Samstag, 3. Oktober 2020

Ein Festakt

Da ist er nun, der Tag der Deutschen Einheit. Zum dreißigsten Male jährt sich heuer die friedliche Wiedervereinigung meines Landes, jener schwierigen, geliebten Heimat, die mich hervorgebracht und geprägt hat, und damals wie heute beglückt mich dieses historische Ereignis zutiefst. Ich habe ein schwarz-rot-goldenes Fähnchen rausgehängt; recht einsam flattert es da im Schwabinger Wind. Nur ein einziger Nachbar in unserer Straße bekennt ebenfalls Farbe. Schade, dieses Unverhältnis der Deutschen zu ihrer Nation und ihren Symbolen. Beim Fußball, ja, da können sie plötzlich flaggen. Aber wo wahrlich Grund zu Freude und Stolz herrscht, regt sich kaum etwas im deutschen Gemüt. 

Im Fernsehen läuft ein Festakt. Herrje, das Feiern ist der Deutschen Sache nicht. Irgendwo zwischen aufgesetzter Feierlichkeit und gezwungener Lockerheit erstarrt, wird durch hölzern aneinandergereihte Beitrage moderiert. Das Video mit dem Staffelholz ist nett, erschließt sich aber nicht ohne weiteres, und die Bilder sind nicht halb so schön und ergreifend wie etwa die Einspielungen, mit denen der ORF das Neujahrskonzert spickt. Die Reden überraschen kaum; auch wenn an ihnen inhaltlich nichts falsch ist, fehlt ihnen doch die Leidenschaft und die visionäre, einende Kraft. Alles eher mahnend in so einem süß-sauren "Nun freut euch doch mal (aber paßt auch auf)!"-Ton. 

Der Bundespräseident spricht davon, daß Schwarz-Rot-Gold unsere Farben seien, die Farben der Freiheit, und daß wir sie nicht von Spaltern und Hetzern usurpieren lassen dürfen - sehr richtig! Aber warum findet sich dann auf der Bühne keine deutsche Fahne? So ganz selbstverständlich, wie etwa die Amerikaner das machen. Gewiß, das Lichtspiel greift die Nationalfarben auf und malt das exquisite Publikum rot wie eine Kunstinstallation in einer verwaisten Kathedrale, aber die Gelegenheit zu zeigen, daß genau diese unsere Fahne physisch-real zu unserer Republik und ihren Feiertagen gehört und eben nicht ausschließlich mit Fußballspielen oder AfD-Demos zu assoziieren ist, wurde - wie eigentlich immer - zuverlässig verpaßt. 

Dann die Musik. Roland Kaiser, nun ja, der weckt natürlich auch bei mir nostalgische Gefühle. Aber geht es heute um westdeutsche Achzigerjahre-Nostalgie? Ein wenig Mark Forster, klar, für die Jüngeren und so, Anna Loos auch, und, natürlich, das Deutsche Filmorchester Babelsberg, denn wir sind ja in Potsdam. Alles in allem ein etwas trauriger, ein ziemlich einseitiger Querschnitt durch das, was Deutschland kulturell zu bieten hat. Eine Feier ohne Witz, ohne Stolz, ohne Humor und ohne Hochgefühle. Schade. 

Sehr schön fand ich vor allem zwei Dinge: Daß unser Ex-Kanzler und Putin-Spezi Schröder zwar begrüßt, aber niemals gezeigt wurde (war er überhaupt da?), und die Nationalhymne am Ende – in ihrer Urform als Streichquartett. So mag ich sie am liebsten. 

Für mich bleibt's trotz der steifen Zelebration ein Freudentag. Und so wünsche ich meinen deutschen Landsleuten und allen, die in diesem großartigen Land leben, einen fröhlichen und entspannten Tag der Deutschen Einheit, einen Tag der Dankbarkeit für die Freiheit und den Frieden, den wir haben, einen Tag, der die Einigkeit stärkt und die Spalter und Hetzer verstummen läßt, und einen Tag, an dem wir uns bewußt werden, wie unvergleichlich gut wir es allen Schwierigkeiten zum Trotze hierzulande haben. Laßt uns die Unannehmlichkeiten dieser Zeit gemeinsam in Kauf nehmen und unsere Rücksichtnahme, unsere Solidarität miteinander zum Ausdruck dessen machen, was wir in der ersten Zeile unserer Nationalhymne besingen: zum Ausdruck also der Einigkeit, des Rechts und der Freiheit, auf daß wir alle im Glanze jenes Glückes blühen, das wir uns gegenseitig ermöglichen.  

