Dienstag, 28. Oktober 2025

Besuch bei Goethe

Liebt und achtet Eure Sprache, Ihr Deutschen! 

So durchfährt's mich süß und schmerzlich beim Besuch in Goethes Haus am Weimarer Frauenplan, mehr noch als ohnedies schon jeden Tag, an dem ich mit ansehen muß, wie primitiv, wie verstümmelt und entseelt wir im Alltag miteinander kommunizieren, amerikanischen Gepflogenheiten dümmlich-modische Einheitsbröckchen nachplappernd, ohne Not sinnfreie Anglizismen bemühend, um aufgeschlossen zu wirken, wo doch Einfallslosigkeit und Gleichförmigkeit die einzigen Merkmale sind, und damit das genaue Gegenteil der vielbesungenen Vielfalt bewirkend. 

Wie wundervoll hingegen die Sprache des Dichterfürsten! Wie reich sein Wortschatz, wie tief sein Ausdruck! Und wie schon als Kind freue ich mich auch heute noch des Vorzugs, Deutsch sprechen zu dürfen, diese sehnsuchtsschwere, seelenvolle Sprache, die vielleicht nicht den liebreizendsten Klang, aber doch eine fast unvergleichliche Feinheit und Vielfalt bietet - nicht nur als Germanist, als Autor oder als Kommunikationsberater, sondern schlicht als ein Muttersprachler, der früh zu lieben und zu nutzen lernte, was ihm gegeben ward. 

Ja, Sprache verändert sich. Vor Goethe bereits, und erstrecht nach ihm. Und das soll sie auch. Aber was wir heute erleben, ist kein organisches Wachsen, kein natürliches Entwickeln, sondern eine systematische, stückweise Ersetzung durch ein pseudoglobales Denglisch, das uns auch deutsche Sätze mit "Honestly" oder "By the way" beginnen läßt. Er habe da - "friendly reminder" - echt ein "sacrifice" gebracht, hörte ich neulich jemanden am Nebentisch sagen, und frage mich: Wieso?? 

Und diese Bedenken wurzeln nicht so sehr im (unbestrittenen) Kulturpessimismus eines 55-jährigen weißen Mannes, sondern in der Angst vor der geistigen Verflachung, der Normierung unserer Denkmuster, die zwingend mit einer Verarmung und Vereinheitlichung der Sprache einhergeht. Nicht umsonst schränken autoritäre Regime als erstes die Sprache ein - und wir tun das freiwillig und ohne Not! 

Ich wünschte, wir wären kreativer mit unserer großartigen, kultursatten Sprache! Ich wünschte, wir ließen uns mal was Neues einfallen, statt nur Anglizismen nachzuplappern. Wenigstens übersetzen sollten wir sie, denn das macht Spaß, und die Formulierungen sind ja in der Tat oft recht nützlich. Geht ohne Sagen, nicht wahr? 

Sprache darf sich verändern, aber sie sollte es originell und selbstliebend tun. Und vor allem so, daß ihr Ausdruck reich und vielfältig und differenziert bleibt, statt immer gleichförmiger zu werden. Eine Welt, in der man an allen Ecken nur noch "Krass!" und "F*ck!" hört, befremdet mich indes. 

Lest mal wieder ein wenig Goethe. Ich denke, dann wird klar, was ich meine.