Samstag, 11. Februar 2017

Identität - viel zitiert, wenig gelebt

Die "Landshut", jene Lufthansa-Maschine also, die 1977 von palästinensischen Terroristen entführt und durch die GSG9 befreit wurde, droht in Südamerika verschrottet zu werden. Ein paar Politiker machen sich für einen Ankauf und den Erhalt des Wracks stark.

Ich befürworte das. Überall und immer wieder ist in diesen Tagen von Identität die Rede, kontextuell zumeist verbunden mit der Angst um ihren Verlust durch eine angebliche "Überfremdung". Aber Identität kann man nicht nur behaupten und einfordern. Man muß sie erst mal für sich selbst entwickeln und pflegen.

Die Bundesrepublik Deutschland, in der ich seit 1970 aufgewachsen bin, hat sich mit "Identität", zumal mit "nationaler", immer schwer getan. Zu drückend lastete die Geschichte der perversen Übersteigerung des Völkischen auf dem Land. Und so wurde der Staat vorzugsweise auf sein administratives Funktionieren und das Land auf eine politisch-geographische Einheit reduziert. Etwas Gutes oder Schönes damit zu verbinden, Errungenschaften, über die man sich freuen, ja die man vielleicht sogar mit einem gefühligen Pathos feiern könnte, oder gar Symbole für die gemeinsame freie und demokratische Gesellschaft zu etablieren, war irgendwie tabu, wenn nicht zugleich das allfällige Mindestmaß an Betroffenheit ob des Gewesenen damit verbunden war. Und so waren sogar die Feiertage stets düster und verschämt - der alte Tag der deutschen Einheit etwa oder der Volkstrauertag.

Seltsamerweise empfand man diesen Verzicht auf eine positive, integrative und affirmative Selbstdefinition als Fortschritt. Anders als etwa Amerikaner, Briten oder Franzosen hatte man ja aus der Geschichte gelernt und den patriotischen Gestus jener Länder nicht mehr nötig. Daß mit dieser Behauptung nicht nur eine Erklärungsnot übertüncht, sondern auch ein menschliches Grundbedürfnis ignoriert wurde, blieb außeracht.

Heute scheint es ein bißchen anders zu sein, aber eben nicht so viel wie man meinen möchte. Der Umgang mit nationalen Symbolen ist entspannter geworden, ja, und das Wort "deutsch" hat einen nicht mehr ganz so abwertenden Klang wie noch vor 30 Jahren. Aber auch dieses neue, sommermärchengetriebene Selbstverständnis strahlt kaum über die zweijährliche Fußballeuphorie hinaus in den Alltag hinein.

Und so entsteht ein Spannungsfeld zwischen dem natürlichen Bedürfnis nach Identität und der gelernt-verschämten Abwehr derselben. Tatsächlich hat bundesrepublikanische Identitätsbildung seit 1949 und sogar nach 1990 in so geringem Maße stattgefunden, daß es kaum Integrationspunkte gibt und fast niemand so recht weiß, was dieses Land eigentlich ausmacht.

Und genau hier könnten Symbole helfen, starke, geschichtsträchtige Träger einer demokratischen und modernen, einer "guten" Identität, die die Botschaft einer offenen, aber auch zur Selbstbehauptung fähigen Gesellschaft transportieren und greifbar machen. Die "Landshut" wäre ein solches Symbol. In der Geschichte um dieses Flugzeug hat sich ein demokratischer Rechtsstaat nicht erpressen lassen und beharrlich gegen seine terroristische Unterminierung zu wehren gewußt - gerade heute ein wichtiges Zeichen mit hoher integrativer Kraft.

Gewiß, das Ding kostet - Ankauf, Transport, Restaurierung... Und dann ergeben sich ethische Fragen wie: Kann man die Hinrichtungsstätte des tapferen Kapitäns zum Museum machen? All das wird man besprechen müssen. Aber: Wir können nicht ständig über Identität und die konstituierenden Werte dieser unserer Bundesrepublik Deutschland reden, dabei von Migranten die Integration in, ja sogar die Anpassung an unsere Gesellschaft fordern, wenn wir sie selbst nicht definieren können und vor jedem identitätsstiftenden Symbol unserer Demokratie panisch "Bloß kein deutsches Wir-Gefühl!" schreiend davonlaufen.

Deshalb bin ich für den Erhalt der "Landshut". Sie steht für ein wichtiges Stück Geschichte, für einen großen Reifesprung der jungen Bundesrepublik und für ein gutes, freies, offenes und wehrhaftes Deutschland.


Hier der Spiegel-Artikel zum Thema.