Donnerstag, 2. Februar 2012

Morgen

Es riecht nach Farbe im Stiegenhaus. Irgendwo streicht jemand eine Wand, eine Decke, ein Zimmer. Ein Zuhause.

Farbe macht alles hell.

Ich mag diesen Geruch. Er erinnert mich an meine Kindheit. Mein Großvater strich immer alles selbst, und hin und wieder durfte auch ich an unschädlichen Stellen mal den Pinsel führen.

Farbe macht alles neu.

Ich war glücklich, wenn beschlossen wurde, ein Zimmer neu zu streichen. Wenn die Möbel herausgeschafft und die Böden und Fenster abgeklebt wurden. Dann tat sich etwas. Etwas wurde schöner, besser.

Farbe schafft Wohlbefinden.

Man streicht nicht oft. Wenn man streicht, tut man es für die nächsten Jahre. Man malt sich eine Zukunft an die Wand. Wenn mein Großvater strich, bedeutete das für mich, daß er sich für viele weitere Jahre einrichtete. Daß er noch lange da sein würde.

Farbe bleibt lange.

Wenn wir fertig waren, sahen die Räume frisch und neu aus. So wie sie nun ein paar Jahre lang aussehen würden. Wenn mein Großvater sagte: "Vielleicht hätte ich noch ein wenig Ocker bemischen sollen!", sagte ich: "Das machen wir dann beim nächsten Mal!", damit er nur nicht vergaß, sich auch nach den Jahren der neuen Farbe noch für Jahre einzurichten.

Farbe gestaltet ein Morgen.

Es riecht nach Farbe im Stiegenhaus, und ich denke an meinen Großvater. Er ist auf den Tag genau 13 Jahre tot. Aber irgendjemand streicht ein Zimmer. Malt eine Zukunft an die Wand. Weil es ein Morgen gibt. Ein Morgen, für das wir es uns schön machen. Du und ich.