Dienstag, 22. April 2025

Das Wahre Schöne Gute

Hat das Schöne, mit dem wir uns umgeben, Einfluß auf unsere Weltwahrnehmung? Prägen die Sinneseindrücke, die wir uns schaffen, unseren Umgang mit Menschen, unsere Kommunikation und unser Sozialverhalten - besonders in Zeiten der überall spürbaren ästhetischen und moralischen Verwahrlosung? 

Täglich lassen wir Häßliches auf uns einwirken, werden mit Bosheit und Brutalität konfrontiert, und wollen auch im Alltag immer alles laut und grell und intensiv haben statt ausgewogen und besänftigend, lieber dionysisch-berauschend als apollinisch-erhebend. Wir wummern uns mit Musik zu, starren auf flimmernde Bildschirme, verkürzen und vernachlässigen unsere Sprache und verlernen unsere Manieren. Und ganz unwillkürlich kommt mir die Frage, ob nicht Schönheit mit (auch innerer) Ordnung und Ordnung mit Anstand zu tun hat, ja ob insoweit nicht auch der Anstand eine Form der Schönheit ist, oder ob umgekehrt die Pflege des Schönen uns auch anständiger macht. 

Sie ist nicht neu, die Frage nach dem Zusammenhang des Guten mit dem Schönen, wie ihn die Inschrift auf der Alten Oper in Frankfurt andeutet, der Verknüpfung von Ästhetik und Moral, und bei mir persönlich, das gebe ich zu, ist da der Wunsch Vater des Gedankens. 

Andererseits wird allzu oft das Gegenteil bewiesen, wenn sich das durch und durch Unanständige, das Gierige, das Eitle und Menschenverachtende in prachtvoller Kulisse inszeniert und mit erlesensten Requisiten und in edelsten Kostümen daherkommt. Auch das Böse beherrscht die Methoden der Ästhetisierung. Aber kann noch schön sein, was nur dem Niederen und Häßlichen dient?

Die Frage bleibt vertrackt und diffizil. Ich lasse sie lieber mal offen.

Sonntag, 20. April 2025

Die große Leere

Ostersonntag. Die Sonne scheint, die Kirchenglocken läuten. Ich erinnere mich an meine Kindheit im katholischen Rheinland, an die allgemeine Selbstverständlichkeit religiöser Rituale, zumindest an hohen Feiertagen. An volle Kirchen und eine gehobene, feierliche Atmosphäre.

Heuer bin ich über Ostern daheim. Und natürlich gehe ich in die Kirche, in der ich einst kommuniziert und gefirmt wurde, Sankt Josef in Koblenz. Daß meine Mutter mit mir geht, verstärkt mein Gefühl aus sentimentaler Nostalgie, kindlicher Geborgenheit und festlicher Frömmigkeit.

Als wir fünfzehn Minuten vor Beginn des Gottesdienstes die Kirche betreten (man möchte ja noch einen Platz ergattern), bekommt das innere Bild einen Knacks. Der schöne neogotische Raum ist fast leer. Wir sind einigermaßen entsetzt; das kennen wir so nicht, das haben wir noch nie erlebt.

"Den Menschen geht's zu gut", sagt meine Mutter. "Nein", widerspreche ich, "ich glaube, es geht ihnen gar nicht gut. Sie wenden sich nur anderen Deutungsmustern, anderen Sinnquellen zu." Klären können wir das nicht.

Ein paar Menschen finden sich noch ein. Aber verglichen mit früher ist es ein trauriges Bild an einem Ostersonntag. Die relative Leere des Kirchenraumes scheint mir die Leere unserer Seelen abzubilden. Die Leere unseres Selbstbildes und unserer Orientierung als Gesellschaft. Nicht weil Kirche die Antwort wäre. Sondern weil sie ein Symbol ist für eine Übereinkunft, die verloren gegangen scheint.

Die Predigt ist sehr gut, nah am Menschen, tagesaktuell und mit klarer Haltung zum politischen Geschehen. Ein Angebot ist also da. Schade, daß es derzeit so wenige annehmen.

