Mittwoch, 4. September 2019

Gegensatz, Aufgabe, Chance

Die Globalisierung und der neue Nationalismus

Während die großen Konzerne der Welt die Globalisierung vorantreiben, entsteht in vielen Ländern rund um den Globus, besonders aber in Europa und den Vereinigten Staaten, zunehmend ein neuer Nationalismus. Was in den Gesellschaften als unterschwelliges Randphänomen schon immer vorhanden war, hat durch regionale Konflikte, Kriege, Hungersnöte, wirtschaftliche Miseren und die dadurch ausgelöste Massenmigration, aber auch durch eine wachsende Angst vor der Größe, Macht und Intransparenz der Wirtschaftsgiganten einen Auftrieb bekommen, den es sehr wachsam zu beobachten und nach Kräften einzudämmen gilt.

Ganz unverständlich ist es nicht, dass Otto Normalverbraucher ein gewisses Misstrauen gegen die marktbeherrschenden Konzerne entwickelt. Immer globaler werden ihre Netzwerke, immer komplexer die Strukturen und Abhängigkeiten, und immer weniger durchschaubar die steuerlichen Tricks, mit denen nationale Abgaben minimiert werden. Die Kehrseite der Globalisierung ist ihre Intransparenz, und Intransparenz erzeugt nun einmal eine instinktive Ablehnung. Dazu kommt, dass nicht nur Kriege und Diktaturen, sondern auch die internationale wirtschaftliche Verflechtung Wanderungsbewegungen erzeugt, die alte Identitätsmuster verändern. Die Welt, in der wir leben, erfordert ein Um- und Neudenken, und das kann nicht bei jedem mit der rasanten Entwicklung Schritt halten. Die anfängliche Ablehnung, die man in der Wirtschaft aus jedem Veränderungsprozess kennt, ist also nachvollziehbar.

Unschön ist hingegen, wie sich diese Ablehnung manifestiert – nationalistische, fremdenfeindliche und rassistische Töne werden lauter; rechtsradikale Parteien erzielen zweistellige Wahlergebnisse, und die öffentliche Debatte ist zunehmend von Aggressivität und Intoleranz geprägt. Und auch unter dem Banner (vorgeblicher) linker Überzeugungen wird gegen die Globalisierung aufbegehrt – die Bilder des in Hamburg wütenden Schwarzen Blocks bleiben in eindrücklicher Erinnerung. Die politische Entwicklung scheint der immer globaler werdenden Wirtschaft geradezu entgegenzulaufen – ein Kontrast, den es im Interesse unseres Wohlstandes und gesellschaftlichen Friedens dringend zu lösen gilt.

Politik und Wirtschaft – eine lebenswichtige Partnerschaft

Selbstverständlich sind Politik und Wirtschaft nicht kategorisch zu trennen. Regierungen und Konzerne haben zum Teil gemeinsame Interessen und pflegen international eine ähnliche Art von Beziehungen. Staatsoberhäupter gehen mit Top-Managern auf Reisen und werben für Investitionen und Kooperationen. Die Politik schafft in weiten Teilen die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, und dieses Zusammenspiel ist grundsätzlich auch gut und richtig. Kritiker äußern jedoch vermehrt den Eindruck, dass sich die Machtverhältnisse umgekehrt haben und die global agierenden Konzerne, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegen und meist nur an lokale Jurisdiktion gebunden sind, durch ihre wirtschaftlichen Aktivitäten die Politik steuern.

Es ist nicht zu leugnen, dass ökonomische Gegebenheiten einen erheblichen Einfluss auf das politische Klima haben. Wenn große europäische oder chinesische Konzerne in Afrika Ressourcen ausschöpfen und mit billigen Produkten lokale Märkte gefährden, sind Unruhen, Flucht und Migration nur eine logische Konsequenz. Für eine gute Zukunft muss die Wirtschaft also etwas in ihr Selbstverständnis integrieren, dass bisher lediglich eine Aufgabe der Politik zu sein schien: einen Blick fürs große Bild, ein Verantwortungsbewusstsein, das über die naheliegenden Interessen und reines Profitstreben hinausgeht und Werte wie Ethik, Gerechtigkeit, soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit in die geschäftlichen Aktivitäten integriert.

Der Kampf um die Zukunft – ein kollektives Interesse

Viele Unternehmen haben das verstanden und übernehmen die Verantwortung, die ihrer wirtschaftlichen Macht entspricht. Immer mehr Firmen achten auf Nachhaltigkeit und soziale Verträglichkeit, fördern Entwicklungsprojekte und gehen bewusst mit Ressourcen um. Neue Technologien werden entwickelt, neue Geschäftsmodelle eingeführt. Besonders die Automobilindustrie, von der in Deutschland jeder sechste Arbeitsplatz abhängt, ist längst dabei, die großen Zukunftsthemen wie autonomes Fahren und Elektromobilität voranzubringen.

Und hier wird auch die Politik wieder aktiv: Eine zukunftsfähige Wirtschaft und ein Leben in Frieden und Wohlstand ist nun mal ein gemeinsames Interesse und erfordert ein Maximum an Kooperation. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat bereits 2018 angekündigt, der Wirtschaft bei bedeutenden Zukunftsthemen helfen zu wollen und ein Konzept aus den zwei Säulen "stärken" und "schützen" entwickelt. Durch Förderungen und gesetzliche Rahmenbedingungen soll die deutsche Industrie ihr enormes Potenzial an Innovation und Leistung optimal entfalten können.

Herausforderung und Chance – ein Blick in die Zukunft

Die Zukunft geht uns alle an, unsere Kinder, unsere Familien, unsere Kollegen und eben uns selbst. Jeder hat eine Chance, sie mitzugestalten. Und insbesondere von denen, deren Einflussmöglichkeiten aufgrund ihrer Wirtschaftskraft besonders groß sind, wünscht man sich verantwortungsvolle Entscheidungen und Weichenstellungen, die in eine auch morgen noch lebenswerte Welt führen. Und in erfreulich vielen Fällen wird dieser Wunsch auch erfüllt.


Anmerkung: Dies ist einer der Artikel, die ich dieses Jahr – wie schon die letzten drei Jahre – für das Mandantenmagazin einer mittelgroßen Wirtschaftskanzlei verfaßt habe. Er soll nun rausgenommen werden. Man wünscht nichts "Politisches". Ich finde diesen Mangel an Courage und Haltung bedauerlich - gerade einer Kanzlei, die ihr Geld mit der Beratung von Unternehmen verdient, stände eine ethische Positionierung gut an. Nun nutze ich den Artikel eben selbst.