Alles Gute, Deutschland!

Dienstag, 18. August 2020

Mein Platz

Was mich am meisten nervt an der Pandemie, sind nicht die Masken, auch wenn sie lästig sind. Es sind auch nicht die Covidioten, auch wenn ich es grotesk finde, wenn sie mit Schwarz-Rot-Gold herumlaufen und damit eine Gemeinschaft beschwören, auf die Rücksicht zu nehmen sie sich jedoch eines egozentrisch definierten Freiheitsverständnisses wegen weigern.

Nein, es sind diese Schilder, die heutzutage an vielen Gastronomien zu sehen sind: "Wir zeigen Ihnen Ihren Platz!" Nee, möchte ich sagen, das tut Ihr nicht. Denn meinen Platz kenne ich. Geographisch, familiär, sozial und beruflich. Da brauche ich keinerlei Nachhilfe von einem Oberkellner. Ihr dürft mich jedoch zu meinem Tisch geleiten, das wäre nett, denn natürlich müssen wir alle zusammenhalten und die Regeln beachten, um dieses dämliche Virus in den Griff zu kriegen und uns gegenseitig zu schützen. Weil so nämlich Gemeinschaft geht. Schwarz-Rot-Gold und so.

Die ordnende Zuweisung eines Tisches, die kann man anders kommunizieren. Nett und respektvoll. Worauf ich jedoch ganz empfindlich reagiere, ist, wenn mir jemand meinen Platz zeigen will. Daran haben sich wahrlich schon andere die Zähne ausgebissen.

Dienstag, 4. August 2020

Ein Nachruf

Ein Nachruf - ja! Nachrufen möchte ich Dir: Geh nicht weg! Sei noch da! Wir haben so viel versäumt. So viele Gespräche, die wir nicht geführt, so viele Erlebnisse, die wir nicht geteilt haben. Weil es so lange her ist, daß wir uns gesehen haben. So viele Jahre, seit Du den Kontakt abgebrochen hast. Und ich habe es verstanden. 

Du warst so schrecklich verliebt in mich. Es war offensichtlich. Und einmal hast Du es mir gesagt. Damals auf dem Balkon, irgendwann nachts, champagnerselig, während im Saal der Hausball rauschte. Ich fand das unglaublich süß. Aber da konnte ich nichts machen. Ich liebe halt anders als Du. Und Du wußtest das ja auch. 

Herrje, der Tag, an dem Du mich feierlich und geheimnisvoll zu Dir gebeten hast, in Dein kleines Dachzimmerchen, das so voll war mit Büchern und CDs. Herumgedruckst hast Du, um die richtigen Worte ringend, wie es doch sonst nicht Deine hocheloquente Art war, und auf den verschlungensten Wegen hast Du Dich schließlich zu Deinem großen Bekenntnis vorgekämpft, dem Geheimnis Deiner Homosexualität, das ich doch längst kannte. Ein wenig habe ich wohl den dramatischen Bogen ruiniert als ich auf dem Höhepunkt Deiner Offenbarung nur sagte: Ja und? Das weiß ich doch. 

Das hat Dich ein wenig erstaunt, nicht wahr? Für einen Moment warst Du aus dem Konzept gebracht. Und dann erzähltest Du mir, merklich erleichtert, wieviel Angst Du vor diesem Gespräch, diesem Geständnis gehabt hattest. Schließlich hatte nicht jeder Deine Art zu lieben mit so viel Wohlwollen aufgenommen; Deine Mutter, so erzähltest Du, habe sich gar "vor Kummer in den Dahlien gewälzt" - eine Formulierung, die ich heute noch verwende. Und immer muß ich dabei an Dich denken und lächeln. 

