Mittwoch, 29. September 2010

Nachtgedanken

Vor 38 Jahren ging meine Sonne auf. Vor 18 Jahren erreichten mich erstmals ihre Strahlen. Ich buck einen Marmorkuchen, um sie zu begrüßen. Seither beschien sie mein Leben... wunderbar warm und hell...

So hell irgendwann, daß es mich blendete. So warm, daß ich mich nicht mehr regen konnte. Gleißend und heiß brannte sie auf mich herab, hoch, unerreichbar, ihre ganze Kraft darauf verwendend, ja sich ausbrennend geradezu dafür, daß ich es gut haben möge. Und ich hatte ihr nichts entgegenzuhalten. Kein kleiner Glanz, den ich erwarb, vermochte, in ihrem Licht zu bestehen.

Also floh ich in die Nacht, die mich kühl und lockend umfing, mich verführte zu verschwiegenen, verantwortungslosen Wonnen im wohligen Schutz entfremdender Dunkelheit... und ich fiel darein, immer tiefer, wurde aufgesogen von einer Sphäre, in der nichts sichtbar war und also auch nicht erklärt werden mußte. Nur Nacht, Stille, Kühle...

Nun ist mir kalt. Meine Augen sehnen sich nach Licht. Ich renne dem Horizont zu, sehnsuchtsvoll hoffend zu finden, aufs neue zu gewinnen, was ich einst floh. Doch meine Sonne scheint nicht mehr. Um mich bleibt nur die Nacht.




Donnerstag, 23. September 2010

Bewegung

Suchende, irrende und scheiternde Menschen faszinieren mich. Es zieht mich an, wenn jemand mit sich selbst im Unreinen ist, dies jedoch erkennt und strebend sich bemüht, ganz zum eigenen Selbst und damit zu seinem Platz in dieser Welt zu finden. Die Entwicklung, die Vorwärtsbewegung, die Selbstzweifel der leidenden Seele und ihre unbedingte Bereitschaft, sich um der Selbsterkenntnis willen auch unangenehmen Einsichten auszusetzen - all das fasziniert mich an einem Menschen.

Viele derart veranlagte Menschen neigen zum künstlerischen Ausdruck. Im gestaltenden Schöpfungsakt konkretisiert sich der Wille zur Ausformung eines Gefühls, einer Erkenntnis, einer Meinung und letztlich vielleicht einer Identität.

Dieses Bedürfnis nach Ausdruck kann jedoch zur Falle werden. Das aus Intelligenz, Talent und mangelndem Selbstwertgefühl geborene Werk wird oft zum Selbstzweck, übertönt das Wesen des Schaffenden, anstatt seiner Auffindung zu dienen, und wird euphemistisch "Selbstverwirklichung" genannt, um den Umstand zu verschleiern, daß das tatsächliche Selbst ja eigentlich schon immer wirklich war, nur leider nicht entdeckt werden konnte und also durch ein neues, im Werk erfundenes Selbst ersetzt wurde.

Natürlich schafft dergleichen keine echte Befriedigung. Ein kurzer, aus der Anerkennung der Mitmenschen gespeister Rausch mag den Schmerz lindern, aber im tiefsten Grunde weiß die Seele doch, daß sie ihr Glück in einer allgemein beklatschten Fassade allein nicht finden kann. In der Hoffnung, irgendwann doch zur völligen Übereinstimmung von Tun und Sein zu gelangen, wird also weitergeschaffen, und die im Werk manifestierte Ersatzidentität wächst und gewinnt immer mehr Macht. Jedem Gefühl, jeder Laune, jeder kurzzeitigen Idee wird Ausdruck gegeben in der Hoffnung, irgendwann füge sich daraus ein die Seele spiegelndes und also erkennbar machendes Gesamtbild.

Dem ist aber nicht so. Stattdessen beginnt sich derjenige, der in der Kunst sein Heil sucht, um sich selbst zu drehen und jede Regung seines Herzens oder seines Kopfes nur noch werkzentriert zu verstehen. Er entfernt sich von den Menschen, obwohl er vielleicht immer mehr Bewunderung erfährt, verliert sich selbst und sieht sein Leiden nicht mehr als Motivation seiner Suche, sondern nur noch als Rechtfertigung seiner rücksichtslosen Egozentrik.

