Und dennoch, so seltsam das ist, muß ich auch heute immer erst den Reflex überwinden, das ja eigentlich nicht zu dürfen.
Dabei bin ich nicht allzu streng oder gar autoritär erzogen worden. Aber es gab doch klare Grenzen und Regeln, und manches war aus durchaus vernünftigen Gründen eben nicht gestattet. In Unmengen und zu Unzeiten Eis zu essen zum Beispiel, wirft ja nun unbestritten sowohl medizinische als auch moralische Probleme auf, und so wurde mir dergleichen eben mit liebevoller Strenge untersagt.
Heute hingegen entscheide ich über diese Dinge selbst, und wenn die kindliche Lust im entscheidenden Moment alle gesundheitlichen und ethischen Bedenken überwältigt, dann esse ich eben Eis! Das Schöne daran ist, daß sich das Kind in mir die Hemmschwelle jener heimlichen Einsicht, dergleichen nicht tun zu sollen, bewahrt hat und umso lustvoller und bewußter den Bannkreis kindlicher Reglementiertheit durchbrechen und ungehindert in die freie Sphäre erwachsener Autonomie eindringen kann...
Die Freude darüber durchrieselt mich jedesmal aufs Intensivste. Sie ist nur dem Gefühl vergleichbar, das man als Kind hatte, wenn etwas an sich Verbotenes ganz unerwartet und ausnahmsweise doch gestattet wurde.
In Gegenwart meiner Mutter machen derartige Grenzüberschreitungen übrigens noch mehr Spaß! Sie versucht natürlich (wie alle Mütter auf der Welt) immer noch, mir nahezubringen, was gut und was schlecht für mich ist, und ich finde das süß und liebe sie sehr dafür. Und ich bin ihr dankbar für die Regeln und Grenzen, die sie mir als Kind auferlegte, denn sie befähigen mich heute dazu, die Freude an den Dingen, die ich mir gönne und gewähre, viel intensiver und bewußter zu empfinden, als wenn alles schon immer selbstverständlich gewesen wäre.
Danke, Mülein. Groß sein, wenn man sich ein wenig klein zu halten weiß, ist wirklich toll.