Rezension des von Liane Bednarz und Christoph Giesa
verfassten Buches „Deutschland dreht durch – Die Wahrheit über die AfD“
Überall, wo der Anspruch auf „Wahrheit“ erhoben wird,
ist Skepsis geboten – nicht nur, weil damit eine Objektivität behauptet wird, die
zumeist schon durch die persönlichen Überzeugungen, Interessen und Ziele der
Beteiligten Lügen gestraft wird, sondern auch, weil die bloße Vermutung, es
gebe eine einzige gültige Wahrheit eine Simplifizierung beinhaltet, die die
Welt in schwarz und weiß, gut und schlecht, richtig und falsch aufteilt und
damit notwendigerweise unversöhnliche Positionen schafft, über deren
Berechtigung nicht mehr der demokratische Diskurs, sondern allenfalls die
Lautstärke ihrer Vertreter entscheidet. So können denn also politische
Meinungen ihrer Natur nach nicht objektiv sein, und selbst sogenannte Fakten,
die man ja allzu rasch als objektiv wahrzunehmen geneigt ist, wirken oft im
Zusammenhang mit höchst subjektiven Implikationen, können also durch ihren
Kontext oder andere Fakten relativiert werden und verlieren damit ihre ohnedies
nur scheinbare Alleingültigkeit. Eine politische Partei, die in einem so
hochkomplexen System wie unserer Gesellschaft mit der Behauptung auftritt, sie
allein habe den „Mut zur Wahrheit“ – und damit natürlich auch die einzig
richtige Kenntnis derselben – muss sich gefallen lassen, dass zumindest die als
Fakten dargestellten Postulate ihrer „Wahrheit“ einer kritischen Überprüfung
unterzogen werden.
Eben dies haben Liane Bednarz und Christoph Giesa in
ihrem neuen Buch „Deutschland dreht durch – Die Wahrheit über die AfD“ getan. Fünf
in der Selbstdarstellung der „Alternative für Deutschland“ verankerte
Behauptungen werden anhand von Zitaten, Verhaltensweisen und Verbindungen
zahlreicher Parteimitglieder widerlegt und als Mythen enttarnt. Die Autoren
haben hierfür eine umfangreiche Recherche betrieben und ein vielfältiges
Potpourri an Belegen dafür gesammelt,dass die „AfD“ in kaum einer Hinsicht dem Bild entspricht, welches sie in der
Öffentlichkeit zu erzeugen bemüht ist, und sich stattdessen als eine ordinäre
rechtsradikale Partei allzu bekannten Strickmusters erweist.
Das Buch ist klar strukturiert und liest sich leicht
und angenehm, nicht zuletzt der Sprache wegen, die den nüchternen (und oft
genug ernüchternden) Inhalt in einem flotten, fast plaudernden Ton vermittelt
und hier und da sogar etwas salopp wirkt. Die solide Recherche und die
wasserdichten Quellenangaben und Belege jedoch rechtfertigen die eine oder
andere polemische Spitze, zumal ja die Autoren schon im Vorwort des Buches
keinen Hehl aus ihrer sehr kritischen und damit durchaus parteiischen Haltung
gegenüber der „AfD“ machen, und so ist der unterhaltende Tonfall dieser
journalistisch sauberen Arbeit eher ein Vorteil für den Leser.
Bednarz und Giesa widmen sich zunächst der
Selbstbezeichnung der „AfD“ als „Partei neuen Typs“ – eine Darstellung, die
sowohl an der gebetsmühlenartigen Verwendung altbekannten Vokabulars der
rechten Szene als auch an den nicht eben originellen Themen (wie etwa
Ausländer, Homosexuelle und nationale Identität) der Partei scheitert. So
bleibt die „AfD“ allen Versuchen des Parteivorsitzenden Lucke, die Nähe der
„AfD“ zu Rechtsradikalen zu bestreiten, zum Trotze eben doch eine kaum mehr
getarnte Neuauflage alten Ungeistes.