Sich um sich selbst zu drehen, ist keine Vorwärtsbewegung, und rastlos in den eigenen Launen herumzuwühlen und seine Mitwelt damit zu penetrieren, schafft keinen echten Außenbezug. Selbstfindung kann nur glücken, wenn man sich selbst und anderen als Mensch unmittelbar erkennbar bleibt. Niemand wird in seinem Werk, sondern bestenfalls um seines Werkes willen geliebt. Dies jedoch bleibt unbefriedigend, weil es an menschlicher Nähe fehlt.

P.S.: Der gleiche Mechanismus gilt natürlich für bürgerliche Berufe, die zur Identitätsstiftung herangezogen werden, sowie für alle anderen Ersatzbefriedigungen. Die Kunst war hier nur das wohl intensivste Beispiel.

Donnerstag, 16. September 2010

Routinebruch

Professionell, cool, glatt und makellos, im Londoner Maßanzug, der ebenso perfekt sitzt wie die Maske des Geschäftsmanns, die ich zu solchen Gelegenheiten trage. 500 Menschen, die trinken, reden, essen, Erfolge feiern. Ich mittendrin, das Weinglas lässig in der siegelberingten Hand, gewandt plaudernd, charmant und witzig. Das Übliche eben - netzwerken, Karten verteilen. Geschickte Selbstdarstellung, während man überzeugend so tut als interessiere man sich noch viel mehr für die Selbstdarstellung des Gegenübers. Ein Routinetermin.

Das war der Plan.

Aber da bist Du. Und ich kann meinen Blick nicht von Dir wenden. Ich kann mich mit niemandem unterhalten, nichts mehr interessiert mich. Mein Herz rast, meine Zunge ist trocken, mein ganzer Leib gelähmt in stummer Anbetung. Du plauderst, mit wem eigentlich?, leuchtest, lächelst, bist schön... und ich möchte vergehen vor Wonne. Ich klebe an Dir, starre Dich an voller Ungläubigkeit, daß es so etwas Wundervolles geben kann...

...und trinke zuviel Wein.

Ich versuche, mich möglichst normal zu geben und falle dadurch erstrecht auf, rede Unsinn, stammele vor mich hin, ernte fragende Blicke... bis ich es nicht mehr aushalte und fliehe, fliehe auf die Bühne, wo irritierte Musiker mich gewähren lassen, als ich das Mikro nehme und ein Lied singe, ja ernsthaft, vor allen Leuten, aber nur für Dich...

Du hast den Teil, der einst mein Herz war. Warum nimmst Du mich nicht ganz?

Montag, 13. September 2010

Herbst

Wer dachte, der Frühling bliebe für immer? Er zog heran, ganz leise, zart und neu, die wundervollsten Verheißungen eingestickt in sein buntes Flatterband... Er wuchs, gedieh... schwoll an, ergriff mein liebend' Herz und sprach uns warm von Ewigkeit.

Voll erblüht entlud er sich in sommerlicher Pracht. Sonnenglut, Windrausch. Leben. Ein Augenblick schönen Scheins.

Und dann schwand seine Kraft. Das Leben wich. Es wurde ruhig. Nun ist er fort, verweht in totem Laub. Der Herbst ist da, und in ihm kein Warten mehr, kein Hoffen.

Kein Frühling bleibt für immer. Kein Augenblick währt ewig. Ich ziehe mich zurück, ich richte mich ein auf ein Dasein ohne Blütenträume. Ich gedenke der schönen Stunden...

...und lasse die Liebe sterben.

Donnerstag, 9. September 2010

Gedanken zur Integration

"In the first place, we should insist that the immigrant who comes here in good faith becomes an American (…). There can be no divided allegiance here. Any man that says he is an American, but something else also, isn't an American at all. We have but room for one flag, and that is the American flag. We have but room for one language here, and that is English. And we have but room for one sole loyalty, and that is loyalty to the American people. For a citizen to vote as a German-American, an Irish-American, or an English-American is to be a traitor to American institutions (…)."

Immigration und Integration sind derzeit in aller Munde, und so sehr ich mich auch bemühe, diesen Elfenbeinblog von politischen Fragstellungen freizuhalten, so wenig kann ich mich der Allgegenwart des Themas entziehen. Und wie ich mich also recherchierend und lesend mit der Sache beschäftige, stolpere ich über das obige Zitat von Theodore Roosevelt, seines Zeichens ein glühender Verfechter der Immigration, und ja, es regt mich zum Nachdenken an.

