Ich sitze im Café Korb. Das Wetter ist traumhaft, und die Stadt quillt über vor Leben - und vor Touristen. Eine frohe, sonnige Stimmung liegt in der maiwarmen Luft, und selbst grantigstes Wiener Urgestein hat heute ein freundliches Glänzen in den Augen. Ein tiefes Glücksgefühl durchdringt mich, und ich bin sehr entspannt.
Überall sehe ich Kinder. Es ist schon erstaunlich, wie sehr sich die Wahrnehmung auf das konzentriert, was einen gerade am meisten beschäftigt. Und dann geschieht etwas Wunderschönes - ein Kindchen, das gerade laufen kann (und von dieser neuen Fähigkeit zum Leidwesen seiner Großeltern reichlich Gebrauch macht), kommt immer wieder an meinen Tisch, hält sich mit seinem kleinen Händchen am Stuhl fest, strahlt mich an und winkt begeistert zurück, als ich ihm winke. Es sieht mich so erwartungs- und vertrauensvoll an, als könne es die Vaterschaft riechen, die mein Wesen, mein Denken und mein Fühlen sowie mein ganzes Leben mehr und mehr beherrscht.
Seine Schritte sind unbeholfen, begierig, möglichst viel von dieser bunten Welt zu erkunden, und voll kämpferischer Ungeduld darüber, daß seine motorischen Fähigkeiten dem Entdeckerdrang noch nicht ganz entsprechen. Und so wackelt es immer wieder zu mir. In seinem leuchtenden Gesichtchen liegt so viel Verheißung und Ermunterung, so viel Zutrauen, daß mir das Herz zu rasen beginnt vor Liebe, und der Gedanke, daß mein Kind in einem Jahr ebenso herumtappert und mich auf diese Weise ansieht, treibt mir glücklichste Tränen in die Augen. Gottlob trage ich eine Sonnenbrille - die Großeltern könnten meine Bewegtheit mißdeuten...
"Sieh mich gut an!" scheint es mir wortlos zu sagen. "So was bekommst Du auch bald. Mach was draus! Ich verlasse mich auf Dich."
"Mein Kind", denke ich und sehe es an wie einen Platzhalter für mein eigenes, dem noch ein paar wenige wohlbehütete Tage in Mamas Bauch vergönnt sind, "ich mache was draus. Versprochen. Du sollst es gut haben. Ich nehme Dich an, wie Du bist. In Dir ist alles angelegt, so viele Möglichkeiten, Begabungen und Entwicklungen. Ich liebe Dich und werde Dich immer und in allem unterstützen und fördern, was Dir Freude macht und zu dem Du Dich geneigt fühlst. Denn ich möchte, daß Du Dein Glück in Dir selbst findest, in dem, was Du am meisten möchtest, und nicht in dem, was ich oder andere sich vielleicht von Dir wünschen! Ich werde Dir dabei helfen, dieses in Dir angelegte Glück auszuschöpfen, mit allem, was ich habe. Werde, was Du magst, liebe, wen Du willst, und lebe, wie es Dir gefällt."
Das Kind winkt noch einmal, als hätte es mich gehört und gebilligt, was ich dachte, und wackelt zu seinen Großeltern zurück. Ich lächele ihm nach und freue mich unglaublich auf alles, was kommt.