Dienstag, 27. April 2010

Gestrandet

Kann mich mal jemand kneifen? Ich spüre gerade nichts.

Mit den Splittern meines Herzens habe ich das Netz der Liebe zerschnitten, in dem ich mich verfangen hatte. Naß, schwer und faulig umspannte es mich. Nun krieche ich sonnenblind und halb verdurstet aus den Fetzen hervor. Ein warmer Wind weht; Wellen rauschen. In meinen Ohren? Nein, tatsächlich. Die ewigen Wellen des Lebens. Ich nehme wahr, daß es warm ist, und vermutlich würden viele Leute den Tag "schön" nennen...

Man hat mich einfach liegen lassen an diesem Strand. Naja, zugegeben - ich bin freiwillig hingegangen. Hingerannt geradezu. Denn was sich als modriges Fischernetz erwies, schien mir damals ein wunderbar luftiges, prächtiges Gewand zu sein. Ich habe mich darein gehüllt und war zum Jauchzen glücklich damit.

Bis ich langsam zu erkennen begann, was es wirklich war. Eine Falle. Es wurde schwerer und schwerer, seine Nässe machte mich frösteln, und der blumige Duft, den ich zu riechen geglaubt hatte, wich einem fauligen Gestank nach verrottendem Seetang und toten Fischen.

Es drückte mich nieder, vernebelte mir die Sinne... ich brach zusammen, und beim Aufprall zersplitterte mein Herz.

Nun bin ich heraus. Benommen, geschwächt. Aber der Strand ist noch da, die Sonne scheint noch. Ein paar Meter schleppe ich mich durch den Sand. Nur weg von diesem verfluchten Netz.

Ich blinzele und glaube, ganz weit hinten am Strand ein luftiges, prächtiges Gewand im Winde flattern zu sehen.

Ob ich mal hingehe und es anprobiere?

Donnerstag, 22. April 2010

Mein Schnabel

Ab und zu setze ich mich auf einen Stuhl.
Ab und zu lege ich mein Haupt auf ein Kissen.
Meine Einkäufe trage ich ab und zu in einer Tüte nach Hause!
Ab und zu esse ich Möhren.
Und Hackfleisch.
Und ab und zu verwende ich auch Sahne.
Für mich ist es DER Monat und DIE Cola.

So ist mein Schnabel halt gewachsen.

Dienstag, 20. April 2010

Tote Helden

Zu den ewigen Menschheitsthemen gehört fraglos das Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen. Und da mein eigener Vater kürzlich Geburtstag hatte und ich natürlich an ihn gedacht habe, ist mir heute danach, ein paar Sätze zu diesem weiten Feld sagen.

Zugegeben - sehr originell ist die Problematik zwischen meinem Vater und mir nicht. Ich habe mich nie akzeptiert gefühlt, und mein Vater wollte mich spürbar ganz anders haben als ich nun mal geraten bin. Das Übliche also, würde ich sagen.

Zudem hatte ich schon als kleines Kind erhebliche Schwierigkeiten damit, die Autorität meines Vaters anzuerkennen. Er beanspruchte eine gleichsam "natürliche" Autorität über mich, die er nicht in seiner Persönlichkeit, sondern im Vater-Sohn-Verhältnis an sich begründet sah, und dergleichen Prinzipielles hat mich noch nie überzeugt.

Damit kein falscher Eindruck entsteht - ich will nicht leugnen, daß mein Vater sich phasenweise tatsächlich um mich bemüht hat, und ebenso wenig ist zu bestreiten, daß er es mit mir nicht leicht hatte. Auch sage ich keineswegs, daß ich ihm nicht einiges verdanke. Mindestens eine kieferorthopädische Behandlung und ein Studium. Schließlich stelle ich, je älter ich werde, zunehmend fest, daß ich durchaus einige Eigenschaften meines Vaters geerbt habe, und ein paar davon finde ich sogar sehr gut.

