Das Bedürfnis nach Größe wurzelt tief in der menschlichen Natur: Ansehen, Besitz, Ego, Macht und Einfluß – alles muß groß sein. Und neuerdings wird auch die nationale Größe wieder populär: In ganz Europa sprießen chauvinistische Parteien aus dem politischen Bodensatz; der böse Zwerg im Kreml erträgt die Abstufung Russlands zur Regionalmacht nicht und führt sein Reich mit Krieg, Mord, Unterdrückung und Ausbeutung zu einer zweifelhaften Größe; das ewig beleidigte Komplexbündel am Bosporus will seine Türkei gar zur Weltmacht aufblasen, und für den Twitter-Süchtigen im Weißen Haus manifestiert sich der Weg zur Größe in einem rabaukenhaften "Amerika zuerst", ganz gleich, wem man dafür auf die Füße tritt, wen man unterbuttert und welche Begleitschäden man verursacht. Größe scheint wichtiger als Güte, Macht bedeutender als Menschlichkeit und Hegemonie erstrebenswerter als Hilfsbereitschaft.
Größe als Ergebnis der Vielfalt
Aber was bedeutet eigentlich Größe? Was genau macht die Größe eines Landes aus? Militärische Stärke, wirtschaftliche Kraft, politischer Einfluß – mit solchen Banalitäten wird der relativ diffuse Begriff der Größe gern gefüllt. Aber diesen Attributen fehlt die moralische Dimension; hier wird die schiere Masse zum Maßstab erhoben, während die Klasse unberücksichtigt bleibt.
Gerade im Falle der Vereinigten Staaten ist das bedauerlich. Denn Amerika ist bereits groß, schlicht und einfach, weil es den europäischen Traum von der Freiheit verwirklicht. Amerika – das ist die souveräne, kraftvolle Gewißheit, daß die Freiheit der Tyrannei überlegen ist, und daß Größe nur aus dem Reichtum der Vielfalt und aus der Freiheit, seine Chancen zu nutzen und seine Ideen einzubringen, erwächst. Dieses Amerika hat durch pure Unbeirrbarkeit die Konfrontation der Systeme im Kalten Krieg gewonnen; dieses Amerika hat über Jahrzehnte ein freies, friedliches Europa ermöglicht. Dieses Amerika hat Generationen europäischer Jugendlicher die Sehnsucht nach der Freiheit und den Soundtrack dazu geliefert. Dieses Amerika ist groß.
Bevor es nun wieder heißt: Ja, aber die Schwarzen... Natürlich sprechen wir hier über ein Ideal, dessen praktische Umsetzung erhebliche Mängel gezeigt hat und bis heute zeigt – Stichworte Indianer, Sklaverei, Rassismus usf. Worum es bei der amerikanischen Größe aber immer ging, war, daß es zumindest ein Ideal von Freiheit und Selbstverwirklichung gibt, einen axiomatischen Kollektivismus also, der nicht bezweifelt wird, und auf dessen Grundlage sich das Individuum nach Belieben entfalten darf und die Vielfalt gedeiht. Dem jüngst wiedererstarkenden völkischen Denken steht das diametral entgegen – denn bei diesem geht es genau umgekehrt darum, den vielfältigen Individualismus unter einem ideologischen Überbau, einem Dachkonstrukt sozusagen, zu vereinheitlichen und gegebenenfalls auszusondern, was nicht dazu paßt.
Größe in Zeiten der Kraftmeierei
Und nun kommt Trump. Und mit ihm ein Nationalismus, der in erster Linie weiß, laut und rücksichtslos ist. Mit ihm zieht die Überzeugung ins Weiße Haus, daß Vielfalt schlecht und Offenheit gefährlich sei. Was die amerikanische Größe essenziell ausmacht, schafft Trump sukzessive ab. Sein Nationalismus ist zutiefst unamerikanisch; sein Treiben das eines Staatsfeindes. Sein Argument ist die Sicherheit, der Schutz der eigenen Bevölkerung vor äußeren Gefahren. Was er (ebenso wie einige Alternativdenker hierzulande) dabei nicht begreifen will, ist, daß ein Mindestmaß an Unsicherheit zum Konzept der Freiheit gehört, ja daß die Möglichkeit des Mißbrauchs geradezu konstituierend für eine offene, eine große Gesellschaft ist. Denn der Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten jedes einzelnen Lebens wird durch einen haßerfüllten Terrorismus nicht substanziell gefährdet – dazu ist das amerikanische Paradigma, mit jeder Unsicherheit fertig zu werden, weil man einfach das bessere Konzept hat, viel zu stark. Wer aber die freie Entfaltung der Persönlichkeit, den Respekt vor der Vielfalt und die Minimierung staatlicher Eingriffe zugunsten einer flächendeckenden Überwachung und gruppenspezifischen Ausgrenzung einzutauschen bereit ist, hat seine Freiheit aufgegeben.
Größe als Hoffnung wider den Größenwahn
Und so verblaßt sie derzeit ein wenig, die amerikanische Größe, wird eingenebelt im Pulverdampf einer unkontrollierten Kanone, die nach Lust und Laune auf alles schießt, was ihrem Narzissmus zuwiderläuft. Nicht mal die amerikanische Architekturikone in der Pennsylvania Avenue 1600 ist Trump gut genug. Sein Amtssitz, so hört man, gefalle dem neuen Präsidenten nicht. Am liebsten wolle er im Trump Tower bleiben. Er mag es halt golden, protzig, schwer und penetrant. Das Weiße Haus hingegen in seiner klassischen, zeitlosen Richtigkeit besitzt eine ewig gültige Ästhetik, einen unumstößlich guten Geschmack und verkörpert damit Klasse, Beständigkeit und unaufdringlichen Stil. Klar, daß dergleichen jemandem mißfallen muß, der sich eben nicht auf dem Urgrund eines zeitlosen Ideals, dem festen Boden eines verehrungswürdigen Erbes bewegt, sondern ohne Respekt und Demut nur die Umgebung zu akzeptieren vermag, die er nach seinen Vorstellungen geschaffen hat. Trumps Größe ist nichts weiter als das entidealisierte Recht des Stärkeren und evoziert Grobheit, Egoismus und Kampf. Die weltpolitische Unsicherheit, die daraus erwächst, wurde oft genug beschrieben. Und so bleibt nur die Hoffnung, daß die wahre amerikanische Größe, der Glaube an die Freiheit und die Vielfalt, auch einen Präsidenten Donald Trump überstehen und überwinden wird.