Himmel, Du warst also schwul. Es gehörte für mich zu Dir wie Deine Liebe zu Wagner oder Hofmannsthal, wie Dein Siegelring und Dein vornehmer nordfriesischer Akzent. Und es schien mir durchaus liebenswert, wenngleich ich dieser Neigung nichts anzubieten hatte. Was mir leid tat für Dich, aber eben nicht zu ändern war. 

Weißt Du, ich kenne unerfüllte Liebe. Ich habe sie selbst lange erdulden müssen. Und es tut mir leid, Dir solchen Herzschmerz verursacht zu haben. So viel davon, daß Du es irgendwann vorzogst, den Kontakt ganz abzubrechen. Ich verstehe das. Aber Du fehltest mir von da an. Alles an Dir. Alles, was uns verband. Unser serpentinenhafter, holpriger Lebensweg, der uns beide von der Juristerei zur Literatur und dann irgendwann in ganz neue Bereiche geführt hatte, und auch unsere seelische Verwurzelung in einer anderen Zeit... 

Schön war's damals in Heidelberg. Eine Zeitlang bist Du bei uns ja fast zu Hause gewesen; wir haben stundenlang über Literatur gesprochen, Opern gehört oder Viscontis "Ludwig" angeschaut. Du warst so unglaublich klug, so belesen und bereichernd... und dabei so warmherzig, so empfindsam und seelenvoll. Ich hatte Dich gern als Freund, weil ich mich endlich verstanden und einfach ein bißchen weniger allein fühlte in meiner Sehnsucht nach dem Schönen und Guten in dieser immer häßlicher werdenden Welt. 

Heute ist Dein Geburtstag. Seit Deiner, ich nenne es mal "Trennung" von mir denke ich jedes Jahr an diesem Tag an Dich. Und jedes Jahr habe ich mir vorgenommen, Dich anzurufen. Zu hören, ob es Dir gutgeht. Und zu schauen, ob sich diese besondere, bereichernde Freundschaft nicht doch erneuern ließe. Und jedes Jahr habe ich es nicht getan. Aus Respekt vor Deiner Entscheidung. Aus Angst, alte Wunden aufzureißen. Und vielleicht ein wenig aus dem Glauben heraus, wir hätten ja noch ein ganzes Leben lang Zeit. Wie töricht.

Auch heute habe ich an Dich gedacht. Und heute, ja, heute war ich soweit, heute habe ich beschlossen, es allen Bedenken zum Trotze zu wagen und Dich anzurufen! Was soll's denn, dachte ich - es sind nun fast 20 Jahre! Und also suche ich in freudiger Erregung, im herzpochenden Wagemut des Neubeginns nach Deinen Kontaktdetails. Und finde Deinen Nachruf. 

Du bist gestorben. Sehr schnell. Sehr unerwartet. Und viel zu früh. Himmel, Karl, Du bist ein Jahr jünger als ich! Wie kannst Du seit vier Jahren tot sein?! 

Ich habe Dich verpaßt. Wir uns. Die letzten beiden Jahre Deines Lebens haben wir sogar in derselben Stadt gewohnt. Wie unser alter Lehrer übeigens, wußtest Du das? Wie einfach hätte es sein können! 

Ich bin so unendlich traurig. Nun werden wir uns niemals wiedersehen. Keine Gespräche mehr über Richard Strauß und Hugo von Hofmannsthal. Keine kurze, süße gemeinsame Flucht vor der häßlichen Gegenwart in jenes Reich, das nicht von dieser Welt ist und uns doch so innig verbunden hat... 

Danke Dir. Danke für Dich, für die Impulse und Perspektiven, für Dein Vorbild und Deine Liebe. Ich werde Dich niemals vergessen.

Dienstag, 26. Mai 2020

Wunder a.D.

Es gibt Wunder, die hören auf. Quittieren sozusagen ihren Dienst – und das durchaus aus freien Stücken! Sie wollen nicht mehr wunderbar sein, kein beglücktes Sich-wundern mehr auslösen bei den sie verwundert Erlebenden. Solchen Wundern ist es nicht nur um das Ende ihrer Wundereigenschaftlichkeit zu tun, um ein Aufhören ihrer gestaltenden und wegbereitenden Macht, nein - überwältigt von der eigenen Unglaublichkeit möchten sie zugleich alles, was jemals wundervoll war an ihrem Wirken ungeschehen machen und aus jeder Erlebnisgeschichte tilgen. Sich selbst vergessen machen, das möchten sie. Und am liebsten den gesamten Glauben an Wunder per se gleich mit.