Daß sich Roosevelts Aussage in dieser Härte und Absolutheit nicht halten läßt, ist unbestritten. Die Wortwahl ist martialisch, der Inhalt undifferenziert. Aber ist der Grundgedanke, daß eine Gesellschaft eine gemeinsame Identität, eine gemeinsame Vision und eine gemeinsame Sprache braucht, nicht vollkommen berechtigt? Darf eine Gesellschaft, die massenweise neue Mitglieder aufnimmt, von diesen nicht durchaus Loyalität und das redliche Bemühen um Integration und Mitarbeit verlangen, so wie es jeder Schrebergartenverein tut? Und ist das Erlernen der Sprache und das Bekenntnis zu den Werten und Zielen unseres Landes nicht eine unbedingte Voraussetzung dafür, daß unsere pluralistische Gesellschaft dauerhaft funktioniert? Warum wird in Deutschland etwas, das völlig normal sein sollte, um einer verlogenen „politischen Korrektheit“ willen als „Zwangsgermanisierung“ denunziert? Warum erregt jeder Verweis auf eine deutsche Identität den Verdacht reaktionärer, faschistoider Realitätsverweigerung, obwohl „deutsch“ ja mittlerweile längst kein ethnisch-völkischer Begriff mehr sein sollte? Wenn wir selbst uns schon nicht mit unserem Land identifizieren, wie könnten wir es dann von Einwanderern verlangen?

Diese Fragen kommen mir in den Sinn. Ich selbst sehe keinen Widerspruch im Verhältnis von gemeinsamer Identität und pluralistischer Vielfalt. Es geht ja nicht darum, die Menschen verschiedener kultureller Herkunft systematisch zu vereinheitlichen – Gott bewahre, das wäre ja unerträglich fad! Nein, es geht darum, dem bunten Haufen von Menschen einen Integrationspunkt zu geben, einen gemeinsamen Nenner, zu dem alle sich bekennen können, weil er jedem entgegenkommt, jedem gerecht wird und niemanden ausgrenzt, und auf dem Vielfalt, Toleranz und Gleichberechtigung erst gedeihen können.

Wie das gehen soll? Ich habe nur ein paar Fragen gestellt. Meine Meinung zu dem Thema ist längst nicht ausgereift, und ich bin offen für eine Diskussion.

Mittwoch, 8. September 2010

Sprachgedanken

Kürzlich fiel einer aufmerksamen Leserin auf, daß ich mich hartnäckig der alten Rechtschreibung bediene, und ich erklärte ihr, diese Entscheidung beruhe auf linguistischen, ästhetischen und politischen Gründen. "Wieso auf politischen Gründen?", wurde ich gefragt, und ich finde, diese Frage verdient ein paar Gedanken, sei es nur als Diskussionsgrundlage, denn umfassend und eingedenk aller möglichen Argumente läßt sich ein so komplexes Thema in ein paar Blog-Zeilen natürlich nicht behandeln.

In aller Kürze (und ich bin mir der Ironie wohl bewußt, die darin liegt, ausgerechnet dieses Thema zu "vereinfachen"...) wäre also dies meine Antwort: Politische Gründe deshalb, weil die Simplifizierung der Sprache und die Auslöschung und Unkenntlichmachung ihrer historischen und ethymologischen Wurzeln die Breite ihrer Wissens- und Bildungsinhalte ebenso wie die Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten beschneidet und damit letztlich auch ein tiefgreifendes, kritisches Denken beschränkt. Denn Sprache ist nun mal der wichtigste Bewußtseinsträger und das unverzichtbarste Mittel zur Entwicklung und Formulierung von Ideen und Gedanken. Nicht umsonst hat Big Brother in Orwells "1984" als erstes die Sprache radikal vereinfacht, alle Synonyme abgeschafft und die Fähigkeit seines Volkes zum pluralistischen Ausdruck auch linguistisch beschnitten. Wer den Menschen eine komplexe, differenzierungsfähige Sprache nimmt, vereinfacht auf lange Sicht ihr Denken und macht sie manipulierbarer, weil sie sukzessive einfachen Antworten zugänglich werden.

