Mittwoch, 22. Mai 2024

Bedauern

Mich reut das ungelebte Leben
und alles, was ich nicht getan,
wo Möglichkeiten mir gegeben,
und mich doch hemmte banger Wahn.

Mich reuen die Gelegenheiten,
die zu ergreifen ich vermied,
anstatt beherzt mir zu erstreiten,
was mir das Leben grad beschied.

Mich reuen all meine Bedenken,
durch die mir manche Lust entging,
und was das Schicksal an Geschenken
mir anbot, die ich nie empfing.

Mich reu'n Ideen, die verschwiegen
und Lippen, die ich nicht geküßt,
Gefühle, die verborgen liegen,
obschon man sie ausleben müßt.

Mich reut die Furcht, die ich verschleiert
als Stolz der Welt entgegenhielt -
ich hab' als Selbstrespekt gefeiert,
was meine Ängste überspielt'.

Mich reut, daß ich nicht loszulassen
imstande war, und zu vertrau'n,
anstatt in Ängsten zu erblassen
und Chancen hinterherzuschau'n.

Und jetzt, da in den Tod ich gleite,
wird meinem alten Herzen klar,
welch wunderbare Lebensweite
in allem zu gewinnen war.