oder: Warum eine starke Identität nicht um ihren Bestand fürchten muß
Gestern geriet ich auf der Facebook-Seite eines AfD-Vertreters in eine Diskussion um Identität und die Bewahrung des Eigenen, und während ich noch darüber staunte, mich zu dem bildungsfernen Unfug, der da (als bedeutungsschwere Videobotschaft inszeniert, so mit Frauenkirchenkulisse und wehendem Haar) geredet wurde, überhaupt zu äußern, und mich der treudoofe Beifall des "dunkeldeutschen Publikums" (so der haarumwehte Videoautor höchstselbst) befremdete, begann das Thema, mich - nicht zum ersten Mal - zu beschäftigen.
Vom deutschen Selbsthaß war da die Sprache, und der Aufgabe des Eigenen zugunsten des Internationalen. Die Leute wollten vor lauter Herkunftsverleugnung nicht mehr Deutsche, sondern (Achtung: Empörungsmodus ein!) Menschen sein!! Warum man denn nicht mal wieder zum Kyffhäuser spaziere, die Architektur um einen herum betrachte und seinen Kindern Grimms Märchen vorlese und so. Das war in etwa das Niveau.
Besonders seltsam kommt mir immer vor, wie schwach man die eigene Identität finden muß, wenn man sie schon durch ein paar internationale Einflüsse bedroht sieht. Abgesehen davon, daß die "deutsche Kultur" immer, wirklich immer durch äußere Einflüsse verändert und ergänzt, bereichert und machmal auch radikal umgekrempelt wurde (siehe etwa die Christianisierung Germaniens oder die Verkartoffelung der preußischen Landwirtschaft), fühle ich mich durch eine weltoffene Einstellung weder in meiner seit 800 Jahren belegten deutschen Herkunft, noch in meiner Rezeption von klassischer Musik, Architektur, Kunst und Geschichte auch nur im Mindesten gefährdet. Ich bin mir meines Deutschseins absolut bewußt und gewiß; dafür muß ich wahrlich nicht (ausgerechnet!) zum Kyffhäuser-Denkmal rennen. Eben dieses aus meiner Kenntnis der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte erwachsenden Bewußtseins wegen leuchtet mir die "Argumentation" des Frauenkirchenkulissenregisseurs nicht ein, die bereits daran scheitert, das Eigene, das "Deutsche" als ein ebenso statisches wie homogenes Phänomen vorauszusetzen.
Und auch dieser ständig behauptete Selbsthaß ist meines Erachtens ein Pappkamerad. So gut wie niemand empfindet ihn wirklich; das winzige Häufchen versprengter Möchtegernrevoluzzer, das so dämliche Parolen wie "Nie wieder Deutschland" an Wände malt, ist doch wohl kaum repräsentativ und drückt schon gar kein allgemeines gesellschaftliches Empfinden aus. Tatsächlich fällt mir nach 10 Jahren im Ausland immer wieder auf, wie locker und selbstbewußt die allermeisten Deutschen mittlerweile mit ihrer Nationalität und deren Symbolen umgehen - sehr anders als in meiner Jugend. Und dafür muß ich hier nicht mal das Sommermärchen bemühen.
Deutschland ist traumschön und reich an Geschichte, Kultur und Tradition, keine Frage. Ich hasse und verleugne es kein bißchen, ganz im Gegenteil: Wenn ich von Wien nach Hause an den Mittelrhein fahre, wird mir spätestens bei Bingen fast schwindlig vor Heimatliebe und Zugehörigkeit. Ich spüre quasi körperlich die jahrhundertelange Verwurzelung meines Blutes in dieser Landschaft, und fühle mich zutiefst durchdrungen von diesem Stück deutscher Seele, und auch den Rest meines Vaterlandes kenne ich durch meine Reisen ziemlich gut.
Aber gerade dieses innige Empfinden von Identität rüstet und stärkt mich gegen jede Angst, internationale Einflüsse könnten mir da etwas verwässern. Wie sollten sie? Allenfalls vermehren sie die Farben und Blüten am deutschen Lebensbaum - seine Wurzeln sind stark genug, sie mitzutragen! Bei mir jedenfalls.