Desweiteren wird die Behauptung untersucht, bei den
rechtsradikalen Entgleisungen von Parteimitgliedern und Sympathisanten handele
es sich um „Einzelfälle“. Auch hier decken Bednarz und Giesa anhand zahlreicher
Beispiele – vom fahnenschwenkenden Viktor Kasper bis zum antisemitische
Karikaturen postenden Jan-Ulrich Weiß – ein Grundmuster auf, das sich zu breit,
zu häufig, zu allgemein zeigt, um nicht als repräsentativ für die Denkungsart
des Parteivolks angesehen zu werden.
Der dritte Mythos, den die Autoren entkräften, ist der
von der „Bürgerlichkeit“ der Partei. Von den euphorischen Sympathiebekundungen
Hans-Olaf Henkels für Sarrazins Elaborat „Deutschland schafft sich ab“ über
zahlreiche höchst unbürgerliche, weil radikale Äußerungen aus Parteikreisen bis
hin zu nachgewiesenen Berührungspunkten der „AfD“ mit linken und rechten
Ideologien wird das Bild der bürgerlichen Partei Stück für Stück demontiert.
Das Gleiche gilt für die von Bernd Lucke gern
wiederholte Behauptung, man sei eine (wenn auch kleine) „Volkspartei“. Ganz
abgesehen davon, dass die Partei schon ihren beschränkten Wahlergebnissen nach
keine Volkspartei sein kann, wird die Nähe zum Volk auch durch die abgehobenen
Äußerungen vieler Parteimitglieder in Frage gestellt – vom Naserümpfen des
Multimillionärs Henkel bis zur adelsdünkelhaften Umnachtung des
„Germanenpriesters“ Geza von Nemanyi.
Schließlich räumen Giesa und Bednarz noch mit dem Bild
von der „Professorenpartei“ auf, als die die „AfD“ gern gesehen werden will.
Sorgfältig wird nachgewiesen, dass in der Partei und ihrem Vorstand weder eine
überdurchschnittliche Zahl von tatsächlichen Lehrstuhlinhabern fungiert, noch
signifikante Fachkenntnis zu Wirtschafts- und Währungsfragen vorhanden ist,
noch herausragende wissenschaftliche Meriten für die akademische Kompetenz der
Parteigranden Zeugnis ablegen.
Kritisch darf angemerkt werden, dass die gelegentliche
Selbstzitation der Autoren ein wenig eitel wirkt. Die nur um einer Pointe
willen erwähnte Maßeinheit „ein Luck“ etwa, die Giesa in seiner Kolumne im
„European“ erfunden hat, ist zu wenig etabliert, um einen
Wiedererkennungseffekt zu bewirken, und trägt zur Information des Lesers nicht
wesentlich bei. Auch scheint der Titel nicht vollends glücklich gewählt – so
sehr man natürlich die Spitze gegen Sarrazin versteht, so wenig möchte man den
paar offensichtlich durchdrehenden „AfD“-Wählern oder der Handvoll
Pegida-Spazierer die allgemeine Bezeichnung „Deutschland“ überlassen.
„Deutschland“ zeigt vielmehr in eindrucksvollen Gegendemonstrationen, dass es
in seiner überwältigenden Mehrheit durchaus noch bei Sinnen ist.
Es ist indes das große Verdienst des Buches von Liane
Bednarz und Christoph Giesa, in einer ebenso kompakten wie umfassenden
Zusammenstellung gut belegter Zitate, Vorkommnisse und Verknüpfungen alle
Mythen, in die sich die „Alternative für Deutschland“ gern hüllt, zu enttarnen
und damit eine Wahrheit zu schaffen, die der von der Partei so „mutig“ verbreiteten
unausweichliche Argumente entgegenhält. Wer bislang auf die Selbstdarstellung
der „AfD“ hereingefallen ist, hat bei den täglichen Nachrichten wohl einfach
nicht richtig aufgepasst. Wer ihr nach Erscheinen des Buches von Bednarz und
Giesa immer noch glaubt, kann zumindest nicht mehr auf die allzu beliebte
Ausrede zurückgreifen, er habe das alles ja nicht gewusst.
Das Buch „Deutschland dreht durch. Die Wahrheit über
die AfD“ ist bei Hanser Literaturverlage als eBook erschienen.