Wenn wir heute keinerlei Kontakt haben, dann nicht, weil einer von uns ein böser Mensch ist, sondern deshalb, weil wir einfach nicht zusammen passen. Das kommt vor, und wenn es zwischen Vätern und Söhnen so ist, dann ist das bedauerlich, aber eben doch eine Realität, die man irgendwann akzeptieren muß. Ich tue das seit mittlerweile gut 15 Jahren und lebe damit erstaunlich gut.

Viele Leute glauben mir das nicht. Sie unterstellen mir, daß ich verdränge; empfehlen wohlmeinend, daß ich die "Aussprache", die Versöhnung gar mit meinem Vater suche und prophezeien, daß ich mir, wenn der alte Herr dereinst nicht mehr ist, wünschen werde, ich hätte doch... und so fort. Aber das trifft auf meinen Fall nicht zu. Zwischen meinem Vater und mir ist alles gesagt.

Der glühendste Verfechter eines "klärenden Gesprächs" war lange Zeit (ausgerechnet) der zweite Mann meiner Mutter, der seit fast 30 Jahren in mein Leben gehört und mit dem mich eine nicht immer einfache, dafür aber umso tiefere Freundschaft verbindet. Seinen eigenen Vater kannte er nicht - dieser war am militärischen Widerstand gegen Hitler beteiligt und wurde 1944 im Zusammenhang mit dem Attentat von 20. Juli in Plötzensee hingerichtet. Er war also ein Patriot, ein deutscher Held.

Gerade, weil mein "Stiefvater" (blödes Wort) selbst ohne Vater aufgewachsen ist und darunter als Kind sehr zu leiden hatte, riet er mir, die Chance zu nutzen, mit meinem Vater ins Reine zu kommen. Um diese Chance, überhaupt einen Vater haben zu dürfen, sei ich zu beneiden, sagte er...

Nun ertappe ich mich zuweilen dabei, daß ich ihn umgekehrt ebenso beneide. Er kann seinen Vater vorbehaltlos verehren, und das Verhältnis, das er zu ihm hat, ist nie einem Realitätstest unterworfen gewesen. Sein Vater hatte nie Gelegenheit, ihn zu enttäuschen, ihn ungerecht zu behandeln oder zu unterdrücken. Er konnte ihm freilich auch nichts Gutes tun. Aber zuweilen erscheint mir ein toter Held doch besser als eine lebende Enttäuschung.

Ich hege keinen Groll gegen meinen Vater. Ich kenne seine Biographie und weiß, warum er ist wie er eben ist. Und auch ich bin ja nicht zuletzt meiner Vater-Sohn-Beziehung wegen so, wie ich heute bin. Er beschäftigt mich, weil der Vater eben immer eine wichtige und prägende Figur im Leben eines Mannes ist, aber diese Beschäftigung berührt nicht mein tägliches Leben. Darum kann ich ihm, auf meine Weise "versöhnt" (ein Wort, in dem der "Sohn" ja deutlich mitschwingt), dankbar sein und zu seinem Geburtstag alles Gute wünschen.

Donnerstag, 8. April 2010

Warum ich Gott cool finde

Zu Ostern war er mir plötzlich wieder sehr präsent, der Gott meiner Kindheit. Und ich habe ihn begrüßt wie einen guten alten Freund, den man im Alltag zwar sehr vernachlässigt, über dessen unverändertes Wohlwollen man sich nach längeren Begegnungspausen gleichwohl von Herzen freut.

Es ist - natürlich - der Gott der Bibel, der mir zu Ostern entgegentritt, jener Bibel, die ich schon als Kind geliebt habe. Und noch heute, nach einem Studium der Literaturwissenschaft und einigen Jahren Lebenserfahrung, halte ich sie für das Buch der Bücher. Nichts, was die Weltliteratur in der gesamten Menschheitsgeschichte zustande gebracht hat, findet sich dort nicht vorgezeichnet. Doch schweife ich ab.

