Freitag, 27. Januar 2017

Geredet, gesagt, gemeint.

Aus gegebenem Anlaß.

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin ist eben kein "Denkmal der Schande", sondern ein Mahnmal der Erinnerung. Es ist kein Denkmal der Schuld, sondern ein Mahnmal der Verantwortung. Es ist kein Denkmal der Niederlage, sondern ein Mahnmal der Wachsamkeit. Dieses Mahnmal ist steingewordenes Gedenken eines Volkes, das strauchelte, irrte und schuldig wurde, und das nun die Größe besitzt, sich dieser Vergangenheit zu stellen, sie anzunehmen und daraus eine ganz besondere Verpflichtung, eine große und edle Aufgabe für die Zukunft abzuleiten. Dieses Mahnmal ist ein Mahnmal der Reife, der Weisheit, der Vergebung und der Verständigung. Wer darin eine Schande erblickt, hat Deutschland nicht verstanden, seine Seele nicht ergründet und sein Wesen nicht erfaßt. Wer darin eine Schande erblickt, sollte niemals für Deutschland sprechen dürfen.


Zu diesem Facebook-Posting vom 18. Januar 2017 (hier in editierter Version) gab es viele Kommentare, die mich haben nachdenken lassen und die ich hier zusammenfassen möchte, weil mir das Thema wichtig ist und um die Argumente nicht in der Chronik auf Facebook versinken zu lassen, sondern sie dauerhaft abrufbar zu machen:

Unter anderem las ich, daß das Mahnmal eben doch ein solches der Schande sei, da es schließlich an jene erinnere. Natürlich dient das Mahnmal technisch gesehen dem Gedenken an die Schande des Holocaust. Seine Absicht ist aber nicht die Erregung eines dauerhaften Schand- und Schamgefühls bei den heutigen Deutschen, so wie eine gewisse Rede es impliziert, sondern das Erinnern und das Bewußtsein für die Zukunft. Ich lehne die dort gewählte Formulierung ab, weil sie die (ja durchaus beabsichtigte) Implikation zuläßt, das Denkmal selbst sei eine Schande. Denkmal für die Schande, Denkmal zum Erinnern an die Schande - ja. Aber "Denkmal der Schande" wurde hier böse und zielgerichtet genau so formuliert, und dem widerspreche ich eben.

Es ist so interessant - wer den angeblichen "Schuldkomplex der Deutschen" am heftigsten geißelt, scheint am schwersten unter ihm zu leiden. Ich für meinen Teil empfinde kein bißchen Schuld am Holocaust - warum auch? Jahrgang '70, hallo?! Ich muß nicht einmal notwendigerweise meine deutsche Nationalität hernehmen, um eine besondere Verantwortung für die Zukunft aus ihr abzuleiten - obwohl ich es durchaus gern und freiwillig tue. Was mich aber zu allererst wachsam, verantwortungsbewußt und widerständig gegen rassistische und nationalistische Umtriebe macht, ist eine tiefe, supranationale Humanität - und eben gerade die Liebe zu meinem Deutschland, von dem ich mir wünsche, daß nie wieder so unsagbare Greuel von ihm ausgehen. Es ist meine Zukunft, die mich mit der Geschichte meines Landes verbindet - und nicht umgekehrt! Deshalb kann und will ich das Holocaustmahnmal nicht als Denkmal der Schande sehen und bezeichnen. Wer's tut, kultiviert genau jenen Schuldkomplex, den er zu bekämpfen vorgibt.

Ein wichtiger Einwand war, daß der Text "einen sehr seltsamen Zungenschlag" habe. "Deutschlands Seele als objektiv erfahrbares Faktum? Und ein Volk als Subjekt, das jetzt Größe besitzt?" wurde da gefragt, und ich gebe zu - dieser Aspekt lädt zur Kritik ein. Ja, ein bißchen pathetisch bin ich gern. Als Literaturwissenschaftler fühle ich mich von jeher der romantischen Denkschule des 19. Jahrhunderts sowie dem Vormärz sehr verbunden, und ich glaube, daß der Mensch auch das Bedürfnis nach einem gewissen, pathetisch aufgeladenen Kollektivismus hat, ob einem das gefällt oder nicht. Mein Ansatz ist also, dieses Bedürfnis mit positiven, guten, humanen und empathischen Aspekten zu bedienen und damit gerade den Menschen, die wegen dieses unerfüllten Bedürfnisses in die Nähe von AfD und anderen Demagogen rücken, ein Gegenangebot zu machen. Das ist zwar nicht so aufgeklärt wie man es sich vielleicht wünschen möchte, aber es erreicht vielleicht genau die, die eben nicht aufgeklärt sind und in ihrem Herdentrieb bislang den falschen Leittieren gefolgt sind... Menschen, die derlei Kollektivismus (wie ich selbst übrigens auch!) kritisch in Frage stellen, muß ich nicht erreichen - sie laufen nicht Gefahr, sich von AfD-Volksgedröhne vereinnahmen zu lassen. Mir ging es um die Suchenden, denen man die guten Seiten unserer gemeinsamen Geschichte, Tradition und Gegenwart mit ein bißchen Stilisierung sehr viel bedarfsgerechter und also wirkungsvoller vermitteln kann. Ich hoffe also, der Zungenschlag wird um der guten Absicht willen nicht zu streng bewertet.

Alles in allem ist es ein wichtiger Diskurs, und ich bin froh, daß er von sehr vielen Menschen so fair und sachlich geführt wird. Das Posting erhielt knapp 2.500 "Gefällt mir"-Angaben und wurde über 2.800 mal geteilt. Angesichts der gerade auf Facebook besonders lauten Demokratiefeinde, Extremisten und Hetzer ist das beruhigend und gibt einem ein wenig Vertrauen in die tatsächliche, in den sozialen Netzwerken nur sehr bedingt gespiegelte Denkwirklichkeit großer Teile unserer Gesellschaft zurück.