Freitag, 31. Oktober 2025

Die Sache mit der Haltung

Seht her, liebe Kinder - dies ist eine Wirbelsäule, das sogenannte Rückgrat. Aufrechte Menschen haben es, um Haltung zu bewahren, auch und gerade, wenn die Widerstände stärker und die Verlockungen, sich anzupassen, stärker werden.

Bei anderen wiederum verkümmert das Rückgrat mit der Zeit. Wo Gier und Macht und schwache Egos zusammenkommen, schwindet die Haltung mehr und mehr, und es geht nur noch darum, persönliche Vorteile rauszuschlagen, Profite zu realisieren und sich auch noch Bewunderung und Anerkennung zu erhoffen.

Klar, ein paar Dinge muß man dafür schon aufgeben. Alles, woraus so ein Rückgrat besteht, geht langsam verloren oder wird bewußt über Bord geworfen: Anstand, Respekt, Empathie, Großmut, Aufgeschlossenheit, Demut und Dankbarkeit, um nur einige Bestandteile zu nennen.

Und dann haben wir plötzlich viele sehr einflußreiche, sehr abgehobene und vor allem ethisch sehr flexible Weichtierchen an den entscheidenden Stellen unserer Unternehmen, unserer Politik und unserer Gesellschaft sitzen, die ohne die hinderliche Festigkeit des Rückgrats nach Bedarf und Laune herumwurmen und von Haltung nichts mehr wissen wollen, solange die Zahlen stimmen.

Das klingt toll, nicht wahr? Flexibilität, Anpassung, Gewinnmaximierung. Aber, liebe Kinder: Werdet nicht so! Was erst mal nach Erfolg und Pragmatismus aussieht, ist ein moralischer Verfall, der niemandem guttut, und wenn es keine Haltung mehr gibt, dann gibt es auch keinen Schutz mehr vor dem Bösen. Das kommt dann nämlich überall hin, ohne Widerstand und ohne, daß wir's merken.

Und das wollen wir doch nicht, oder? Also pflegt und stärkt Euer Rückgrat und bewahrt Euch Eure Haltung. Es lohnt sich.


Dienstag, 28. Oktober 2025

Besuch bei Goethe

Liebt und achtet Eure Sprache, Ihr Deutschen! 

So durchfährt's mich süß und schmerzlich beim Besuch in Goethes Haus am Weimarer Frauenplan, mehr noch als ohnedies schon jeden Tag, an dem ich mit ansehen muß, wie primitiv, wie verstümmelt und entseelt wir im Alltag miteinander kommunizieren, amerikanischen Gepflogenheiten dümmlich-modische Einheitsbröckchen nachplappernd, ohne Not sinnfreie Anglizismen bemühend, um aufgeschlossen zu wirken, wo doch Einfallslosigkeit und Gleichförmigkeit die einzigen Merkmale sind, und damit das genaue Gegenteil der vielbesungenen Vielfalt bewirkend. 

Wie wundervoll hingegen die Sprache des Dichterfürsten! Wie reich sein Wortschatz, wie tief sein Ausdruck! Und wie schon als Kind freue ich mich auch heute noch des Vorzugs, Deutsch sprechen zu dürfen, diese sehnsuchtsschwere, seelenvolle Sprache, die vielleicht nicht den liebreizendsten Klang, aber doch eine fast unvergleichliche Feinheit und Vielfalt bietet - nicht nur als Germanist, als Autor oder als Kommunikationsberater, sondern schlicht als ein Muttersprachler, der früh zu lieben und zu nutzen lernte, was ihm gegeben ward. 

Ja, Sprache verändert sich. Vor Goethe bereits, und erstrecht nach ihm. Und das soll sie auch. Aber was wir heute erleben, ist kein organisches Wachsen, kein natürliches Entwickeln, sondern eine systematische, stückweise Ersetzung durch ein pseudoglobales Denglisch, das uns auch deutsche Sätze mit "Honestly" oder "By the way" beginnen läßt. Er habe da - "friendly reminder" - echt ein "sacrifice" gebracht, hörte ich neulich jemanden am Nebentisch sagen, und frage mich: Wieso?? 

Und diese Bedenken wurzeln nicht so sehr im (unbestrittenen) Kulturpessimismus eines 55-jährigen weißen Mannes, sondern in der Angst vor der geistigen Verflachung, der Normierung unserer Denkmuster, die zwingend mit einer Verarmung und Vereinheitlichung der Sprache einhergeht. Nicht umsonst schränken autoritäre Regime als erstes die Sprache ein - und wir tun das freiwillig und ohne Not! 

Ich wünschte, wir wären kreativer mit unserer großartigen, kultursatten Sprache! Ich wünschte, wir ließen uns mal was Neues einfallen, statt nur Anglizismen nachzuplappern. Wenigstens übersetzen sollten wir sie, denn das macht Spaß, und die Formulierungen sind ja in der Tat oft recht nützlich. Geht ohne Sagen, nicht wahr? 

Sprache darf sich verändern, aber sie sollte es originell und selbstliebend tun. Und vor allem so, daß ihr Ausdruck reich und vielfältig und differenziert bleibt, statt immer gleichförmiger zu werden. Eine Welt, in der man an allen Ecken nur noch "Krass!" und "F*ck!" hört, befremdet mich indes. 

Lest mal wieder ein wenig Goethe. Ich denke, dann wird klar, was ich meine.

Dienstag, 21. Oktober 2025

Glücksschmerz

Es schmerzt. Und doch muß es zuweilen sein: etwas Ausgedientes aufzugeben, einzureißen, um Platz zu schaffen für das Neue, das kommt. Das gilt nicht nur für Gebäude, sondern auch für Lebensentwürfe und Irrwege, auf die wir geraten sind. 

Es schmerzt. Zumal, wenn wir das Bisherige nicht freiwillig aufgeben, sondern es uns weggenommen wird. Beendet, verweigert. Obwohl wir noch so viel vorhatten, so viel geben wollten. Und wir uns einfach nicht verständlich machen konnten. Aber so ist das Leben zuweilen. 

Es schmerzt. Denn natürlich erscheint uns manches vertraut und bequem, auch wenn es nicht mehr zu uns paßt. Und dann gilt es eben, die Entscheidung zu fällen, ob wir authentisch oder falsch leben wollen, Gewohnheit oder Selbstverwirklichung wählen. 

Es schmerzt. Wie alle Abschiede schmerzen. Aber es prickelt auch angenehm, wenn sich das Leben verändert. Die Verheißung des Neuen, das Glück des Möglichen durchrieselt uns warm und öffnet unseren Geist, unser Herz für nicht mehr und nicht weniger als uns selbst.