Montag, 10. Juni 2024

Die Lust am rechten Rand

Das Ergebnis der Europa-Wahl ist zutiefst verstörend. Ein Erstarken rechtsradikaler Positionen in ganz Europa und ein immenser Erfolg der AfD bei den Unter-30-jährigen - das ist schwer zu fassen. Junge Menschen, die wie keine andere Generation vom Projekt Europa profitieren, favorisieren eine Partei, die es beenden will - ich bin sprachlos. Entgleitet uns die vielgelobte GenZ? Was macht den rechten Rand so attraktiv? Und ist die Mischung von Unbildung, Egozentrik und Social Media-Dauerbedröhnung vielleicht doch schädlicher für die Gesellschaft als irgendjemand zugeben will?

Klar ist, daß es gute Gründe gibt, mit der Regierung unzufrieden zu sein. Klar ist auch, daß die großen Probleme unserer Zeit, von Krieg über Migration und Pandemie bis zum Klimawandel, uns kognitiv und emotional überfordern und in vielen Menschen den Reflex auslösen, alles in Frage zu stellen und lieber einem radikalen Umbruch zuzustimmen als dem beharrlichen Lösen der komplexen Herausforderungen. Denn die Revolution gibt stets ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, die als Gegenteil der Ohnmacht wahrgenommen und ersehnt wird.

Klar ist aber auch, daß die etablierte Politik in kommunikativer Hinsicht vollkommen versagt hat. Miserable Wahlplakate, selbstgefällige Talk Shows, lineares Fernsehen und ein Kanzler, der uns auf angeblich "hanseatisch-zurückhaltende" Art immer wieder im informationellen Nirgendwo hängen läßt - damit erreicht man junge Menschen nicht. Das immerhin hat die AfD verstanden und ohne Widerstand die Lufthoheit über die sozialen Netzwerke ergriffen. 

Das Wahlergebnis zeigt uns also auch: Um politische Inhalte geht es vielen Wählern kaum noch, sondern um Präsenz. Spitz gesagt: Die Menschen kaufen jeden Quatsch, solange er häufig genug aufpoppt.

Wie kriegen wir das in den Griff? Mit besserer, pragmatischerer, an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Politik, die nicht weltanschaulich agiert und ihre Energie mit Partikularinteressen verschwendet. Und ganz, ganz, ganz unbedingt mit klarerer, ehrlicherer, leidenschaftlicherer, verbindlicherer und viel besser kanalisierter Kommunikation, die die Menschen sowohl medial als auch emotional erreicht.

Aber das will halt gekonnt sein.