Dienstag, 1. April 2025

Land ohne Selbstbild

Das wird nix mehr mit Deutschland - gestern habe ich alle Hoffnung verloren! Wegen der Bürokratie? Nein. Wegen der schon vor ihrer Konstituierung moralisch gescheiterten Regierung? Auch nicht. Wegen der selbstgefälligen, innovationverweigernden Wirtschaft, die zwanzig Jahre geschlafen hat und jetzt andere dafür verantwortlich macht? Nah dran, aber nein.

Die Hoffnung habe ich gestern verloren, nachdem ich die erste Folge der deutschen Adaption einer britischen Erfolgsserie angeschaut habe, von der es zudem eine exzellente amerikanische Version gibt: "Ghosts". Schon mal gehört? 

Da geht es darum, daß ein junges Pärchen ein schloßartiges Haus erbt und in eine Frühstückspension umbauen will. In dem Haus leben jedoch auch Geister, die nach einem Unfall der jungen Frau mit ihr reden und von ihr gesehen werden können. Natürlich entwickeln sich daraus einige sehr unterhaltsame Komplikationen, aber der Witz und der Charme sowohl des britischen Originals als auch der amerikanischen Adaption erwachsen aus etwas anderem: dem jeweiligen Nationalkolorit, das sich über die Auswahl stereotypischer Vertreter sehr unterschiedlicher historischer Epochen vermittelt. Diese sind in ihrer Prägung, ihren Wertmaßstäben und ihrer ganzen Weltsicht natürlich äußerst verschieden, womit die Autoren großartige Möglichkeiten eröffnen, die Geschichte des eigenen Landes aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und immer wieder Momente des Verständisses und der Aussöhnung innerhalb der sehr diversen Gruppe von Geistern zu schaffen. Und dabei entsteht genau das, was wir Deutschen einfach nicht haben: eine Idee von uns selbst.

Denn in der deutschen Version fehlt dieser Aspekt einer humorvoll-ironischen und doch kritischen Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, den Ideen und Deutungsmustern der verschiedenen Jahrhunderte und dem soziokulturellen Wertewandel so gut wie ganz. Alles ist viel plumper, viel generischer und ohne eine verbindendes historisches Gewebe. Die Figuren sind pure Klischees, denen es nicht ansatzweise gelingt, glaubhaft die Kultur ihres Landes in ihrer Zeit zu vermitteln, und ihr Humor ist, wie meistens in deutschen Sendeformaten, eher physisch als geistreich. Stattdessen ist mal wieder alles nach allen Seiten so offen, daß es nicht ganz dicht sein kann. Natürlich wird mit Sätzen wie "krassester See ever!" und "What the fuck?" gedenglischt, was das Zeug hält - ja, klar, auch von unserer Sprache haben wir keine andere Idee als sie mit möglichst vielen sinnfreien Anglizismen zu spicken, damit erst gar kein Verdacht einer allzu deutschen Selbstbetrachtung aufkommt - was selbstverständlich auch für die untermalende Musik gilt. Zelebriert wird einzig das Mittelmaß und Spießertum, das aus dem gutaussehenden amerikanischen Börsenmakler einen proletigen deutschen Versicherungsvertreter mit Assi-Schnauzbart macht.

Und genau das ist unser Problem in diesem Land: Wir haben keine Idee von uns selbst, kein großes Bild, das die verschiedensten Einflüsse und Prägungen eint und zu etwas liebens- und erhaltenswertem Heutigen zusammenführt, und damit auch keine Strategie, keinen Weitblick darauf, was und wie und wer wir als Gesellschaft eigentlich sein oder in Zukunft werden wollen.

Wenn man schon so einfallslos ist, gute Ideen abzuschreiben statt selbst mal welche zu haben, dann sollte man es wenigstens nicht so unterirdisch schlecht machen. Aber gut können's die Deutschen wohl nicht mehr - denn dafür müßte man halt buchstäblich originell sein, und das hieße zunächst mal, sich selbst zu kennen und zu mögen. 

Nein, irgendwie wird das nix mehr mit diesem Deutschland. Schade.