Dienstag, 20. April 2010

Tote Helden

Zu den ewigen Menschheitsthemen gehört fraglos das Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen. Und da mein eigener Vater kürzlich Geburtstag hatte und ich natürlich an ihn gedacht habe, ist mir heute danach, ein paar Sätze zu diesem weiten Feld sagen.

Zugegeben - sehr originell ist die Problematik zwischen meinem Vater und mir nicht. Ich habe mich nie akzeptiert gefühlt, und mein Vater wollte mich spürbar ganz anders haben als ich nun mal geraten bin. Das Übliche also, würde ich sagen.

Zudem hatte ich schon als kleines Kind erhebliche Schwierigkeiten damit, die Autorität meines Vaters anzuerkennen. Er beanspruchte eine gleichsam "natürliche" Autorität über mich, die er nicht in seiner Persönlichkeit, sondern im Vater-Sohn-Verhältnis an sich begründet sah, und dergleichen Prinzipielles hat mich noch nie überzeugt.

Damit kein falscher Eindruck entsteht - ich will nicht leugnen, daß mein Vater sich phasenweise tatsächlich um mich bemüht hat, und ebenso wenig ist zu bestreiten, daß er es mit mir nicht leicht hatte. Auch sage ich keineswegs, daß ich ihm nicht einiges verdanke. Mindestens eine kieferorthopädische Behandlung und ein Studium. Schließlich stelle ich, je älter ich werde, zunehmend fest, daß ich durchaus einige Eigenschaften meines Vaters geerbt habe, und ein paar davon finde ich sogar sehr gut.

Wenn wir heute keinerlei Kontakt haben, dann nicht, weil einer von uns ein böser Mensch ist, sondern deshalb, weil wir einfach nicht zusammen passen. Das kommt vor, und wenn es zwischen Vätern und Söhnen so ist, dann ist das bedauerlich, aber eben doch eine Realität, die man irgendwann akzeptieren muß. Ich tue das seit mittlerweile gut 15 Jahren und lebe damit erstaunlich gut.

Viele Leute glauben mir das nicht. Sie unterstellen mir, daß ich verdränge; empfehlen wohlmeinend, daß ich die "Aussprache", die Versöhnung gar mit meinem Vater suche und prophezeien, daß ich mir, wenn der alte Herr dereinst nicht mehr ist, wünschen werde, ich hätte doch... und so fort. Aber das trifft auf meinen Fall nicht zu. Zwischen meinem Vater und mir ist alles gesagt.

Der glühendste Verfechter eines "klärenden Gesprächs" war lange Zeit (ausgerechnet) der zweite Mann meiner Mutter, der seit fast 30 Jahren in mein Leben gehört und mit dem mich eine nicht immer einfache, dafür aber umso tiefere Freundschaft verbindet. Seinen eigenen Vater kannte er nicht - dieser war am militärischen Widerstand gegen Hitler beteiligt und wurde 1944 im Zusammenhang mit dem Attentat von 20. Juli in Plötzensee hingerichtet. Er war also ein Patriot, ein deutscher Held.

Gerade, weil mein "Stiefvater" (blödes Wort) selbst ohne Vater aufgewachsen ist und darunter als Kind sehr zu leiden hatte, riet er mir, die Chance zu nutzen, mit meinem Vater ins Reine zu kommen. Um diese Chance, überhaupt einen Vater haben zu dürfen, sei ich zu beneiden, sagte er...

Nun ertappe ich mich zuweilen dabei, daß ich ihn umgekehrt ebenso beneide. Er kann seinen Vater vorbehaltlos verehren, und das Verhältnis, das er zu ihm hat, ist nie einem Realitätstest unterworfen gewesen. Sein Vater hatte nie Gelegenheit, ihn zu enttäuschen, ihn ungerecht zu behandeln oder zu unterdrücken. Er konnte ihm freilich auch nichts Gutes tun. Aber zuweilen erscheint mir ein toter Held doch besser als eine lebende Enttäuschung.

Ich hege keinen Groll gegen meinen Vater. Ich kenne seine Biographie und weiß, warum er ist wie er eben ist. Und auch ich bin ja nicht zuletzt meiner Vater-Sohn-Beziehung wegen so, wie ich heute bin. Er beschäftigt mich, weil der Vater eben immer eine wichtige und prägende Figur im Leben eines Mannes ist, aber diese Beschäftigung berührt nicht mein tägliches Leben. Darum kann ich ihm, auf meine Weise "versöhnt" (ein Wort, in dem der "Sohn" ja deutlich mitschwingt), dankbar sein und zu seinem Geburtstag alles Gute wünschen.