Freitag, 18. April 2025

Glaube in Zeiten der Verweltlichung

Gestern abend war ich zur Abendmahlfeier in der Kirche Sankt Ursula in Schwabing. Ich gehe sehr gern in diese Kirche - St. Ursula ist eine überaus aktive Gemeinde, für die Überalterung und Mitgliederschwund kein Thema zu sein scheint. Was freilich nicht zuletzt am großartigen Pfarrer G.R. David W. Theil liegt.

Es erstaunt mich immer wieder, wie voll die Kirche ist, auch wenn nicht gerade Weihnachten oder Ostern ist. Familien, Menschen aller Altergruppen, darunter auffällig viele junge Leute finden sich hier ein. In Zeiten der Säkularisierung erscheint das überraschend.

Vielleicht - und sehr vermutlich - ist der Glaube hier ganz einfach - nun ja, glaubwürdig. Das soziale Engagement der Gemeinde, die begreiflichen, alltagsnahen Predigten und die stets offene und menschliche Atmosphäre machen es leicht, sich mitnehmen zu lassen. Vielleicht aber bedient der Glaube an Gott gerade heute auch einfach ein Bedürfnis nach einem höheren Sinn im Leben, nach ein bißchen mehr universeller Weite, als sie die enge Maßstäblichkeit von Berufsalltag, sozialen Netzwerken und globaler Unterhaltungsuniformität à la Netflix ermöglichen. Und ich verstehe dieses Bedürfnis sehr gut.

Mir selbst hat mein Glaube mein Leben lang Sinn und Orientierung gegeben. In der Figur Jesus Christus sehe ich bis heute ein Vorbild, dessen Botschaft der Liebe über die Frage nach seiner Göttlichkeit erhaben scheint. Man muß nicht mal Christ sein, um Jesus gut und richtig zu finden. Ich glaube diese Göttlichkeit dennoch mit, so wie ich auch an ein universelles Bewußtsein glaube, an einen ewigen Schöpfergeist. Ich nenne ihn Gott, aber wer ihn Allah, Jahwe, Manitu Spaghettimonster oder das Universum nennen möchte, der werde eben damit selig. 

Selbstverständlich käme ich nicht auf die Idee, mein Glaubensbild anderen aufdrängen zu wollen - dafür ist meine Beziehung zu Gott viel zu persönlich, zu intim. Warum Menschen um Religion streiten oder sogar dafür töten, bleibt mir unbegreiflich. Mit meinem Gott hat das jedenfalls nichts zu tun. Liebet einander - was ist daran so schwer zu begreifen?!

In diesem Sinne frohe Ostertage und Gottes Segen!

Montag, 14. April 2025

Geister sollte es nicht geben

"Ghosting" - ein weiterer englischer Modebegriff, mit dem Verhaltensweisen höchster Achtlosigkeit verharmlost und akzeptabel gemacht werden.

Jemanden derart zu "vergeistern" bedeutet, ihn vollkommen zu ignorieren, kommunikative Vorstöße unbeantwortet zu lassen und auf keine Regung zu reagieren. Es sei, so oft das Argument, doch jedes Menschen gutes Recht zu entscheiden, mit wem man umzugehen wünsche - oder eben nicht.

Das stimmt zwar grundsätzlich. Dennoch ist das Ghosten für mich der Gipfel der Mißachtung - und somit einfach letztklassig schlechtes Benehmen. Es muß schon etwas sehr Extremes vorgefallen sein, um eine so erniedrigende Maßnahme irgendwie nachvollziehbar zu machen. 

Denn selbst wenn ich mit jemandem nichts zu tun haben möchte, mich jemand überhaupt nicht interessiert oder der Kontakt mich stört oder belastet - was ja immer sein kann und darf! - gebieten es der Anstand und ein grundsätzlicher Respekt vor jedem Menschen (und vor sich selbst!), das wenigstens kurz mitzuteilen - freundlich, aber bestimmt. Alles andere ist feige und flegelhaft.

Hüten wir uns vor Euphemismen, die die wachsende Egozentrik in unserer Gesellschaft mit schicken Anglizismen verschleiern. Und bleiben wir auch denen gegenüber respektvoll, die wir nicht in unserem Leben haben wollen. 