Natürlich geht es bei all diesen Befürchtungen nicht darum, ob man Delphin mit f oder ph schreibt - diese Veränderung allein öffnet keiner Gedankenkontrolle Tür und Tor, das ist mir auch klar. Und natürlich hat sich Sprache, gerade die deutsche, immer entwickelt. Aber hier geht es nicht um den organischen Wandel einer lebendigen Sprache, sondern um eine staatlich verordnete Nivellierung. Es geht um eine in vielen Lebensbereichen unserer Gesellschaft erkennbare Tendenz, den Horizont der Dümmsten zum Maßstab des Zumutbaren macht, und dagegen wehre ich mich eben schon in den Anfängen.

Dienstag, 7. September 2010

Rückblende

Es ist unglaublich, wie sich manche Daten, Erlebnisse und Stimmungen bestimmter Lebensabschnitte im Kopf, im Herzen festsetzen und angelegentlich unmerklicher Schlüsselreize aus tiefster, jahrzehntelanger Versenkung wieder auftauchen. Heute zum Beispiel mußte ich unwillkürlich an meine allererste Freundin denken, Stefanie, ein zauberhaft hübsches 16-jähriges Mädchen mit blonden Locken und blauen Augen. Von ihr bekam ich den ersten richtigen Kuß meines Lebens.

Und so umhüllte mich den ganzen Tag genau jene Stimmung, jene Atmosphäre, in der ich damals, 1988, lebte. Alles schien so zu riechen, zu klingen und auszusehen wie damals, unzählige Erinnerungen an Menschen, Ereignisse und Gefühle jener Zeit durchzuckten mich wie ein Film, der blitzartig abläuft, und vorhin ertappte ich mich sogar dabei, die Kassette zu hören, zu der wir damals oft geschmust haben - eine recht bunte Mischung aus Grönemeyers "Ö", George Michaels Debüt-Album (ja, sein Debüt!), BAP, Falco, ein paar zeitlosen Klassikern von Dean Martin und Glenn Miller, die ich immer schon mochte, und schließlich Dooley Wilsons "As Time Goes By", das sozusagen "unser Lied" war.

Na gut, es ist längst keine Kassette mehr - ich habe vor ein paar Jahren alle Lieder, die ich damals wild aus dem Radio aufgenommen hatte, als mp3 heruntergeladen und in der originalen Reihenfolge in einem eigenen iTunes-Ordner abgelegt. Die Kassette hatte ich 1988 mit "Steffi-Kassette" beschriftet, und genau so heißt bis heute der Ordner.

Und eben fiel mir ein, warum diese schöne, jugendliche Erinnerung heute so außerordentlich präsent war - es ist ihr Geburtstag! Die süße 16-Jährige wird heute 38. As time goes by... Alles Liebe und Gute, Steffi!

Montag, 6. September 2010

Baut es.

Robin Gibb, der ehemalige Sänger der Bee Gees, bekommt endlich, was er wollte - ein Ehrenmal für die Bomberpiloten der Royal Air Force, die im Zweiten Weltkrieg deutsche Städte bombardierten und zuletzt Dresden in Schutt und Asche legten. Mitten im Londoner Green Park wird ihr Einsatz nun gewürdigt.

Warum ausgerechnet Gibb sich so sehr dafür eingesetzt hat, die britische Luftwaffe zu ehren, mag dahinstehen. Viel offensichtlicher drängt sich die Frage auf, ob nicht die Ehrung von Männern, die in einer Nacht 25.000 Zivilisten und eine der schönsten Städte Deutschlands auslöschten, als - gelinde gesagt - Geschmacklosigkeit gesehen werden muß.

Wollte man sich auf eine Diskussion deutscher und britischer Standpunkte einlassen, so kämen von beiden Seiten gut vertretbare Argumente. Gibb selbst bringt zum Beispiel vor, die Piloten seien Helden gewesen, die Deutschland letztlich Frieden und Freiheit gebracht hätten. Dagegen ließe sich einwenden, daß die Vernichtung Dresdens im Februar 1945 mitnichten kriegsentscheidend gewesen ist. Dennoch, so könnte die britische Argumentation weitergehen, war es doch wohl Deutschland, das den Krieg begonnen und ihn später sogar "total" geführt habe. Wer sich so verhalte, müsse damit rechnen, daß die angegriffenen Völker ihre Freiheit mit denselben Mitteln verteidigten. Auch richtig. Gleichwohl widerspricht die planmäßige Tötung von Zivilisten der Genfer Konvention und wird bis heute auch im Fall Dresden von vielen Experten als Kriegsverbrechen gewertet.

