Irrungen und Wirrungen einer virtuellen Beziehung
(Text zur Lesung am 2. Mai 2012)
Es ist so toll, daß es WhatsApp gibt! Twitter, Facebook, Skype! Besonders, wenn man – wie wir – eine Fernebziehung führt. Wie einfach ist doch die tägliche Kommunikation durch diese Medien geworden, die immer und überall verfügbar sind und obendrein nichts kosten! Wieviel leichter ist es geworden, in ständigem, innigen Austausch zu stehen, als damals, da man sich noch anrufen oder gar Briefe schreiben mußte! Schöne neue Welt, besonders für zwei Schreiberlinge, deren kraftvollster, intensivster Ausdruck von jeher im geschrieben Wort liegt – wie perfekt läßt sich so die räumliche Distanz ertragen, ja überbrücken gar!
Und geht’s vielleicht nur mir so? Wo man geht und steht, sieht man Menschen eifrig in ihre schlauen Telefone tippen. Nie war man sich so nah wie heute!
„Was ist's, das haltend mich noch kettet an dies Leben?
Die Seelen sind's, die mir verwandt. Die mir verbunden, liebend zugetan!
Das Wissen um die Bande, die mich halten - nicht grausam ist's, doch tröstend Sinn mir spendend.
Und nie, geliebte Freundin, möchte ich Deiner mehr entbehren, bist Du doch der rettenden Seelen mir die nächste.“
So etwas würde man sich am Telefon wohl eher selten sagen! Mit einem iPhone jedoch sind derlei vollkommene Liebesschwüre auch über 1000 km hinweg mal eben schnell dem anderen Herzen zugeeignet!
Gewiß, sie birgt zuweilen auch ihre Tücken, die Schriftlichkeit. Dem Durchschnittsmenschen mag die Intonation dabei fehlen, die Mimik und die Bedeutungsnuancen, die man nur in der Melodie des gesprochenen Wortes wahrnimmt, und so entstehen aus dem Mangel an Mündlichkeit hier und da Mißverständnisse, Streitigkeiten gar.
Nicht so bei uns Schreiberlingen! Unsereins weiß mit dem Wort doch ganz anders umzugehen, und wären wir nicht in der Lage, unsere Botschaften auch ohne kommunikative Banalitäten wie Mimik und Betonung klar und deutlich zu vermitteln, hätten wir wohl unseren Beruf verfehlt. Ich zeige Ihnen mal, was ich meine, und schreibe meiner Freundin schnell ein paar geistvolle, poetische Zeilen:
„Geliebtes Nasenbärchen“ (man sagt sich ja gern neckische Zärtlichkeiten) „ich denke gerade so sehr an Dich! Geht es Dir gut? Kuß!“
Und noch ein rotes Herzchen dazu! So. Ich bin schon sehr romantisch. Und sieh an – da kommt schon ihre Antwort! Schnelle neue Welt. Was schreibt sie denn…?
„Geliebtes Schielauge“ (naja, das finde ich jetzt nicht so zärtlich) „mir geht es ganz gut. Wo warst Du denn gestern abend? Hatte gedacht, ich höre noch von Dir, und hab mir Sorgen gemacht.“
Ein rosa Herz steht dahinter. Wieso denn nur rosa? Sonst sind sie immer rot! Bestimmt paßt ihr wieder nicht, daß ich mich gestern nicht mehr gemeldet habe. Mal sehen, was ich ihr Feinsinniges, Diplomatisches zurückschreibe…
„Ich war mit ein paar Freunden fort, und irgendwie finde ich es nicht gut, daß Du mir das immer zum Vorwurf machst. Habe nun mal hier auch ein Leben.“
Das mag erst mal genügen als liebevoller Hinweis darauf, daß sie doch ziemlich schnell zur Eifersucht neigt. Ich bin nämlich immer sehr liebevoll und einfühlsam, müssen Sie wissen. Sie ist aber auch schrecklich empfindlich. Ah, sie antwortet:
„Das war doch kein Vorwurf, mein Herz! Wollte bloß wissen, warum ich gestern nichts mehr von Dir gehört habe. Und wenn Du nur gereizt reagierst und nix erzählst, sondern nur sagst, Du warst mit irgendwelchen namenlosen Freunden unterwegs, dann ist das schon bißchen komisch, oder?“
Moment bitte. Ein wenig mehr Einfühlsamkeit scheint gefragt. Ihr geht es offenbar nicht so gut mit der Situation.
„DU bist komisch heute! Immer nur Vorwürfe, anstatt einfach mal zu vertrauen. Weißt Du, diese paranoide Attitüde…“
Oh. Tut mir leid, daß Sie das jetzt mitbekommen mußten. Ich schreibe ihr nachher noch mal. Wissen Sie, normalerweise klappt das besser mit der schriftlichen Kommunikation. Ich zeige Ihnen das später. Manchmal ist es eben mühsam. Ich meine, haben Sie mal versucht, mit einem Menschen zu diskutieren, der auf jede Aussage ausschließlich emotional und ohne einen Hauch rationaler Überlegung reagiert, in jedem Wort nicht ansatzweise den Kern dessen, was gemeint ist, sondern nur die Kränkung seiner Person sucht und in jeder noch so sanften Kritik, ja in jeder abweichenden Meinung nichts als eine Beleidigung sieht, die ihn sofort berechtigt, alles Gesagte abzuwehren und als unzulässig zu denunzieren?