Dienstag, 1. April 2025

Land ohne Selbstbild

Das wird nix mehr mit Deutschland - gestern habe ich alle Hoffnung verloren! Wegen der Bürokratie? Nein. Wegen der schon vor ihrer Konstituierung moralisch gescheiterten Regierung? Auch nicht. Wegen der selbstgefälligen, innovationverweigernden Wirtschaft, die zwanzig Jahre geschlafen hat und jetzt andere dafür verantwortlich macht? Nah dran, aber nein.

Die Hoffnung habe ich gestern verloren, nachdem ich die erste Folge der deutschen Adaption einer britischen Erfolgsserie angeschaut habe, von der es zudem eine exzellente amerikanische Version gibt: "Ghosts". Schon mal gehört? 

Da geht es darum, daß ein junges Pärchen ein schloßartiges Haus erbt und in eine Frühstückspension umbauen will. In dem Haus leben jedoch auch Geister, die nach einem Unfall der jungen Frau mit ihr reden und von ihr gesehen werden können. Natürlich entwickeln sich daraus einige sehr unterhaltsame Komplikationen, aber der Witz und der Charme sowohl des britischen Originals als auch der amerikanischen Adaption erwachsen aus etwas anderem: dem jeweiligen Nationalkolorit, das sich über die Auswahl stereotypischer Vertreter sehr unterschiedlicher historischer Epochen vermittelt. Diese sind in ihrer Prägung, ihren Wertmaßstäben und ihrer ganzen Weltsicht natürlich äußerst verschieden, womit die Autoren großartige Möglichkeiten eröffnen, die Geschichte des eigenen Landes aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und immer wieder Momente des Verständisses und der Aussöhnung innerhalb der sehr diversen Gruppe von Geistern zu schaffen. Und dabei entsteht genau das, was wir Deutschen einfach nicht haben: eine Idee von uns selbst.

Denn in der deutschen Version fehlt dieser Aspekt einer humorvoll-ironischen und doch kritischen Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, den Ideen und Deutungsmustern der verschiedenen Jahrhunderte und dem soziokulturellen Wertewandel so gut wie ganz. Alles ist viel plumper, viel generischer und ohne eine verbindendes historisches Gewebe. Die Figuren sind pure Klischees, denen es nicht ansatzweise gelingt, glaubhaft die Kultur ihres Landes in ihrer Zeit zu vermitteln, und ihr Humor ist, wie meistens in deutschen Sendeformaten, eher physisch als geistreich. Stattdessen ist mal wieder alles nach allen Seiten so offen, daß es nicht ganz dicht sein kann. Natürlich wird mit Sätzen wie "krassester See ever!" und "What the fuck?" gedenglischt, was das Zeug hält - ja, klar, auch von unserer Sprache haben wir keine andere Idee als sie mit möglichst vielen sinnfreien Anglizismen zu spicken, damit erst gar kein Verdacht einer allzu deutschen Selbstbetrachtung aufkommt - was selbstverständlich auch für die untermalende Musik gilt. Zelebriert wird einzig das Mittelmaß und Spießertum, das aus dem gutaussehenden amerikanischen Börsenmakler einen proletigen deutschen Versicherungsvertreter mit Assi-Schnauzbart macht.

Und genau das ist unser Problem in diesem Land: Wir haben keine Idee von uns selbst, kein großes Bild, das die verschiedensten Einflüsse und Prägungen eint und zu etwas liebens- und erhaltenswertem Heutigen zusammenführt, und damit auch keine Strategie, keinen Weitblick darauf, was und wie und wer wir als Gesellschaft eigentlich sein oder in Zukunft werden wollen.

Wenn man schon so einfallslos ist, gute Ideen abzuschreiben statt selbst mal welche zu haben, dann sollte man es wenigstens nicht so unterirdisch schlecht machen. Aber gut können's die Deutschen wohl nicht mehr - denn dafür müßte man halt buchstäblich originell sein, und das hieße zunächst mal, sich selbst zu kennen und zu mögen. 

Nein, irgendwie wird das nix mehr mit diesem Deutschland. Schade.