Freitag, 3. Januar 2020

Lange her

Lange ist's her, daß ich in diesem Café an diesem Tische saß und eingesperrt war in einer Gegenwart, die ich nicht zu beeinflussen, nicht zu bewegen vermochte, die keine Zukunft ahnen ließ und schwer am Vergangenen, am Verlorenen trug. So gab es nur den Augenblick, das kleine, gerade so ertragbare, fest eingefrorene Fenster zwischen Last und Ungewißheit, zwischen Schmerz und Angst, jenen Moment, den es exzessiv zu füllen und rauschhaft zu leben, zu betäuben galt in Lust, um das so schrecklich unveränderte Morgen noch ein kleines bißchen fernzuhalten.

Jene Gegenwart war mir dieser Tisch, an dem ich geliebt und gelitten habe, verzagt, verführt, verletzt und verloren, und der zum Angelpunkt meines entzeiteten Seins wurde. Es ist lange her, daß meine eingefrorene Gegenwart endlich aufbrach, krachend wie blaues Eis, und mein Gefängnis mit Verheißung und wunderhaften Aussichten durchlichtete. Auf einmal weitete sich das Café um meinen Tisch, und das Gewölbe auf seinen starken Säulen bog und streckte sich wohlig in die Höhe wie eine buckelnde Katze nach tiefem Schlaf. Die Wände platzten auf in lebensgieriger Blüte und gaben einen strahlenden Himmel preis, dessen Licht fast zuviel war.

Es ist lange her, und blaß und fern ist die Erinnerung daran, wie die Zeit sich wieder zu regen begann, langsam und behäbig sich freirollte aus dem eisigen Sehnen, in dem sie stillgestanden hatte, Schwung gewann und endlich munter dem Wunder entgegensprang, das sie entfesselt hatte, dies und das überwindend und hinter sich lassend...

Mein Tisch hat, wie ich, laufen gelernt. Wie ich, geht er mit der Zeit. Ein neuer Gast hat Platz genommen. Warm und beweglich. Die eisige Starre, sie ist lange her.