Ein Blog. Ich habe mir tatsächlich ein Blog-Profil eingerichtet. Der Himmel weiß, was ich damit eigentlich will; der Himmel weiß, warum ich mich einem Phänomen anschließe, vor dem mir eigentlich graut. Nicht so sehr der Tatsache wegen, daß heutzutage alle Welt die Möglichkeit hat, sich hemmungslos einer anonymen Öffentlichkeit mitzuteilen - das vergrößert die Vielfalt und ist sicher eine grandiose demokratische Errungenschaft! Aber die Massenhaftigkeit an sich, in der in schlechtem Deutsch oder noch schlechterem Englisch Belanglosigkeiten mit dem Anspruch, unbedingt mitteilenswert zu sein, verbreitet werden, berührt mich irgendwie unangenehm, vielleicht nur deshalb, weil es der Wust an vernachlässigbaren bis schlechten Verbalergüssen zunehmend schwierig macht, wirklich gute und inspirierende Beiträge zu finden, und ich mich einfach nicht gern durch eine Müllhalde kämpfe, um vielleicht irgendwann mal einen kleinen Schatz zu finden...
Überhaupt, Massenhaftigkeit... Gestern war ich in einer leichtlebigen Stimmung, emotional wie typologisch an ein idealisiertes Bild der späten 20er Jahre à la Bertie Wooster angelehnt, und so zog ich mir also einen karierten Tweed-Anzug an, versah ihn mit ein paar affigen Accessoires wie Halstuch, Blume im Knopfloch und Schnefterstock, gab mir die Attitüde eines müßiggängerischen Lebemanns und spazierte durch das sonnige Wien.
Auf dem Weg in die Stadt kreuzte plötzlich ein Demonstrationszug meinen Weg, angekündigt durch zahlreiche Polizeiautos und Beamte, die den Verkehr umleiteten, um den zwei-, dreihundert Demonstranten die lautstarke Verkündung ihres Unmuts zu ermöglichen. In diesem Fall ging es um die Abschaffung der §§ 278 f. des österreichischen Strafgesetzbuches, die die Bildung krimineller Vereinigungen und Organisationen unter Strafe stellen, ähnlich wie es bei uns in Deutschland der § 129 StGB tut. Menschen, die sich engagieren, interessieren mich, und so ging ich auf den Zug zu und lief entgegen seiner Laufrichtung an der Seite entlang, um mir die Gesichter der Leute anzusehen, die da so heftig riefen und pfiffen.
Die Flugblattverteiler ignorierten mich vollständig, obwohl ich dicht am Zug entlanglief, bis ich einem unter ihren verfilzten Haaren recht hübschen Mädchen so demonstrativ die Hand hinhielt, daß ich endlich ein Pamphlet bekam. Das Flugblatt belehrte mich darüber, daß "der Staat" unter Berufung auf den besagten § 278 zahlreiche Willkürakte in der Tierrechtsszene verübt habe. Bevor ich mich fragen konnte, warum Tiere nun auch schon eine rechte Szene haben, wurde erklärt, daß es sich bei den Opfern staatlicher Repression um Tierschutzaktivisten gehandelt habe, die grundlos in Untersuchungshaft genommen und massiv in ihrer Privatsphäre verletzt worden seien. Ich selbst kann all das mangels ausreichender Kenntnisse weder widerlegen noch bestätigen, und es versteht sich selbst, daß, sollte sich ein Rechtsstaat solche unangemessenen Vorgehensweisen erlauben, Widerstand geboten ist! Ebenso selbstverständlich erscheint mir jedoch, daß eine Gesellschaft sich vor kriminellen Organisationen schützen muß, und daß dieser Schutz eben auch einer strafrechtlichen Verankerung bedarf. Die Möglichkeit, eine gesetzliche Norm zu mißbrauchen, rechtfertigt noch nicht ihre Abschaffung. Sonst müßten auch das Asylrecht, die Sozialhilfe und die Post abgeschafft werden.
Aber ich schweife ab! Wie kam ich jetzt überhaupt auf all das? Ach ja, Massenhaftigkeit... Ich lief also in der oben beschriebenen Aufmachung an den Demonstranten vorbei, sah so vielen wie möglich offen ins Gesicht und erntete Blicke, die von amüsiertem Staunen über bösartigen Spott bis hin zu unverhohlener, klassenfeindlicher Verachtung alles umfaßten. All diese Leute waren in Schwarz gekleidet, alle trugen schwarze Jeans und schwarze Jacken... eine einzige schwarze Masse, die da die Museumsstraße hinuntergerollt kam. Das Lustige ist eben nur, daß viele von ihnen gewiß in MIR den Konformisten zu erblicken glaubten...
So ist es eben mit der Massenhaftigkeit. Niemand hält sich wirklich für ein Massenprodukt... Drum gibt es auch so viele Blogs. Und nun auch meinen.