Und so könnte man ewig fortfahren. Der kleinste gemeinsame Nenner ist, daß Krieg an sich blöd ist, aber er hat nun einmal stattgefunden. Alle weiteren Konflikte entspringen dem allzu menschlichen Phänomen der unterschiedlichen, historischer Perspektive und Prägung geschuldeten subjektiven Wahrnehmung und sind daher nicht vollständig auflösbar.

Ja Himmel, dann baut halt Euer dämliches Ehrenmal, wenn Ihr Euch dann besser fühlt! Alle britischen Waffengattungen außer der RAF haben eins, sogar die Spürhunde, die in den Londoner Trümmern eingesetzt wurden, und das Königreich braucht Helden, denn der Komplex, daß eine abtrünnige Kolonie dem einst mächtigen Empire auf gut Amerikanisch gesagt "den Arsch retten" mußte, wiegt ebenso schwer wie die Erkenntnis, daß Deutschland seither in vielerlei Hinsicht sehr viel besser dasteht als Großbritannien. "Who won the war, anyway?" Tja...

Natürlich erscheint es einem aufgeklärten, zeitgemäß denkenden Menschen befremdlich bis lachhaft, in bronzenem Kitsch verstaubtes Heldentum zu zelebrieren. Indes - belassen wir es doch dabei. Mag im Green Park nun ein Bomberdenkmal stehen oder nicht - meinen vielen Freundschaften im Vereinigten Königreich und meiner glühenden Liebe zu London wird das nicht den geringsten Schaden zufügen. Heute ist heut'.

P.S.: Das vom britischen Volk gestiftete und vom Sohn eines Bomberpiloten gefertigte Turmkreuz auf der wiederaufgebauten Dresdener Frauenkirche spricht eine andere Sprache als die dumpfe Heldenverehrung. Solche Gesten gibt es heutzutage gottlob auch.

Donnerstag, 2. September 2010

Ode an den Biber

Was für ein wunderbares Tier der Biber ist! Fleißig nagt er Tag für Tag Bäume nieder, um daraus Dämme zu bauen, Bäche aufzustauen und somit einen sicheren und lebensgünstigen Wasserstand zu schaffen. Er lebt in Einehe und beherbergt seinen Nachwuchs, bis dieser alt genug ist, die elterliche Burg zu verlassen und selbst für den Bestand der Art zu sorgen. An sein Leben im Wasser ist er mit seiner Kelle (dem paddelartigen Schwanz), den Schwimmhäuten an den Hinterfüßen und seinen 23.000 Haaren pro Quadratzentimeter Fells bestens angepaßt; er existiert in vollkommener Harmonie mit seiner Umgebung, seiner Familie und seiner täglichen Beschäftigung.

Harmonie und Sicherheit... das zeichnet so ein Biberleben aus. Eine monogame Beziehung, liebende Brutpflege, tägliches Werken am sicheren Damm und das zufriedene Dasein in einer artgerechten Umgebung. Ein ebenso bescheidener wie berechtigter Anspruch ans Leben; eine freiwillige Selbstbeschränkung, in der für diese Tiere das ganze Glück der Welt liegt.

Beneidenswert, irgendwie. Ein Lebensentwurf, der von Beständigkeit, von verläßlichen Größen und festen Werten definiert wird. Keine Ablenkungen, keine Zweifel, keine hochfliegenden Ideen, Phantasien und Ambitionen, die den eigenen Horizont und letztlich auch die eigene Lebensfähigkeit weit überspannen und am Ende zum Scheitern verurteilt sind... Ein realistisches, in den dieser Spezies gegebenen Möglichkeiten und Normen verwurzeltes Dasein. Wunderbar.

Hasen hingegen, um ein konträres Beispiel zu geben, hoppeln nur blöd herum, boxen sich ebenso wichtigtuerisch wie albern mit Rivalen, rammeln, was nicht bei drei weiß Gott wohin geflüchtet ist, und leben in der ständigen, ohrenspitzen Panik, etwas zu übersehen oder zu verpassen. Sie bauen noch nicht einmal unbedingt ein dauerhaftes Nest, sondern suchen in zufälligen Bodenvertiefungen ihren kurzfristigen Schutz. Recht erbärmlich, wenn man es mit der soliden Lebensweise der Biber vergleicht. Aber eben Hasennatur. Wer wollte darüber urteilen?

