Positiv solle man es sehen. Die neuen Chancen erkennen. Und daß jedem Anfang ein Zauber innewohne. Mit solchen Plattitüden versucht man heute gern, sich und anderen Niederlagen und Rückschläge schmackhaft zu machen. Das Scheitern hat in der Insta- und LinkedIn-polierten Erfolgswelt keinen Platz, und mit negativen Gefühlen soll man sich schon gar nicht aufhalten.
Warum ist das so? Was sagt es über unsere Kultur? Und provokant gefragt: Ist es denn ein Wunder, wenn unter diesem Positivitätsdruck immer mehr Menschen psychisch auffällig werden?
Jedem Anfang geht eben erst mal ein Ende voraus. Jeder neuen Chance eine vertane. Und jeder Möglichkeit das Scheitern des vorherigen Plans, eines Plans, an den sich einst Vorstellungen, Hoffnungen, ja Träume gar knüpften, die nun zerplatzen. Das dürfen, das müssen wir uns eingestehen, und darüber dürfen wir auch traurig, niedergeschlagen und verzagt sein. Diesen Teil unserer emotionalen Vielfalt einfach zu verdrängen, macht alles noch schlimmer.
Denn diese ganze "Aufstehen, Krönchen richten, weitergehen"-Ideologie ist zutiefst ungesund und verlogen, und sie geht von einem fundamentalen Irrtum aus: daß nämlich immer nur eine (1) Gefühlslage zu einer Zeit möglich ist. Das ist aber Unfug. Man kann am Boden zerstört sein und trotzdem schon die Euphorie des Neubeginns in sich spüren. Man kann tief enttäuscht sein und trotzdem bereits neue Ideen entwickeln.
Wieso gönnen wir uns diese Komplexität nicht mehr? Wieso muß alles eindeutig und immer sofort positiv sein? Wieso werden negative Gefühle mit schlechten Gefühle gleichgesetzt, mit denen man sich nicht aufhalten soll - statt sie einfach zuzulassen, sie als Phase bewußt zu durchleben und Kraft und innere Sammlung daraus zu schöpfen?
Bei mir jedenfalls sind die besten Ideen, die mächtigsten Entschlüsse immer, wirklich immer aus der Verletztheit, dem Schmerz, dem Verlust und der Traurigkeit erwachsen. Und so wird es wieder sein.