Könnten wir bitte ein wenig auf unsere Sprache achten? Und ich meine nicht nur die verrohten Wahlkampfpoltereien oder die besonders grellen, widerwärtigen Begriffe wie Remigration, sondern die subtilere, schleichende Brutalisierung der Sprache in Politik, im Alltag und in der Unternehmenskommunikation, die wir gern übersehen und sogar mitmachen.
Ein Beispiel: "disruptiv" – ein Begriff, der sich sukzessive ins Positive verdreht hat. "Disruptiv" wird heute mit entschlossenem, rücksichtslos-genialischem Handeln und besonderer Durchsetzungsstärke konnotiert. Die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Wortes disrumpere ist aber zerstören, zerreißen.
Mir ist schon klar, wie das Wort gemeint ist und verwendet wird: nämlich im Sinne von neuen Geschäftsmodellen und Ideen, die das Alte, Bestehende radikal in Frage stellen. Was ja im Grunde auch gut und richtig ist.
Aber wie wir Dinge benennen, sagt eben auch etwas über unsere mentale Verfassung aus, und wenn sich viele Menschen von der Disruption à la Musk angezogen fühlen, dann offenbart das eine uralte Psychodynamik. Denn die Revolution, die lustvolle Zerstörung dessen, was einen nicht mehr befriedigt, das Chaos und die Umkehrung aller Werte sind natürlich einfacher als der kontinuierliche Verbesserungsprozess, die mühsame, reformatorische Arbeit am Vorhandenen. Die Disruption bedient atavistische Triebe und schafft schnelle Befriedigung, die tatsächlich ein rein hormonell getriebener Rauschzustand ist, derselbe übrigens, der Rassisten und religiösen Eiferern dieses besoffene Gefühl von Kontrolle und Überlegenheit gibt, wenn sie Menschen beleidigen, angreifen und ausgrenzen:
Erst mal das Machtgefühl, die Zerstörungswut, der Blutrausch - und dann sehen schon weiter.
Natürlich ist ein solcher Ansatz niemals gut für die Menschen – die brutalen Revolutionen der Weltgeschichte haben das gezeigt. Und so groß die Verlockung ist, erst mal kaputt zu machen, was einen angeblich kaputt macht, so sehr braucht es hier dringender denn je Besonnenheit und Impulskontrolle, einen validen Plan und vor allem eine sensible, inklusive Kommunikation.
Trump, Musk und Vance bieten nichts davon an, Putin sowieso nicht und die Rechtsextremisten, ob sie laut grölen oder nur maliziös lächeln, schon gar nicht. Alle betreiben sie nur zynische Machtspiele, und dafür spalten und hetzen sie Menschen gegeneinander auf und achten nicht der Opfer, die dieses Verhalten fordert – nicht von ihnen natürlich, sondern immer von anderen.
Laßt uns besser sein. Wir sind Europa, und für uns steht gerade alles auf dem Spiel. Alle Errungenschaften, alle Freiheiten, die Einheit, der Frieden und der Wohlstand.
Aber wir sind Europa! Ein mächtiger Markt mit herausragenden Menschen und weit unterschätzten Möglichkeiten. Besinnen wir uns darauf und halten wir der Disruption neue Ideen, zukunftsfähige Pläne und unverbrüchliche Werte entgegen! Denn Demokratie braucht keine Disruption. Sie braucht leidenschaftliche Verteidiger, kritische Revision, beherzte Reformen, beharrliche Arbeit und echte Visionen.
P.S.: Geht wählen!