Zu vermuten ist jedoch, daß mancher Hase, der weiter als seine durchschnittlich begabten Artgenossen zu blicken und tiefer als jene zu empfinden imstande ist, sich heimlich und gegen seine offenkundige Natur nach einem Biberleben sehnt. Nicht nach dem Wasser vielleicht, auch wenn Hasen sehr gute Schwimmer sind und letztlich wohl sogar mit dem nassen Element zurecht kämen. Aber doch nach der dauerhaften Gültigkeit der Verhältnisse, nach der Verbindlichkeit des Lebensmodells, das den Verlust an launenhaften, unbegrenzten Selbstverwirklichungsmöglichkeiten tausendfach mit Halt und Verläßlichkeit entgilt.

Vielleicht hat der Biber das Zuhause, das der Hase sich wünscht. Ob sie aber jemals zusammenleben könnten, steht dahin.

Mittwoch, 1. September 2010

Postmortale Wünsche

Immer wieder erstaunt mich, welch genaue Vorstellungen viele Menschen davon haben, was nach dem Ableben mit ihrem Körper geschehen soll. Mancher wünscht sich, unter einer Trauerweide begraben zu werden, ein anderer möchte einen Rosenstock auf dem Grab haben. Wieder andere wollen verbrannt werden und ihre Asche an einer bestimmten Stelle - in ihrem Garten, an der Klippe ihrer Lieblingsküste oder auf dem Meer - verstreut wissen.

Irgendwie rührt mich das zutiefst... und bleibt mir doch fremd. Ich empfinde solche Vorstellungen als sehr "lebend" gedacht, sehr im Diesseits verhaftet, und eigentlich belastet man damit das eigene Dasein bis zum Tode mit der überflüssigen Ungewißheit, ob denn wenigstens diese letzten Wünsche erfüllt werden - einer für meinen Geschmack allzu weltlichen Frage.

Mir ist es offen gestanden völlig gleichgültig, was mit meinem Kadaver geschieht. Meinetwegen kann man meine Überreste auf dem nächsten Acker unterpflügen, kompostieren oder zu Fischfutter verarbeiten. Es ist nur ein toter Körper, der zu nichts da war als mich durch das Erdendasein zu tragen, solange dieses eben währte. Wenn ich mir bange Gedanken darum machte, was nach meinem Dahinscheiden damit geschieht, würde ich den ganzen Reiz, der im Tode liegt, doch von vornherein ad absurdum führen.

Denn das wirklich Nette am Totsein ist doch, daß man mit einemmal völlig frei wird von aller Körperlichkeit, leicht und weit erhaben über aller Mühsal der physischen Existenz schwebt und mithin die Sorgen, Wünsche, Nöte, Hoffnungen und Ziele des irdischen Lebens so wunderbar belanglos werden, daß man lächeln könnte ob der Kleinheit des lebendigen Denkens und Empfindens, wenn man denn noch einen Mund dafür hätte... Man sieht plötzlich das große Ganze, jede einzelne Faser des universellen Gewebes, das alles trägt und alles prägt was kreucht, fleucht, lebt, liebt, irrt, sündigt und strebt. Man sieht es, man versteht es, und man ist ganz und gar versöhnt mit allem, weil man an einem höheren, einem universellen Bewußtsein teilhat, dem es gleich ist, wie und wo sich der Leib denn diesmal zu Erde zersetzt, weil jedes Molekül des Körpers schon unzählige Male in unzähligen Wesen gelebt hat und gestorben ist.

So stelle ich es mir jedenfalls vor. Oder aber - auch das ist denkbar - es kommt nichts, absolut gar nichts nach dem Tode. Dann ist es erstrecht egal, wo man verrottet.

(Den Aspekt, daß es den Hinterbliebenen Trost geben mag, einen Verstorbenen an einer bestimmten Grabstelle physisch-real "besuchen" zu können, habe ich hier zugegebenermaßen außer acht gelassen... Na gut, dann pflügt mich halt doch nicht unter.)