Es ist schon recht anstrengend, wenn jemand sich empört auf einzelne Wörter stürzt, die ihm nicht passen, anstatt erst mal einen Gesamtzusammenhang entstehen zu lassen, zuzuhören, Gesagtes auf sich wirken zu lassen und sich wenigstens ansatzweise mit den Gefühlen, Bedürfnissen, Gedanken und Verletzlichkeiten seines Gegenübers auseinanderzusetzen, kurz: wenn jemand sich sofort und mit allem nur angegriffen und abgewertet fühlt, anstatt zu begreifen, daß mit dem Diskurs nur ein spezifisches Phänomen, ein Einzelfall, nicht aber er als Mensch problematisiert wird. Ich tue das ja schließlich auch. Ich bin nämlich nicht nur sehr einfühlsam, sondern auch durchaus kritikfähig.
Oh. Moment. Was schreibt sie da?
„Wieso bist Du denn jetzt schon wieder offline?! Finde ich echt nicht okay, daß Du auf meine Nachricht nicht mal mehr antwortest. Wieder mit ‚Freunden‘ beschäftigt? Und dazu, daß ich am Wochenende kommen wollte, hast Du Dich auch noch nicht geäußert. Weißt Du, es reicht mir langsam. Wenn Du Dein lustiges Leben führen willst, dann mach das, aber ohne mich!“
Stimmt, ich habe ganz vergessen, ihr zurückzuschreiben, während ich mit Ihnen geplaudert habe. Dennoch - was denkt sie denn, was ich hier mache? Lustiges Leben, tze! Und KEIN Herzchen!! Entschuldigen Sie mich, ich muß das kurz klären!
„MIR reicht es langsam! Ich fühle mich derart kontrolliert von Dir, und Dein Mißtrauen ist unerträglich. So läßt sich doch keine Beziehung führen! Und auf Deinen Besuch freue ich mich eh, das habe ich doch schon gesagt!“
Das klingt jetzt natürlich ein wenig hart, aber tief in meinem Herzen bin ich gar nicht wirklich in Streitlaune. Ich bin liebevoll wie immer, und eigentlich ließe sich dieser Streit im Nu auflösen. Aber wissen Sie, jede Macke kann ich ihr ja nun auch nicht durchgehen lassen. Sie muß schon irgendwann begreifen, daß ihr Mißtrauen mehr Schaden als Nutzen bringt. Was schreibt sie da?
„Du freust Dich EH?! Ich kann auch daheim bleiben, wenn’s Dir so egal ist!“
Ah, die Tücken der Sprache! Das sagt man halt in Österreich so!!! Vielleicht sollte sie in dieser Stimmung wirklich zu Hause bleiben. Ich schreibe mal schnell was Versöhnliches, dann kann sie ja mal nachdenken, ob das alles so angemessen ist, was sie hier aufführt.
„Ja, vielleicht bleibst Du wirklich besser daheim! Das hält ja niemand aus so!“
So. Sie schreibt bestimmt gleich zurück und sieht ein, daß sie überempfindlich war. Ab und zu sieht sie ja auch mal was ein. Was vermutlich daran liegt, daß ich im Großen und Ganzen ja doch sehr liebevoll und einfühlsam mit ihr bin.
Hm. Einen Tag lang nichts gehört. Oh, nun hat sie mich bei Facebook gelöscht. Eine sehr harte Geste. Sie wird doch nicht ernsthaft denken, ich hätte Schluß gemacht? Das will ich doch gar nicht. Ich will doch nur, daß sie begreift, wie paranoid sie ist und wie unrecht sie mir tut.
Na gut, ich twittere mal was. Da schaut sie immer nach. Sie kann es ja doch nicht lassen, überall zu schauen, was ich mache und schreibe…
„Es gibt Menschen, die vor offenen Toren stehen und glauben, nicht hindurchgehen zu können, nur weil ihnen jemand sagte, sie seien verschlossen!“
Das ist sehr geistvoll. Und einfühlsam. Es soll ja gar nicht vorbei sein… Aber wenn ich ihr jetzt schreibe, verliere ich vollkommen mein Gesicht. Dann nimmt sie mich ja nie wieder ernst. Lieber noch ein versteckter Hinweis bei Twitter:
„Nur ein kleiner Schritt über den eigenen Schatten, aber ein gigantischer Sprung für die Liebe…“
Das müßte sie jetzt aber wirklich verstehen. Warum schreibt sie mir denn nicht? Schon den dritten Tag nicht. Hm. Sollten wir uns tatsächlich so mißverstanden haben? Wir Schreiberlinge? Kann doch eigentlich nicht sein. Eigentlich bestand doch gar kein echtes Problem. Ich war mit ein paar Freunden aus, daran ist nichts Unrechtes. Wir haben uns da wohl in etwas reingesteigert. Hm. Vielleicht war ich doch nicht einfühlsam genug… Ich denke, ich werde ihr schreiben. Über meinen Schatten springen. Und tatsächlich etwas einfühlsamer sein. Ich bin nämlich sehr gerne mit ihr zusammen.
Vielleicht rufe ich sie besser an.