Doch ach, das muß fehlgehen! Denn so machtvoll das Wunder wirkt, solange es eben dieses bleibt, so unfaßbar sein Auftreten und seine Folgen, seine ganze schicksalsverbiegende Kraft dem überwältigten Zeugen erscheinen mögen, so schwach und hilflos ist das Wunder in seinem Willen, sich selbst nichtig zu machen. Und je mehr es sich leugnet, sein vielseits bezeugtes Wirken nachträglich zu bestreiten versucht und die wundertätigen Veränderungen des regulären Geschehens hin zum ganz und gar Unwahrscheinlichen verneint, desto deutlicher wird sein Einfluß, seine unwiderlegbare Echtheit und die auf ewig bestehende neue Wahrheit, die es geschaffen hat und nie mehr abschaffen kann.

So bleibt ihm nichts als ein ganz und gar wunderloses Dasein in der beklemmenden, nichtswürdigen Spalte zwischen unleugbarer, lebensvoller Wirkungsmacht und gewaltigen, endgültigen Erreichungen auf der einen, der recht eigentlich wahren Seite, und dem verlogenen, murrenden Beharren auf dem eigenen Nie-dagewesen-sein andererseits, eine Spalte, die niemals Recht bekommen kann und also die Wahrheit nie restlos vom selbstzerstörerischen Wunschbild zu trennen und auszulöschen vermag. Die Enge dieser Spalte, dieser Zwischenexistenz bleibt ziel- und zwecklos, auch wenn sie sich mit allerhand unbefriedigenden Ersatzwirklichkeiten anfüllt, und muß am Ende alles zerdrücken, was das nicht mehr Wunder sein wollende Wunder so gern als neue Gültigkeit der Geschichte festgeschrieben hätte.

Das aber geht nicht. Wunder bleiben Wunder.

Samstag, 23. Mai 2020

Verfassungstag in Corona-Zeiten

23. Mai - Verfassungstag! Ich freue mich sehr über dieses Grundgesetz, das Deutschland zum einem der freiesten, sichersten und wohlhabendsten Länder der Welt macht. Aber das tumbe Gemotze, mit dem nun selbsternannte "Verfassungspatrioten" um ihrer Freizeit- und Konsumvergnügungen willen auf ihre (ohnehin kaum mehr eingeschränkten) Grundrechte pochen und meinen, sich ihrer individuellen Freiheit wegen über das allgemeine Wohl hinwegsetzen zu dürfen, bestürzt und verärgert mich. Dennoch: Frohen Verfassungstag und alles Gute, Deutschland!

Donnerstag, 21. Mai 2020

Vatertag

Ich gratuliere mir mal selbst zum Vatertag. Denn die Mutter meines Kindes käme nicht darauf. Sie hat ihre Mutterschaft zum Geschäftsmodell gemacht, schreibt Kinderbücher mit lustigen Lerngeschichten und erzählt ihrer ergebenen Filterblase mit Vorliebe von ihrem harten Alltag als Alleinerziehende. Einen Alltag, den sie durch das Beenden der damals noch bestehenden Beziehung freilich selbst gewählt hat, aber mit solchen Details wird das Publikum nicht behelligt.

Einen Vater gibt es in ihrem Narrativ folgerichtig nicht, schon gar keinen, der vom ersten Tag an mehr Unterhalt gezahlt hat als er mußte, sein Kind regelmäßig besucht, jede irgendnötige Hilfe gewährt und alle wichtigen Zusatzanschaffungen und -maßnahmen ermöglicht hat. Ohne Vaterschaftstest, übrigens, und ohne Eintrag in der Geburtsurkunde. Auf Treu und Glauben, sozusagen, obwohl beides über die Jahre durch mannigfaltige Demütigungen und unverfrorene Lügen immer wieder recht krass enttäuscht wurde.