Diesen Gott jedenfalls fand ich immer schon cool. Er war für mich nicht, wie für viele Kinder, deren religiöse Erziehung in erster Linie aus grausigen Strafandrohungen besteht, ein Angstfaktor, auch wenn in vielen Geschichten gerade des Alten Testaments von seinem Zorn die Rede ist. Er war für mich vielmehr ein Verbündeter, dessen Zorn ich nicht zu fürchten hatte, da ich ja auf seiner Seite war. Und auf seine Seite zog mich keineswegs die moralische Reinheit meines kindlichen Wesens (nein, die ganz gewiß nicht), sondern gerade der unbeherrschte, tobende Jähzorn des alttestamentarischen Gottes, den ich von mir selbst auch kannte, und der mich diesem Gott ähnlich, wenn nicht gar gleich zu machen schien.

Seinen Zorn, die Bestrafung der Feinde und den Bruch allen Widerstandes mit der Entfaltung unbegrenzter Machtmittel durchsetzen zu können, hat mich immer tief beeindruckt. Nicht vorrangig aus moralischen Gründen. Natürlich gönnte man es den blöden Sodomiten, daß sie vertilgt wurden, und den Ägyptern, daß sie ersoffen. Sie hatten sich ja wahrlich idiotisch aufgeführt. Aber das eigentliche Faszinosum steckte in der göttlich zur Schau gestellten Theatralik.

Ja, es schien mir großartig, ein Meer zu teilen oder eine Flut zu schicken, Frösche regnen zu lassen oder eine Feuersbrunst zu entfesseln! Die Schau, die Gott, keine Kosten und Mühen scheuend, abzog, fand ich zum Erzittern grandios. Mein kindliches Gemüt hatte viel Sinn dafür, wie wütend, beleidigt, radikal und nachtragend Gott werden konnte, und wie effektvoll er diese Gefühle zu inszenieren wußte. Ein unreifes, launenhaftes präpubertäres Wesen mit unbeschränkter Macht. Was konnte einem hybrischen Kinde wie mir idealer erscheinen?

Daß Gott im Neuen Testament dann ruhiger wurde und plötzlich auch Sünder und Gegner zu lieben begann, fand ich ganz in Ordnung, bemerkte ich an mir selbst doch ebenfalls eine Reifung und eine Entwicklung von der tobenden Durchsetzung meines Willens (die leider mangels göttlicher Machtmittel nicht immer funktionierte) zu einem bedachten und etwas philanthropischerem Verhalten. Jesus schien einen wirklich guten Einfluß auf seinen alten Vater zu haben; erst durch die "Fortpflanzung" schien Gott, wie viele Männer, endlich erwachsen geworden zu sein. Zwar fehlt mir die Erfahrung eigener Kinder, aber ich kann mir ungefähr vorstellen, was der Sohn bei Gott ausgelöst hat: Wer der Menschheit Liebe beibringen soll, wächst besser nicht mit einem cholerischen Vater auf.

Wir sind also erwachsen geworden, mein Gott und ich. Ruhiger, geschickter, wohlwollender. Die Schau ist nicht mehr so grandios. Aber das ist in Ordnung. Es ermüdet doch sehr, immer grandios zu sein. Diese Ostern haben wir uns wiedergesehen. Wir lächeln immer, wenn wir uns sehen. Still und einvernehmlich belächeln wir unsere jähzornige Jugend. Und freuen uns aufs nächste Jahr.

Mittwoch, 7. April 2010

Deutschland (1)

Wieder einmal weile ich in München. Und wieder einmal überrasche ich mich selbst:

Ich WIENERE!

Hier, in dem Land, das mich gemacht hat, dessen Erde mich ernährte und dessen Seele mich durchdringt, in dem Land, aus dessen Einflüssen ich gewachsen bin, hier, mitten in der sehnsuchtsvoll geliebten Heimat fühle ich mich als ein Wiener auf Reisen.

Erstaunlich.