Donnerstag, 22. November 2018

Ich weiß.

Ich weiß. Es hat kein Dach mehr. Eingefallen, ja. Und die Decken, nun ja. Eigentlich stehen nur noch ein paar Außenmauern. Aber die Lage ist toll! Oder? Ich geb's zu. Es ist ganz schön viel kaputt. Eigentlich alles.

Ich weiß. Dich zu bitten, hier einzuziehen, mit mir... das ist eine ganz schöne Zumutung. Es zieht, weil keine Fensterscheibe mehr ganz ist. Nichts hier ist bequem. Nichts ist einfach. Das weiß ich. Es wird eine Menge Arbeit.

Ich weiß. Du willst nicht hier sein. Warum auch? Wer möchte so leben? Ohne Dach. Ohne Heizung. Aber vielleicht überlegst Du es Dir ja noch mal. Denn wenn Du hier bist, dann bauen wir ein Dach. Und eine Heizung.

Ich weiß. Es ist eine Ruine. Mir tut's mehr weh als Dir. Es ist schließlich mein Haus. Aber weißt Du? Es war mal ein wunderschönes Schloß. Und weißt Du? Das kann es wieder werden. Erneuert. Erneut. Wenn wir nur tüchtig dran arbeiten.

Ich weiß. Das klingt nach einem Märchen. Naiv. Ein bißchen zu optimistisch. Aber weißt Du? Du hast es kaputtgemacht. Damals. Das Dach verbrannt, die Fenster eingeworfen. Das tat weh. So sehr. Wenn es wieder ganz werden kann, dann nur mit Dir.

Ich weiß. Du magst das nicht so gern hören. Daß Du mein Haus zerstört hast. Unbewohnbar gemacht. Aber es ist nichts Schlimmes. Es ist eine Chance, die wir beide haben. Es wieder ganz zu machen. Bewohnbar. Ein kleines Zuhause für das Glück.

Ich weiß. Nach all den Jahren weiß ich sehr viel. Über's Bauen, über's Renovieren. Über's Wiederherstellen. Über Dächer und Heizungen. Und über Glück. Deshalb schlag' ich's einfach mal vor:

Laß uns hier einziehen!

Donnerstag, 15. November 2018

Ein Muschelleben

Die Muschel im Meer
hat’s schwer.
Sie ist weich
und zugleich
ist das Leben so hart.
Es erspart
ihr nichts. Kein Land,
nur Salz und Sand
und der zahlreichen Feinde
hungrige Gemeinde.
Drum schützt sie mit Schalen
vor Qualen
ihr Herz,
hüllt den Schmerz
in Stein
und verkriecht sich darein.

Allein.
Von draußen kann kein
Wesen sie sehen,
verstehen,
erkennen und spüren
ihr inneres Rühren,
ihr Sehnen, ihr Hoffen.
Nicht offen
der steinerne Panzer,
mit ganzer
Kraft verschlossen gehalten,
vor Gewalten
die zarte Seele
zu bergen in einsamer Höhle.

Sie sehnt sich nach Leben,
ihr Streben
nach Liebe,
die Triebe,
all das treibt sie an
und sie kann
nicht verhindern,
die Deckung zu mindern,
einen haarfeinen Spalt
öffnet sie – schon wird’s kalt.

Doch eh sie neuerlich hart und gemein
die innere Pein
verdeckt,
sie versteckt
und sich wiederum schließt,
schießt
liebesmutig ein Sandkorn hinein
ganz klein, ganz fein.
Ins Weiche gekuschelt,
ummuschelt,
bekämpft
und gedämpft
mit perlkaltem Weiß
brennt es heiß,
und aus Muschel und Korn
wird Neues gebor’n.

Da spült eines Tages das launige Meer
was her.
Ein lebensmüdes Schalentier
voll Gier
nach Trost und Halt,
schweißkalt
in ziellos-dummem Lauf,
nähert sich, bricht sie auf,
trinkt sich satt.
wird matt.
tut ihr weh,
sagt „ich geh“
und ist weg.
Was ihr bleibt, ist der Schreck.
Doch schon eilt
eh' sie heilt
das Schalentier zurück
hat Glück,
und darf rein
in den schützenden Schrein.

Und da macht es sich breit,
teilt sein Leid,
süß, hitzig, geschwollen
spricht’s von Liebe, von Wollen.
frißt Licht,
spürt nicht,
wie neben ihm die Muschel verdirbt
und stirbt.

Sie verfällt, verwässert, verweht
und vergeht.
Und zurück,
bleibt die Schale, das Stück,
das sie stützte,
ihre Weichheit beschützte,
und noch lange zu sehen
ist, wenn Muscheln vergehen.
Man nennt es wie sie,
erkennt nie,
wer dort lebte,
vor Angst, vor Liebe, vor Leid weich erbebte.

Nun liegt die Schale hohl und leer,
Ein Überrest nur,
doch nicht ohne Spur:
Eine kleine Perle schwimmt durchs Meer.