Stattdessen bleibt die Vaterfigur nebulös; sie wird, wenn überhaupt, über vage Implikationen definiert. Implikationen, in denen nichts konkret wird, aber genug häßliche Charakterzüge und sehr viel Egoismus des Erzeugers erahnbar werden. Ein Hauch von Sitzenlassen schwingt da mit. Die - selbstverständlich von sehr viel Mitgefühl und solidarischer Anteilnahme des virtuellen Publikums begleitete und aufmerksam verfolgte - Scheinwirklichkeit ihrer Texte zeichnet das Bild einer tapferen, zarten und kreativen Frau, die ganz allein und ohne jede Hilfe unter widrigsten Umständen ihr Kind durchbringt. Nun ja, irgendwoher muß man sich ja ein Selbstbild zaubern und es validieren lassen.

Aber halt - ich will nicht ungerecht sein: Zweimal war ich doch Gegenstand ihrer Blogtexte. Verklausuliert als übelriechender, sich im heimischen Idyll von Mutter und Kind rücksichtslos breitmachender Mops, ein (natürlich) imaginärer Freund des Kindes. Ja, so geht wohl Dankbarkeit, Partnerschaft und Loyalität. Und doch mache ich weiter. Unbeirrt, unkränkbar, unerschütterlich.

Irgendwann macht sich meine Tochter gewiß ihr eigenes Bild.

Sonntag, 10. Mai 2020

Muttertag

Wenn irgendetwas mir im Leben
beständig Kraft und Sinn gegeben
und mich mit zarter Hand geführt,
mich fromm beseelt und inspiriert,
so war es meiner Mutter Liebe,
die mich im wirren Weltgetriebe
beschützte und behütete,
mich trug und mir vergütete,
was mir das Schicksal abverlangte,
und mit mir litt und mit mir bangte,
und die bis heute mich erfüllt,
mich wie ein starkes Kleid umhüllt
in guten und in schlechten Tagen,
in Siegen und in Niederlagen,
in Zweifelsnot und höchstem Glücke -
wie sich die bunten Lebensstücke
auch fügen, um ein Bild zu geben,
des bin ich mir gewiß Leben:
Hemmt meinen Weg auch Stock und Stein
und hält mich auf und macht mir Pein,
so wird doch nie mein Fuß mir wund
auf Deiner Liebe weichem Grund!

Freitag, 3. Januar 2020

Lange her

Lange ist's her, daß ich in diesem Café an diesem Tische saß und eingesperrt war in einer Gegenwart, die ich nicht zu beeinflussen, nicht zu bewegen vermochte, die keine Zukunft ahnen ließ und schwer am Vergangenen, am Verlorenen trug. So gab es nur den Augenblick, das kleine, gerade so ertragbare, fest eingefrorene Fenster zwischen Last und Ungewißheit, zwischen Schmerz und Angst, jenen Moment, den es exzessiv zu füllen und rauschhaft zu leben, zu betäuben galt in Lust, um das so schrecklich unveränderte Morgen noch ein kleines bißchen fernzuhalten.

Jene Gegenwart war mir dieser Tisch, an dem ich geliebt und gelitten habe, verzagt, verführt, verletzt und verloren, und der zum Angelpunkt meines entzeiteten Seins wurde. Es ist lange her, daß meine eingefrorene Gegenwart endlich aufbrach, krachend wie blaues Eis, und mein Gefängnis mit Verheißung und wunderhaften Aussichten durchlichtete. Auf einmal weitete sich das Café um meinen Tisch, und das Gewölbe auf seinen starken Säulen bog und streckte sich wohlig in die Höhe wie eine buckelnde Katze nach tiefem Schlaf. Die Wände platzten auf in lebensgieriger Blüte und gaben einen strahlenden Himmel preis, dessen Licht fast zuviel war.

Es ist lange her, und blaß und fern ist die Erinnerung daran, wie die Zeit sich wieder zu regen begann, langsam und behäbig sich freirollte aus dem eisigen Sehnen, in dem sie stillgestanden hatte, Schwung gewann und endlich munter dem Wunder entgegensprang, das sie entfesselt hatte, dies und das überwindend und hinter sich lassend...

Mein Tisch hat, wie ich, laufen gelernt. Wie ich, geht er mit der Zeit. Ein neuer Gast hat Platz genommen. Warm und beweglich. Die eisige Starre, sie ist lange her.