Vorhin unter der Dusche pfiff ich ein fröhliches Liedchen - und hielt plötzlich inne. Karfreitag! Der Sterbetag Christi.
Ich erinnere mich, daß wir als Kinder angehalten wurden, nicht zu toben, nicht zu schreien, nicht laut zu spielen und nicht zu streiten. Ruhe war angesagt, ein bißchen Ehrfurcht, ein bißchen Demut. Uns wurde keine Strafe angedroht, sondern vielmehr die Bedeutung und Erhabenheit des Tages erklärt. Und ich bin dankbar dafür, denn es hat mich gelehrt, mich zurückzunehmen, demütig zu sein und die Größe des heiligen Geschehens auf mich wirken zu lassen - bis heute. Immer noch vermag ich Ostern tief zu empfinden, mich ganz hineinzuversenken in die göttliche Opferbereitschaft, den heiligen Verzicht, das Wunder der Selbstaufgabe für den liebenden, menschheitsrettenden Zweck - und selbst ein winziges Abbild dieser Rücknahme des Eigensüchtigen zu leben, indem ich eben nicht pfeife, nichts genieße, nichts will außer Einkehr zu halten, meine Sorgen, Wünsche, Begehrlichkeiten und Beschwerden auf das richtige Maß zu stutzen und meine Wichtigkeiten zu ordnen. Tanzen zu gehen am Karfreitag - darauf käme ich in zehn kalten Wintern nicht. Zu sehr entspricht das heiß diskutierte Tanzverbot meinem eigenen Bedürfnis nach Ruhe und Verzicht, und ich bin seltsam gerührt, daß sich gerade dieses Stück allseits beschworener (und im Falle praktischer Auswirkung auf den Alltag ebenso heftig verfemter) christlich-abendländischer Tradition bis heute so hartnäckig gehalten hat.
Denn ob man die Geschichte Jesu nun wörtlich glaubt oder nicht, ob man religiös ist oder agnostisch, bibeltreu oder atheistisch - die Passion Christi bleibt eine mächtige Botschaft von Liebe und Erlösung, von Opferbereitschaft und bedingungsloser Hingabe an das Gute, kurz: der höchste ethische Maßstab, den ein Mensch, ein Buch, ein Glaube je gesetzt hat, und damit für Christen und Atheisten gleichermaßen vorbildtauglich. Man muß sie nur spüren, leise werden, innehalten, verzichten auf den Lärm, die Beschäftigung, den Impuls und die Unterhaltung, wenigstens einen Tag lang. Mich jedenfalls bereichert die ehrfürchtige Ruhe, die ich mir am Karfreitag auferlege, mehr als es tausend wilde Tänze vermöchten.