sie haben, um sich permanent bedroht zu fühlen, wie bröckelig muß ihre stolze deutsche Identität sein, wenn sie sie ständig in Gefahr sehen? Fast mitleiderregend – wenn es nicht so verachtenswert wäre. Denn jedem anständigen, fühlenden, denkenden Menschen muß das Warum ein Rätsel bleiben – warum kann man ein autoritäres System wollen? Warum will man in einer Diktatur leben? Warum macht man sich gern und freiwillig zum Erfüllungsgehilfen der Träume anderer? 

Nein, Russland unter Putin ist kein Partner. Kein Vorbild. Kein Ideal. Es ist ein verachtenswerter, kriegstreiberischer Terrorstaat unter einem entmenschten Diktator, der nichts will als Macht und der Welt nichts bringt als Leid, Zerstörung, Not und neue Gewalt. Wo bleiben Kultur, Wissenschaft, Lösungen zu Umwelt, Ernährung, Bildung, Menschlichkeit? Wo bleibt das Gute, das fraglos in der russischen Seele steckt? Daran ließe sich anknüpfen. Aber dafür muß Putin weg! 


*Bevor sich die Tierfreunde wieder aufregen: Ja, ich weiß – Tiere führen keine derart organisierten Kriege! Aber der Kampf um Lebensraum und Ressourcen, das Ausstechen und Überwinden von Rivalen ist nun mal ein tierischer, der Evolution geschuldeter Trieb, den Menschen in der Regel kulturell zu bändigen wissen. Manche jedoch nutzen fatalerweise ihren Intellekt, um ihrem tierischen Instinkt Geltung zu verschaffen, was menschliches Handeln ungleich schrecklicher macht als tierisches. Aber der Impuls kommt eben aus der Natur.